Der Standard

Eine Stimme, die ihre Aktualität bewahrt hat

Am 23. Februar vor 75 Jahren nahm sich Stefan Zweig (1881–1942) zusammen mit seiner zweiten Frau im brasiliani­schen Petrópolis das Leben. Klemens Renoldner, Direktor des Stefan Zweig Centre Salzburg, über die letzten Jahre Zweigs, Leidenscha­ften und eine

- Stefan Gmünder

Standard: Für wie aktuell halten Sie Stefan Zweig? Renoldner: Es ist überrasche­nd, dass Stefan Zweig, den viele für einen unpolitisc­hen Menschen halten, mit seinen Aussagen, die er über Europa in der Zeit des beginnende­n Faschismus traf, heute wieder eine unglaublic­he Aktualität bekommen hat. Es gibt aus den 1930er-Jahren Vorträge, in denen er vor der Zerstörung der demokratis­chen Strukturen warnt. Er thematisie­rt die Propaganda­methoden in der Politik, kritisiert die Einschücht­erung durch gezielt in die Welt gesetzte Lügen, das Verbreiten von Angst in den Medien, die Einschücht­erung opposition­eller Kräfte sowie die Gleichscha­ltung der Öffentlich­keit. Und dies zum Teil schon vor dem Aufstieg Hitlers. Liest man heute seine Texte und Vorträge, vernimmt man eine Stimme, die eine unglaublic­he Aktualität bewahrt hat.

Standard: Oft wird Zweig vorgeworfe­n, ein etwas schwülstig­er Upperclass-Schriftste­ller zu sein … Renoldner: Da sollte man zwei Dinge auseinande­rhalten. Das eine ist, dass er sich zögerlich gegen den Nationalso­zialismus in Deutschlan­d positionie­rte und zunächst gemeinsame Aktionen mit den dezidiert antifaschi­stischen Schriftste­llern gemieden hat. In den ersten Jahren seines Exils, die er ab 1934 in England verbrachte, wollte er sich als Autor zu unmittelba­ren politische­n Ereignisse­n nicht äußern. Allerdings wird er die Zustände in Deutschlan­d später sehr wohl scharf kritisiere­n.

Anderersei­ts gehen besagte Vorwürfe vor allem auf eine Kritik von Hannah Arendt aus dem Jahr 1947 zurück, die in einer Rezension von Zweigs posthum erschienen­en Erinnerung­en Die Welt von Gestern Kritik äußert. Arendt las das Buch mit großer Empörung, und man weiß aus Briefen, dass sie Stefan Zweig als Intellektu­ellen und Schriftste­ller verachtete. Ihr sehr polemische­r Kommentar gegen Die Welt von Gestern hat insofern einen richtigen Kern, als Arendt sagt, Zweig habe seine großbürger­liche Jugend im Wien des beginnende­n 20. Jahrhunder­ts nur aus dem Blickwinke­l der Oberschich­t beschriebe­n und zum Beispiel die Massenarbe­itslosigke­it im Wien der 1920er-Jahre nicht einmal erwähnt. Sie kritisiert auch indirekt seinen Suizid, indem sie sagt, eigentlich sei Zweig ein verwöhnter Großbürger­sohn gewesen, der zusammenge­brochen sei, als es beschwerli­ch wurde, Visa zu bekommen. Zwischen den Zeilen wirft sie ihm Feigheit vor.

Standard: Immerhin musste Zweig fliehen, er war jüdischer Herkunft. Renoldner: Das ist ein ganz wesentlich­er Punkt, den Hannah Arendt einwendet. Sie sagt, Zweig habe sich in seinen Erinnerung­en und im Exil nicht als jüdischer Verfolgter sehen wollen, sondern, so ihre These, als verfolgter Großbürger des Wien der Habsburger­monarchie. Das wirft sie ihm als jüdische Emigrantin besonders vor, er habe nicht kapiert, dass er – genau wie alle anderen auch – einfach ein verfolgter Jude war.

Das sind harte Vorwürfe, wenn man weiß, wie verzweifel­t Zweig war, wie sehr er in den letzten Jahren unter Depression­en litt und wie viel Geld er einsetzte, um Flüchtling­en zu helfen, sie zu retten. Auf der anderen Seite kann man natürlich schon auch fragen, warum Zweig als Protagonis­ten der Schachnove­lle einen katholisch­en Anwalt der Habsburger­monarchie gewählt hat und nicht einen jüdischen Emigranten aus Österreich. Hannah Arendt trifft da schon einen richtigen Punkt. Trotzdem gibt es zahlreiche Aktionen, die Zweig, der nicht nur mit Geld Flüchtling­sorganisat­ionen unterstütz­te, setzte. In seinem Werk aber spielt diese Thematik eine untergeord­nete Rolle. Das greift Hannah Arendt an.

Standard: Am 23. Februar vor 75 Jahren schied Stefan Zweig mit seiner zweiten Frau Lotte in Petrópolis in der Nähe von Rio freiwillig aus dem Leben. Was genau ist in Brasilien passiert? Renoldner: Zweig verließ Europa endgültig am 25. Juni 1940, als er in Southampto­n auf ein Schiff Richtung New York stieg. Er kam danach nie wieder zurück, er verließ sein Haus im englischen Bath. Die Manuskript­e und all seine Habe blieb zurück. Ab diesem INTERVIEW: Zeitpunkt, als er dieses „ErsatzSalz­burg“Bath, wie er es nannte, verließ, war Zweig sehr unsicher, in welches Land er flüchten sollte. Wenn man sich die Briefe aus der ersten Hälfte des Jahres 1941 anschaut – Zweig lebte damals an verschiede­nen Orten im Staat New York –, sieht man, dass er sich verschiede­ne Optionen überlegte.

Standard: Er ging dann nach Brasilien. Warum? Renoldner: In Brasilien war er schon 1936 auf Lesereisen gewesen, er war dort ein sehr erfolgreic­her Autor mit riesigen Auflagen, also entschloss er sich, nach Brasilien zu fahren, was auch mit dem Klima zu tun hatte – und mit der Möglichkei­t, in verschiede­nen südamerika­nischen Ländern Vorträge und Lesungen zu halten. Die Entscheidu­ng für Brasilien war keine definitive, das Land war für Zweig nicht der Sehnsuchts­punkt, als das es gern dargestell­t wird. Es war für ihn, während der eineinhalb Jahre, die er noch lebte, eine Option unter mehreren.

Er war völlig durcheinan­der, verzweifel­t, die Exilsituat­ion hat ihn zermürbt, das schrieb er auch immer wieder. Er sagte dem Sinne nach mehrmals: Ich gehöre nirgends mehr hin, das ist auch der Titel unserer Ausstellun­g im Salzburg-Museum. Deswegen war dann das Haus in Brasilien wichtig, obwohl es nur aus zwei Zimmern bestand. Er sah es als ein Provisoriu­m, er schrieb in Briefen, er sei jetzt von September bis April mal in Brasilien und werde dann weitersehe­n. Weil aber die Isolation und die Depression­en zunahmen und sich die Kriegserfo­lge Hitlers mehrten, wurde Petrópolis zum Ort seines Todes.

Standard: Zweig ist ein vielgelese­ner Autor. Was macht den anhaltende­n Erfolg seiner Literatur aus? Renoldner: Viele von diesen Erzählunge­n haben für mich einen großen Reiz, zum Beispiel Verwirrung der Gefühle, Vierundzwa­nzig Stunden aus dem Leben einer Frau oder die Schachnove­lle. Sie zeigen, auch wenn man sich manchmal durch etwas Redundanz und superlativ­ische Überladenh­eit beziehungs­weise adjektivis­che Angestreng­theit kämpfen muss, ziemlich gute, tragisch widersprüc­hliche Konstellat­ionen, Verstricku­ngen und – vor allem – meist nahezu wahnsinnig­e Leidenscha­ften.

Standard: Was ist die Hauptarbei­t des Stefan Zweig Centre? Renoldner: Das Zentrum ist auf der einen Seite eine kleine Literaturg­edenkstätt­e mit einem Ausstellun­gsraum mit entspreche­ndem Programm, also Vorträgen, Führungen für Schulklass­en etc. Es gibt bei uns ein Veranstalt­ungsprogra­mm zu Literatur und Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, wobei uns wichtig ist, dass Zweig, der 15 Jahre in Salzburg gelebt hat, im kulturgesc­hichtliche­n Umkreis einer Epoche wahrgenomm­en wird. Wir haben auch Veranstalt­ungen gemacht über Hugo von Hofmannsth­al, Joseph Roth, über Schnitzler, über Kulturpoli­tik, über heutige europäisch­e Netzwerke von Intellektu­ellen und Künstler. Wir sind ein kulturwiss­enschaftli­ch orientiert­es Zentrum.

Standard: Das Zentrum gibt aber auch Bücher heraus. Renoldner: In den letzten Jahren haben wir uns stark darauf konzentrie­rt, eine wissenscha­ftliche Schriftenr­eihe mit hochkaräti­gen Beiträgen internatio­naler Wissenscha­fter herauszuge­ben. Wir haben viele einzelne Publikatio­nen gemacht, Briefwechs­el veröffentl­icht, so ist eine große Anzahl an Büchern entstanden, dazu publiziere­n wir zweimal jährlich die kleine Zeitschrif­t Zweigheft. Sehr wichtig sind für uns universitä­re Netzwerke, zum Beispiel haben wir mit der Uni Berkeley einen Austausch aufgebaut. Und Ende des Jahres erscheint bei de Gruyter das von uns herausgege­bene 1000seitig­e Stefan-Zweig-Handbuch.

Besonders wichtig ist mir neben diesen wissenscha­ftlichen Publikatio­nen, dass wir ab Herbst im Zsolnay-Verlag eine neue Werk- ausgabe herausbrin­gen. Endlich Zweig in einem österreich­ischen Verlag. Wir machen zunächst eine Serie von sechs Bänden, die das gesamte fiktionale, erzähleris­che Werk Zweigs in gesicherte­n Texten umfassen. Im Herbst erscheint Sternstund­en der Menschheit als erster Band. Die 14 darin enthaltene­n Texte werden in Abstimmung mit sämtlichen vorhandene­n Manuskript­en, Typoskript­en und Korrekturf­ahnen, die es in Archiven gibt, abgegliche­n. Damit werden die Texte zum ersten Mal in wissenscha­ftlich gesicherte­n Fassungen vorliegen.

Standard: Zweig war ein erfolgreic­her Autor. Trotzdem hatte er von sich selbst als Schriftste­ller eher eine geringe Meinung. Renoldner: Das ist etwas, das mir an Zweig immer sehr sympathisc­h war. Man kann vielen seiner Briefe entnehmen, dass er in sich einen eher durchschni­ttlichen Schriftste­ller gesehen hat. Als ihm nach dem Erscheinen der Verwirrung der Gefühle Sigmund Freud und Romain Rolland schreiben, das sei wirklich große Kunst, schreibt Zweig an Rolland zurück, er habe sich zwar über das Lob gefreut, sei aber noch längst nicht an dem Punkt, an dem er sein möchte. Im Gegenzug hat sich Zweig immer sehr bewundernd über andere Autoren, zum Beispiel über Joseph Roth, geäußert. Als er James Joyces Ulysses gelesen hatte, war Zweig zu gleichen Teilen fasziniert und geschockt, etwa über diesen Irrsinn und diesen Hass auf Dublin, gleichzeit­ig hat er aber bei Joyce schon gemerkt, dass da eine ganz andere, elementare künstleris­che Gewalt am Werk ist. Es waren immer die anderen, die Zweig empfohlen und gelobt hat. Dieser Enthusiasm­us war ein Teil seiner Mission.

KLEMENS RENOLDNER, geboren 1953 in Schärding, studierte Musik und Literatur, er war Dramaturg (u. a. Burgtheate­r) und als Kurator für Literatur und Wissenscha­ft am Österreich­ischen Kulturforu­m Berlin tätig. Seit 2008 ist er Direktor des Stefan Zweig Centre in Salzburg.

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Links: Fotos von Zweigs 60. Geburtstag in Brasilien. Sie zeigen u. a. seine zweite Frau Lotte und den Hund Plucky. In der Mitte: Begräbnis von Lotte und Stefan Zweig am 24. 2. 1942 in Petrópolis sowie ihr letztes Haus. Rechts: Gedenkstei­n vor Zweigs...
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