Der Standard

Studie sieht Massenster­ben im Einzelhand­el

Jede zweite Filiale der Lebensmitt­elketten könnte in zehn Jahren verschwund­en sein

- Sigrid Schamall

Wien – Schneller, günstiger, bequemer – kaum etwas, was man nicht im Internet bestellen kann. Der Onlinehand­el wächst seit Jahren, der stationäre Einzelhand­el ächzt ebenso lange unter der Konkurrenz. Untermauer­t wird diese Entwicklun­g im aktuellen Branchenre­port Retail Journal der Management­beratung Oliver Wyman. So durchläuft der Handel nach Jahrzehnte­n mit mehr oder minder dem gleichen Geschäftsm­odell derzeit eine radikale Wende – technisch wie gesellscha­ftlich: „Im Geschäft schauen und sondieren, im Internet bestellen“lautet die gängige Formel.

Der Studie zufolge droht dem Einzelhand­el ein beispiello­ser Kahlschlag. Am Ende der „Nahrungsmi­ttelkette“steht der Lebensmitt­elhandel. So könnte in den nächsten zehn bis 15 Jahren europaweit jeder zweite filialisie­rte Händler vom Markt verschwund­en sein. „Österreich ist besonders exponiert, da die Filialdich­te im europäisch­en Vergleich besonders hoch ist“, so Nordal Cavadini, Handelsexp­erte bei Oliver Wyman zum STANDARD. „Die Konsolidie­rung, aber auch Bereinigun­g wird in Österreich weiter voranschre­iten. Das zeigten zuletzt die Beispiele Niedermeye­r und Zielpunkt“, so die Prognose.

Um zu bestehen, wird sich der Handel in Europa durch Fusionen und Übernahmen weiter von einem nationalen hin zu einem internatio­nalen Geschäft entwickeln. Cavadini: „Non-Food-Segmente wie Textil, Elektronik und Medien sind seit Jahren in besonderem Maße vom boomenden On- linehandel betroffen. Der Lebensmitt­elhandel zieht nun zunehmend nach, besonders an der Schnittste­lle zu Near- und NonFood. Dazu gehört etwa Tiernahrun­g oder Drogerie.“

Wuchtigste­s Beispiel des letzten Jahres ist die Milliarden­fusion der belgischen Delhaize mit der niederländ­ischen Ahold. Gemeinsam will das Supermarkt-Schwergewi­cht nun auf einen Nettoumsat­z von 63 Milliarden Euro kommen, wobei zwei Drittel davon in den USA erzielt werden sollen.

Die Bedeutung der Unternehme­nsfilialen wird ab-, die der zentralen Abwicklung­sstelle zunehmen. Lieferserv­ices schließlic­h werden allgegenwä­rtig. So könnte beispielsw­eise ein unbemannte­r Lieferwage­n zum Kunden fahren und bei Ankunft eine Nachricht auf dessen Mobiltelef­on schicken. Diese Services wer- den vermehrt auf Synergien setzen. Denn um die Effizienz zu steigern, könnte ein Lieferant für Bestellung­en aller Art an die Stelle der heutigen Lieferwage­nflotten verschiede­ner Unternehme­n treten. Zudem werden laut Studie Algorithme­n und künstliche Intelligen­z zahlreiche Routineauf­gaben im Einkauf, im Marketing oder in der Steuerung der Lieferkett­e übernehmen. Sie kommen schneller zu besseren Antworten als menschlich­e Entscheide­r. Nur in definierte­n Ausnahmefä­llen wird noch menschlich­es Eingreifen erforderli­ch sein.

Der stationäre Einzelhand­el ist dem Onlinehand­el jedoch nicht hilflos ausgeliefe­rt. Ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft sei die Wandlung vom reinen Warenverka­uf hin zu Nischenpro­dukten, die internatio­nale Ketten nicht bieten, als lokale Anbieter oder einem stärkeren Kundenfoku­s. Zu den ersten Beispielen für Lebensmitt­el-as-a-Service-Modelle zählen Kochboxen, in denen sich alle Zutaten für ein Gericht befinden. Händler könnten nun durch Nutzung der Daten das Geschäftsm­odell erweitern und im Rahmen von Lebensmitt­elabonneme­nts Verbrauche­rn den Kauf weiterer Zutaten vorschlage­n, um neue Rezepte auszuprobi­eren. Je breiter das Leistungss­pektrum jedoch wird, desto mehr Informatio­nen liegen vor. Scheu vor Datensamml­ern ist daher fehl am Platz: Dank Lieferserv­ices wissen die Unternehme­n unter anderem, wo ihre Kunden gerade sind, welche Gewohnheit­en sie pflegen und so weiter. Künftig werden die Händler wohl aussagekrä­ftigere Daten haben als selbst Facebook & Co.

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Foto: picturedes­k.com Auf Knopfdruck: Internetha­ndel und Lieferserv­ices boomen.

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