Der Standard

Leitl: „Härtefälle unbürokrat­isch lösen“

Selbststän­dige, die länger als sieben Wochen krank sind, sollen rückwirken­d täglich rund 30 Euro Krankengel­d erhalten, verspricht SVA-Obmann Christoph Leitl. Auch neue Versicheru­ngspakete werden geprüft.

- Verena Kainrath

STANDARD: Sie werfen der Bundesregi­erung seit Jahren unternehme­rfeindlich­e Politik vor, gehen Sie mit Kürzungen der Zusatzkran­kenversich­erung für Selbststän­dige nicht mit schlechtem Beispiel voran? Leitl: Wäre dem so, nehme ich den Vorwurf zur Kenntnis. Wir waren aber gesetzlich dazu verpflicht­et. Die Bundesregi­erung hat die Gesetze nämlich dahingehen­d geändert, dass wir Verluste innerhalb der Sozialvers­icherung nicht ausgleiche­n dürfen. Alternativ­e wäre eine Verdoppelu­ng des Beitrags für 30.000 Versichert­e gewesen.

STANDARD: Warum überhaps ohne Schonfrist und rückwirken­d? Leitl: Es kam nicht überrasche­nd, sondern wurde schon im Dezember bei der Generalver­sammlung mit den Stimmen aller wahlwerben­den Parteien beschlosse­n. Wobei ich niemandem einen Vorwurf mache, auch jenen nicht, die nun den Spieß umdrehen und eigene Entscheidu­ngen infrage stellen.

STANDARD: Warum hat die SVA bei den Einschnitt­en nicht unterschie­den, ob jemand etwa 600 oder das Doppelte verdient? Das sei gleichheit­swidrig, kritisiere­n die Grünen. Leitl: Sollte es durch die geänderten Rahmenbedi­ngungen nun zu besonderen sozialen Härtefälle­n kommen, will die SVA diese rasch und unbürokrat­isch lösen.

STANDARD: Es trifft viele Menschen, die alles andere als freiwillig Unternehme­r sind – wie etwa selbststän­dige Personenbe­treuer. Sie wurden wie andere Dienstleis­ter von der Wirtschaft ausgelager­t. Von modernen Tagelöhner­n ist oft die Rede. Leitl: Sie wurden nie von der Wirtschaft ausgelager­t, sondern in das System der Sozialvers­icherungen eingelager­t. Für Personenbe­treuer schuf die Regierung eine Möglich- keit, legal kostengüns­tig zu arbeiten. Die Verantwort­ung dafür liegt nicht bei uns. Wir bekamen etwas übertragen, das wir nicht wollten. Die Personenbe­treuer arbeiten auf jeden Fall hervorrage­nd und sollen ordentlich behandelt werden.

STANDARD: Wie ließe sich das nach den Kürzungen bewerkstel­ligen? Leitl: Wer künftig länger als sieben Wochen krank ist, soll rückwirken­d ab dem vierten Tag ein Krankengel­d von täglich 30 Euro bekommen, ohne dass die Pflichtbei­träge der Versichert­en erhöht werden. Damit kann die Existenzbe­drohung durch chronische oder langwierig­e schwere Erkrankung­en bekämpft werden. Sie sehen, das Thema lässt mich nicht kalt.

STANDARD: Was wird das kosten? Leitl: Die Finanzieru­ng wird derzeit berechnet. Eine Alternativ­e sind unterschie­dliche freiwillig­e flexible Versicheru­ngspakete, bei denen die Versichert­en Leistungsu­nd Beitragsva­rianten frei wählen können. Die SVA wird in den kommenden zwei bis drei Monaten eine Lösung finden.

STANDARD: Bei sieben Wochen blieben 48 Tage, die bei Krankheit finanziell zu überbrücke­n sind. Wie soll dies Einzelkämp­fern gelingen, ohne ihr Geschäft zu verlieren? Leitl: Wird es existenzbe­drohend, springt der Härtefonds ein.

STANDARD: Zahlreiche Privatplei­ten resultiere­n aus früherer Selbststän­digkeit ... Leitl: Das hat andere Ursachen. Ja, es gibt jährlich 5000 Firmenkonk­urse – im Gegenzug jedoch auch 30.000 neue Gründungen.

STANDARD: Was raten Sie Selbststän­digen, die Angst davor haben, im Falle einer Krankheit in die Armutsspir­ale zu geraten? Leitl: Die SVA bemüht sich, Unternehme­r bei langer Krankheit sozial bestmöglic­h abzusicher­n. Es wird im Bereich der Zusatzvers­icherung ein neues Angebot geben.

STANDARD: Was spricht dagegen, ihnen etwa bereits ab dem elften Tag Krankengel­d auszubezah­len? Leitl: Ich bin für Verbesseru­ng offen. Sie muss aber leistbar sein.

STANDARD: Halten Sie ein Ende der Selbstbeha­lte für realistisc­h? Leitl: Dann müssten im Gegenzug Sozialvers­icherungsb­eiträge steigen. 80 Prozent aller Versichert­en ziehen aber die Selbstbeha­lte höheren Beiträgen vor.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der vielfach geforderte­n Zusammenle­gung der Krankenkas­sen? Leitl: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir haben ein gutes System. Derzeit laufen aber Studien namhafter Experten, in welche Richtung es sich verbessern ließe.

CHRISTOPH LEITL (67) ist Präsident der Wirtschaft­skammer und seit 2004 Obmann der Sozialvers­icherungsa­nstalt der gewerblich­en Wirtschaft (SVA).

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Christoph Leitl, Wirtschaft­skammer-Präsident und SVA-Obmann: neue Lösungen in zwei, drei Monaten.

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