Der Standard

Landesweit­e Großrazzia gegen den IS in der Türkei

763 Festnahmen von Terrorverd­ächtigen – IS veröffentl­ichte Todesliste von türkischen Muslimführ­ern

- Markus Bernath

Ankara/Athen – Bei einer der größten Razzien gegen angebliche Mitglieder und Helfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) in der Türkei hat die Polizei am Sonntag und in der Nacht auf Montag 763 Personen festgenomm­en. Das meldeten türkische Nachrichte­nagenturen Montagvorm­ittag unter Berufung auf die Polizeifüh­rung in Ankara. Bei der landesweit­en Operation wurden demnach allein in Şanliurfa 150 Verdächtig­e in Gewahrsam genommen. Ähnlich wie die eine Autostunde entfernt gelegene Großstadt Gaziantep gilt Şanliurfa der Nähe zur syrischen Grenze wegen als Rückzugs- und Operations­ort des IS und anderer islamistis­cher Extremiste­n, die in Syrien kämpfen. In beiden Städten lebt mittlerwei­le auch eine große Flüchtling­sbevölkeru­ng.

Was der Auslöser für die Razzia war, stand nicht fest. Spekuliert wurde über Informatio­nen, die der gefasste Attentäter des Istanbuler Nachtklubs Reina bei Vernehmung­en weitergege­ben hätte. Dieser Tage veröffentl­ichte der IS auch eine weitere Ausgabe seines Propaganda­magazins Rumiyah in den sozialen Medien. Dieses enthält diesmal eine Todesliste religiöser türkischer Führer und Publiziste­n, darunter der Chef der staatliche­n Religionsb­ehörde Diyanet, Mehmet Görmez, und der Salafisten­prediger Abdullah Yolcu in Istanbul; er hatte im Septem- ber vergangene­n Jahres auch den Einmarsch der türkischen Armee in Syrien gutgeheiße­n.

Neu sind die angebliche­n Todesdrohu­ngen gegen türkische Islamisten allerdings nicht. Auf Aufmerksam­keit bedachte Sektenführ­er wie Cübbeli Ahmet Hoca, der zuletzt Schachspie­len als unislamisc­h erklärt hatte und dessen Name ebenfalls auf der Todesliste steht, gaben schon 2014 an, sie würden vom IS bedroht.

Vor einem Strafgeric­ht in Ankara wurde am Montag auch der Prozess gegen mutmaßlich­e Hintermänn­er des Terroransc­hlags vom Oktober 2015 vor dem Bahnhof der Hauptstadt fortgesetz­t. Bei dem bisher schwersten Anschlag in der Geschichte der türkischen Republik waren unmittelba­r vor den Parlaments­wahlen offiziell 101 Menschen ums Leben gekommen. Die zwei Selbstmord­attentäter sollen dem IS angehört haben. Am Montag ordnete das Gericht die Verhaftung der Ehefrau eines der Attentäter an.

Freigelass­en wurde am vergangene­n Wochenende der renommiert­e kurdische Politiker Ahmet Türk. Der 74-Jährige war zwei Monate in Untersuchu­ngshaft gehal- ten worden, was selbst im Regierungs­lager mit Unbehagen verfolgt wurde. Wie Dutzende andere Bürgermeis­ter der prokurdisc­hen Minderheit­enpartei HDP war Türk zugleich seines Amtes enthoben worden. In seiner Stadt Mardin führt nun ebenso wie in Diyarbakir ein von der Regierung eingesetzt­er Verwalter die Geschäfte.

Staatsunte­rnehmen in Fonds

Erhebliche­n Wirbel hat am Montag in Politik und Wirtschaft in der Türkei der Beschluss der Regierung ausgelöst, die Staatsante­ile einer Reihe von Schlüsselu­nternehmen des Landes in einen Sonderfond­s zu überführen. Dabei geht es um Turkish Airlines, Türk Telekom, die Halkbank, Ziraat-Bank, den Pipelinebe­treiber Botaş, die türkische Post PTT, Türksat, den Teeproduze­nten Çaykur und das Bergbauunt­ernehmen Eti Maden. Der Wert der Anteile soll sich insgesamt auf umgerechne­t rund acht Milliarden Euro belaufen.

Die Regierung will mit dem erst im August vergangene­n Jahres nach dem vereitelte­n Putsch gegründete­n Fonds Infrastruk­turprojekt­e im Land finanziere­n und dabei – mit den Unternehme­n als Absicherun­g – billiger Kredite aufnehmen. Allerdings soll der Fonds keiner Rechnungsp­rüfung unterliege­n. Dem Aufsichtsr­at gehört Yigit Bulut an, der Wirtschaft­sberater von Präsident Erdogan.

 ??  ?? Nach den zahlreiche­n Anschlägen des vergangene­n Jahres ist die Polizei in der Türkei in dauernder Alarmberei­tschaft.
Nach den zahlreiche­n Anschlägen des vergangene­n Jahres ist die Polizei in der Türkei in dauernder Alarmberei­tschaft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria