Bei Güterverlagerung regiert das Prinzip Hoffnung
Rechnungshof: Gütertransporte rückläufig auf Brenner-Bahnstrecke und empfiehlt Überzeugungsarbeit
Wien – Neben massiven Kostensteigerungen und zweifelhaften Finanzierungsprognosen widmete der Rechnungshof (RH) auch dem verkehrspolitischen Ziel, das mit dem Brenner Basistunnel (BBT) erreicht werden soll, 15 Seiten: der Verlagerung von Güterverkehr auf die Bahn.
Ob sie jemals gelingen wird, ist zweifelhaft, und erst recht das Ausmaß, von dem die Politiker beim Grundsatzbeschluss des Milliardenprojekts vor bald 15 Jahren ausgingen. Im EU-Weißbuch Verkehr wurde 2011 geklotzt, nicht gekleckert: Mehr als 50 Prozent des Straßengüterver- kehrs (für Entfernungen über 300 Kilometer) sollen bis 2050 in zwei Etappen auf andere Verkehrsträger verlagert werdem. Das wäre für die Achse München–Verona, also den Brennerkorridor, nicht weniger als eine Umkehrung des Verhältnisses der Güterverkehrsanteile von Straße zu Schiene.
Heißt konkret: Der Anteil des Schienengüterverkehrs über den Brenner müsste sich bis 2050 von derzeit 28,7 Prozent auf 64,4 Prozent mehr als verdoppeln. Nicht weniger ambitioniert ist das Ziel für das Jahr 2030, da soll Gleichstand herrschen zwischen Bahn und Autobahn.
Die Voraussetzungen für Sprünge wie diese sind denkbar ungünstig: Im alpenquerenden Güterverkehr kam es seit 1999 weder insgesamt noch in Österreich zu grundlegender Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene. Der Schienenanteil pendelte bis 2009 zwischen 36 auf 32 Prozent. Seit 2007 ging der Alpenbahngüterverkehr insgesamt zurück ( um drei Prozent auf 66,5 Millionen Tonnen 2014), das Transportvolumen kam laut einer von der EU-Generaldirektion Verkehr beauftragten Erhebung nach der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr zurück.
Mit den Zuwächsen auf Schweizer Güterbahnen (seit 1999 plus 42 Prozent) konnte – zum Leidwesen der Tiroler – allein die Brennerachse mithalten, allerdings stagniert auch dort Verkehr, attestiert der Rechnungshof: Ab 2010 stiegen wohl Straßengütertransporte wieder an, nicht aber der Schienengüterverkehr. Er war rückläufig – nach Totalsperre und Sanierung der Bahnstrecke und nachdem der Europäische Gerichtshof das sektorale Fahrverbot (Dezember 2007 bis Jänner 2012) aufgehoben hatte. Letzteres hatte Schienengüteranteil erhöht.
Nun, da Gotthard- und Lötschbergtunnel in Betrieb genommen wurden, scheint die Aussicht auf mehr Güterverkehr für den BBT unrealistischer denn je.
Die Aktion des Verkehrsministeriums erschöpfte sich offenbar mit dem BBT-Baubeschluss: Es beschied 2015, dass die zu erwartenden Gütermengen aufgrund der Finanzkrise erst zehn Jahre später anfallen. Im Übrigen gehe die deutsche Verkehrsprognose 2030 von geringeren Wachstumsraten aus als vorher. Sie seien als Indikator für das Wachstum am Brenner geeignet. Die versprochene neue Verkehrsprognose lag zwei Jahre später noch nicht vor.
Um einen Flop des inzwischen auf zwölf Milliarden Euro taxierten Projekts (inklusive Finanzierungskosten) zu verhindern, empfiehlt der RH Tunnelbauern und Verlagerungsanhängern: Überzeugungsarbeit der EU-Partnerländern. Durchsetzbar ist die Zwangsgüterverlagerung im EUBinnenmarkt bekanntlich nicht.
Der 1994 in Montreux ins Leben gerufene und alle vier Jahre zu überarbeitende Aktionsplan Brenner wurde seit 2009 nicht mehr aktualisiert, obwohl dieser längst überholt ist, weil auf Daten aus 2005 basierend war.
Eine Überprüfung der verkehrswirtschaftlichen Grundlagen und Berechnungen für den Brenner Basistunnel nahm der Rechnungshof nicht vor. (ung)