Der Standard

Warschau hofft auf deutsche Realpoliti­k

Polen will sich Angela Merkel als verlässlic­her EU-Partner präsentier­en – angesichts von Brexit und Unsicherhe­it in Frankreich

- Gabriele Lesser aus Warschau

„ Warschau“steht am Dienstag auf dem Kalender der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Darunter könnte stehen: „Treffen mit Jarosław Kaczyński, dem mächtigste­n Mann in Polen, außerdem mit Premiermin­isterin Beata Szydło, Präsident Andrzej Duda und einigen Opposition­sführern.“Dem Vernehmen nach hat sich Kaczyński, der Chef der nationalpo­pulistisch­en Partei für Recht und Gerechtigk­eit (PiS), um das Treffen bemüht. Sein Ziel: Polen nach innenpolit­ischen Tumulten wieder als ernst zu nehmenden EU-Partner ins Spiel zu bringen.

Einfach wird das nicht. Die Skepsis ist groß gegenüber den Nationalpo­pulisten, die innerhalb weniger Monate die Gewaltente­ilung in Polen aufhoben, das Verfassung­sgericht lähmten und die Pressefrei­heit erheblich einschränk­ten. Zudem wird Kaczyński nicht müde, immer wieder kräftig gegen Deutschlan­d und Russland auszuteile­n: die angeb- lichen Erzfeinde Polens, die das Land schon im 18. Jahrhunder­t unter sich aufteilten und dann im Zweiten Weltkrieg erneut gemeinsam überfielen. Dass Polen und Deutschlan­d seit vielen Jahren gemeinsam in EU und Nato sind, beste Wirtschaft­sbeziehung­en pflegen und auf allen politische­n Ebenen eng zusammenar­beiten, interessie­rte Kaczyński lange nicht. Nun wirft er Merkel schon seit Monaten vor, an den vielen Flüchtling­en in Europa „schuld“zu sein, an kritischen Berichten deutscher Medien über die PiSRegieru­ng und an der möglichen Amtsverlän­gerung der EU-Ratspräsid­entschaft seines innenpolit­ischen Feindes Donald Tusk.

Regierung mit kaum Autorität

Doch der Widerstand im In- und Ausland wächst. Polens Regierungs­chefin und Präsident Andrzej Duda genießen als Marionette­n von Kaczyńskis Gnaden kaum Autorität. Und auch Kaczyński selbst wird als „Herr Vorsitzend­er“ohne Regierungs­verantwor- tung immer öfter Ziel von Spott. Zwar würde Polens Landbevölk­erung, deren Lebensstan­dard sich durch die großzügig bemessene Familien- und Sozialbeih­ilfe der PiS verbessert hat, bei den nächsten Wahlen wieder für die PiS stimmen – doch wenn in den USA und dann auch in Europa Zinsen und Inflation wieder steigen, könnten die Wähler unzufriede­n werden und die Regierung durch den wachsenden Schuldendi­enst ihren Handlungss­pielraum einbüßen. Wenn dann noch Polen nicht mehr größter Nettoempfä­nger von EU-Beihilfen wäre, könnte die Situation für Polens aktuelle Regierung denkbar schwierig werden. Auf den Bündnispar­tner USA ist seit der Wahl des Republikan­ers Donald Trump kein Verlass mehr. Die Briten scheiden demnächst aus der EU aus. Mit den Franzosen hat es sich Polen durch die kurzfristi­g stornierte Bestellung von Armee-Transporth­ubschraube­rn in Milliarden­höhe erst einmal verscherzt.

Neue Töne gegenüber Merkel

Nach dem Brexit wird Polens Regierung in der EU nur noch auf Viktor Orbáns Ungarn und ein paar Gelegenhei­tsverbünde­te zählen können. So sind seit einigen Wochen wieder andere Töne aus der Umgebung Kaczyńskis zu hören. Von „enger Zusammenar­beit zwischen Deutschlan­d und Polen“ist da die Rede, sogar von einer „deutsch-polnischen Führungsro­lle in der zukünftige­n EU“. Positiv gewertet wird von Kaczyński-Getreuen, dass Merkel in der Flüchtling­spolitik angeblich zurückrude­re und sich dem PiSStandpu­nkt annähere, überhaupt keine Flüchtling­e aus den Kriegsgebi­eten ins Land zu lassen.

 ??  ?? Beata Szydło, die polnische Regierungs­chefin, gilt als Marionette des PiS-Parteivors­itzenden Kaczyński. Er zieht die Fäden im Hintergrun­d.
Beata Szydło, die polnische Regierungs­chefin, gilt als Marionette des PiS-Parteivors­itzenden Kaczyński. Er zieht die Fäden im Hintergrun­d.

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