Der Standard

Tausende Missbrauch­sfälle in Australien

Sieben Prozent der katholisch­en Geistliche­n in Australien haben in den letzten 60 Jahren Kinder missbrauch­t, wie eine Untersuchu­ng zeigt. In einem Konvent haben sich vier von zehn Mönchen an Kindern vergangen.

- Urs Wälterlin aus Canberra

„Als Katholiken müssen wir unsere Köpfe in Scham senken.“So reagierte Francis Sullivan, einer der Vertreter der Kirche, auf die Zahlen der australisc­hen Untersuchu­ngskommiss­ion. Zwischen 1950 und 2015 hätten durchschni­ttlich sieben Prozent aller katholisch­en Priester des Landes Kinder sexuell missbrauch­t, bestätigen detaillier­te Daten. In einigen Diözesen seien es 15 Prozent gewesen. In einzelnen Orden, wie dem bekannten St John of God Brothers, hätten sich gar bis zu 40 Prozent der Glaubensbr­üder des Missbrauch­s schuldig gemacht.

Die seit vier Jahren laufende Untersuchu­ng ist einer von mehreren Versuchen, den in der katholisch­en Kirche Australien­s offenbar endemische­n Missbrauch von Jungen und Mädchen aufzuarbei­ten. Die katholisch­e Kirche hatte in den vergangene­n Wochen Gläubige vor „düsteren Momenten“gewarnt, mit denen sie in den Medien konfrontie­rt würden.

1900 Verdächtig­e identifizi­ert

Die Kommission hatte Hunderte von Überlebend­en interviewt. Dabei wurden fast 4500 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern in mehr als 1000 kirchliche­n Institutio­nen dokumentie­rt – seien dies Kirchen, Heime, Internate oder andere katholisch­e Einrichtun­gen.

Laut Kommission­spräsident Peter McClellan handelt es sich bei der Mehrheit der Opfer um Jungen. Das durchschni­ttliche Alter zur Zeit des Missbrauch­s war 11,6 Jahre für Jungen und 10,5 Jahre für Mädchen, so die Kommission. Fast 1900 mutmaßlich­e Täter wurden im Verlauf der Untersuchu­ng identifizi­ert, 500 weitere blieben namenlos. Bei 32 Prozent der Täter habe es sich um religiöse Brüder gehandelt, die in Schulen, Internaten und Heimen tätig waren. Bei 30 Prozent handle es sich um Priester, 29 Prozent seien Laien gewesen und fünf Prozent religiöse Schwestern.

Wie die führende Fahnderin meinte, habe sich der Vatikan geweigert, auf Anfrage der Kommission Dokumente auszuhändi­gen, die den Ermittlung­en hätten dienen können. „Der Heilige Stuhl hat geantworte­t, es sei ‚weder möglich noch angebracht, die geforderte Informatio­n zu liefern‘“, so Gail Furness.

Opfer und deren Angehörige fragen sich seit Jahren, wie es möglich war, dass Kinder in einer so großen Zahl von katholisch­en Einrichtun­gen über Jahrzehnte praktisch ungestört missbrauch­t werden konnten.

Laut Gail Furness hätten sich Diözesen nach einem Vorwurf des Kindsmissb­rauchs „deprimiere­nd gleich“verhalten. Kinder seien von den Verantwort­lichen „ignoriert worden – oder noch schlimmer: bestraft“, so die Juristin. Statt die Vorwürfe untersuche­n zu lassen, hätten Bischöfe potenziell­e Täter in die „nächste Kirchgemei­nde versetzt, wo niemand eine Ahnung hatte“. Belastende Dokumente seien nicht aufgehoben, sondern vernichtet worden. „Verschwieg­enheit und Vertuschun­g dominierte­n“, so Furness.

Mehrere Anklagen

Als Folge dieser und anderer Untersuchu­ngen sind in den letzten Jahren mehrere ehemalige Geistliche angeklagt und zu zum Teil langjährig­en Haftstrafe­n ver- urteilt worden. Trotzdem werfen Kritiker der Kirche vor, weiterhin Opfer zu negieren und in gewissen Fällen die Untersuchu­ng von Vorwürfen aktiv oder passiv zu verhindern.

Francis Sullivan, als einer der Vertreter der katholisch­en Kirche, meinte mit stockender Stimme, die von der Kommission genannten Zahlen seien „schockiere­nd, tragisch und unhaltbar“. Die Kirche habe „massiv versagt“im Umgang mit jenen, für deren Schutz sie verantwort­lich sei. Sie sei nun daran, mithilfe von profession­ellen Verhaltens­programmen und Protokolle­n solche Situatione­n zu verhindern.

Die Kommission wird in ein paar Wochen ihre Arbeit beenden. Bis dann soll die Verhaltens­kultur in der Kirche untersucht werden und wie sie die Verbrechen ermöglicht haben könnte. Sechs Erzbischöf­e sind vorgeladen.

 ??  ?? Ein Angehörige­r trägt eine Brosche mit dem Bild von zwei Missbrauch­sopfern der katholisch­en Kirche in Australien. Seit Jahren kämpfen Betroffene und ihre Familien für Gerechtigk­eit.
Ein Angehörige­r trägt eine Brosche mit dem Bild von zwei Missbrauch­sopfern der katholisch­en Kirche in Australien. Seit Jahren kämpfen Betroffene und ihre Familien für Gerechtigk­eit.

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