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Ältester „Vorfahr“des Menschen entdeckt

Forscher fanden in China die Fossilien von winzigen Meeresbewo­hnern, die vor 540 Jahren Millionen Jahren lebten. Aus diesen Kreaturen, die nur eine große Körperöffn­ung hatten, entwickelt­en sich später die Wirbeltier­e.

- Klaus Taschwer

Cambridge/Wien – Vor etwas mehr als 150 Jahren zeichnete der deutsche Biologe Ernst Haeckel den ersten Stammbaum des Menschen. Homo sapiens bildete natürlich die Krone dieses Baums, darunter kamen die Menschenaf­fen, dann die Affen, wieder darunter die Halbaffen, die Ursäuger, die Amphibien und so weiter.

Was aber stand ganz zu Beginn dieser Entwicklun­g zu den Wirbeltier­en, zu denen letztlich auch der Mensch gehört?

Haeckel hatte dazu immerhin einen methodisch­en Vorschlag: seine 1866 aufgestell­te biogenetis­che Grundregel. Demnach wiederhole sich in der Embryonale­ntwicklung die Stammesges­chichte – oder anders formuliert: „Die Ontogenese rekapituli­ert die Phylogenes­e.“Zwar gilt Haeckels Anspruch, damit ein biologisch­es Gesetz formuliert zu haben, als widerlegt. Ihre heuristisc­he Bedeutung hat die Regel aber bis heute nicht verloren.

Gegenwärti­g geht die Forschung davon aus, dass ganz am Beginn der Entwicklun­g hin zu den Wir- beltieren die sogenannte­n Neumünder oder Deuterosto­mia standen, deren erste Vertreter vor rund 520 Millionen Jahren lebten. Neumünder haben einige Merkmale, die sich bei ihren Nachfahren – neben den Wirbeltier­en noch die Stachelhäu­ter (wie Seesterne) – in der Embryonale­ntwicklung zeigen: Aus dem Urmund entwickelt sich der Anus, und der Mund entsteht neu (deshalb auch der Name). Zudem liegt das Zentralner­vensystem rückenseit­ig, und die Körper sind symmetrisc­h. Was aber war vor den Neumündern, die als die frühesten „Vorfahren“des Menschen gelten?

Ein internatio­nales Forscherte­am dürfte nun in der zentralchi­nesischen Provinz Shaanxi fündig geworden sein. Wie der Paläobiolo­ge Simon Conway Morris (Uni Cambridge) mit Kollegen aus England, Deutschlan­d und China im Fachblatt Nature berichtet, entdeckten die Forscher in 540 Millionen Jahre altem Kalkgestei­n die Fossilien von Meeresbewo­hnern, die allem Anschein nach eine Art Urform der Neumünder bildeten.

„Für das nackte Auge sehen die Fossilien wie kleine schwarze Körner aus. Aber unter dem Mikroskop sind die Details höchst erstaunlic­h“, sagt Conway Morris über die gut einen Millimeter kleinen Lebewesen, die den Namen Saccorhytu­s coronarius erhielten. So fanden sich zwar viele Ähnlichkei­ten mit Neumündern (unter anderem ein symmetrisc­her Körper), allerdings fehlte den Minimeeres­tieren ein Anus.

Stattdesse­n besaß Saccorhytu­s coronarius ein vergleichs­weise großes sackartige­s Maul, das die Nahrung aufnahm. Über den Körper verteilt, sind nämlich weitere acht Körperöffn­ungen, die eine primitive Vorform von Kiemen gewesen sein könnten, um das unnötige Wasser wieder abzugeben. Resümieren­d zeigen sich die Forscher beeindruck­t von der Komplexitä­t der Kreatur, aus der 540 Jahre später der Mensch wurde.

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Illustrati­on: S. Conway Morris, Jian Han Saccorhytu­s coronarius ist einen Millimeter klein, hat ein großes sackartige­s Maul und Vorformen von Kiemen.

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