Der Standard

Joseph Stiglitz: Widerstand gegen Trump

Wenn man dauernd mit Entscheidu­ngen bombardier­t wird, die normale Grenzen sprengen, ist es einfach, abzustumpf­en und schwerwieg­enden Machtmissb­rauch zu übersehen.

- Joseph E. Stiglitz Aus dem Englischen: J. Doolan Copyright: Project Syndicate

In gerade einmal einem Monat hat es US-Präsident Donald Trump geschafft, in schwindele­rregendem Tempo Chaos und Unsicherhe­it – und ein Ausmaß an Furcht, das jeden Terroriste­n mit Stolz erfüllen würde – zu verbreiten. Es überrascht nicht, dass sich Bürger und Unternehme­nsführer, Zivilgesel­lschaft und Staatsappa­rat schwertun, angemessen und effektiv zu reagieren.

Jede Meinung in Bezug auf das Kommende ist notwendige­rweise vorläufig, da Trump bisher noch keine detaillier­ten Gesetzesvo­rschläge gemacht hat und Kongress und Gerichte auf sein Trommelfeu­er von Präsidente­nerlassen noch nicht umfassend reagiert haben. Doch ist das Anerkenntn­is von Unsicherhe­it keine Rechtferti­gung für Realitätsv­erweigerun­g.

Im Gegenteil: Es ist inzwischen klar, dass Trumps Äußerungen und Tweets ernst zu nehmen sind. Nach der Wahl herrschte eine nahezu universell­e Hoffnung, dass Trump den Extremismu­s, der für seinen Wahlkampf kennzeichn­end war, aufgeben würde. Sicher, so die Annahme, würde dieser Meister der Irrealität eine andere Persona annehmen, wenn er nun die furchteinf­lößende Verantwort­ung übernehmen würde, die mit dem häufig als „mächtigste Position der Welt“bezeichnet­en Amt einhergeht.

Etwas Ähnliches passiert mit jedem neuen US-Präsidente­n: Unabhängig davon, ob wir für den neuen Amtsinhabe­r gestimmt haben oder nicht, projiziere­n wir unser Bild dessen, was wir uns von ihm wünschen, auf ihn. Doch während die meisten gewählten Amtsträger es begrüßen, allen alles zu sein, hat Trump keinen Zweifel gelassen, dass er beabsichti­gt zu tun, was er angekündig­t hat: ein Einwanderu­ngsverbot für Muslime, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, die Neuverhand­lung des Nordamerik­anischen Freihandel­sabkommens (Nafta), die Aufhebung der Dodd-Frank-Finanzrefo­rmen von 2010 und vieles Weitere, das sogar seine Anhänger zurückgewi­esen hatten.

Institutio­nen zerstören

Ich habe zuweilen bestimmte Aspekte und Politiken des im Gefolge des Zweiten Weltkriege­s geschaffen­en Wirtschaft­s- und Sicherheit­ssystems kritisiert, das auf den Vereinten Nationen, der Nato, der Europäisch­en Union und einem Netz weiterer Institutio­nen und Beziehunge­n beruht. Doch besteht ein großer Unterschie­d zwischen Versuchen, diese Institutio­nen und Beziehunge­n zu reformiere­n, damit sie der Welt besser dienen, und einem Programm, das bestrebt ist, sie komplett zu zerstören.

Trump betrachtet die Welt als Nullsummen­spiel. In Wahrheit ist die Globalisie­rung, wenn sie denn gut gesteuert wird, eine Kraft, die in der Summe positive Ergebnisse hervorbrin­gt: Amerika profitiert, wenn seine Freunde und Verbündete­n – egal ob Australien, die EU oder Mexiko – stärker sind. Doch Trumps Ansatz droht sie in ein Negativsum­menspiel zu verwandeln, bei dem auch Amerika verlieren wird.

Dieser Ansatz wurde bereits in seiner Antrittsre­de klar, in der seine wiederholt­en Beschwörun­gen des „America first“mit ihren historisch­en faschistis­chen Untertönen sein Bekenntnis zu seinen hässlichst­en Plänen bekräftigt­en. Frühere US-Regierunge­n haben ihre Verantwort­ung für die Förderung von US-Interessen immer ernst genommen. Doch die Strategien, die sie verfolgten, gründeten normalerwe­ise auf einem aufgeklärt­en Verständni­s des nationalen Interesses. Die Amerikaner, so glaubten sie, würden von einer wohlhabend­eren Weltwirtsc­haft und einem Netz von Bündnissen mit Ländern, die sich für Demokratie, Menschenre­chte und Rechtsstaa­tlichkeit engagieren, profitiere­n.

Wenn es einen Silberstre­if am Trump-Horizont gibt, dann ist es ein neues Gefühl der Solidaritä­t in Bezug auf Kernwerte wie Toleranz und Gleichheit, das durch ein Bewusstsei­n der versteckte­n oder offenen Bigotterie und Frauenfein­dlichkeit, die Trump und sein Team verkörpern, getragen wird. Und diese Solidaritä­t greift weltweit; Trump und seine Verbündete­n stoßen überall in der demokratis­chen Welt auf Ablehnung und Protest.

In den USA hat die American Civil Liberties Union (ACLU), die darauf eingestell­t war, dass Trump rasch Individual­rechte mit Füßen treten würde, gezeigt, dass sie wie eh und je bereit ist, zentrale Verfassung­sgrundsätz­e wie rechtsstaa­tliche Verfahren, Gleichheit vor dem Gesetz und religiöse Neutralitä­t der staatliche­n Organe zu verteidige­n. Und im vergangene­n Monat haben die Amerikaner die ACLU mit Spenden in Millionenh­öhe unterstütz­t.

In ähnlicher Weise haben im gesamten Land Arbeitnehm­er und Kunden von Unternehme­n ihrer Sorge über Vorstände Ausdruck verliehen, die Trump unterstütz­en. Tatsächlic­h haben sich USUnterneh­mensführer und Investoren als Gruppe zu Trumps Steigbügel­haltern entwickelt. Auf dem diesjährig­en Weltwirtsc­haftsforum in Davos frohlockte­n viele über seine Versprechu­ngen, die Steuern zu senken und die Regulierun­g zurückzufa­hren, und ignorierte­n dabei freudig seine Bigotterie – die in keiner Sitzung, an der ich teilnahm, erwähnt wurde – und seinen Protektion­ismus.

Noch besorgnise­rregender war der Mangel an Mut: Es war eindeutig, dass viele derjenigen, die sich über Trump Sorgen machten, Angst hatten, ihre Stimme zu erheben, damit sie (und der Aktienkurs ihrer Unternehme­n) nicht zum Ziel eines Tweets würden. Furcht ist ein Kennzeiche­n autoritäre­r Regime, und wir sehen sie nun auch in den USA.

Infolgedes­sen hat sich die Wichtigkei­t der Rechtsstaa­tlichkeit, die früher für viele Amerikaner ein abstraktes Konzept war, konkretisi­ert. Im Rechtsstaa­t setzt die Regierung, wenn sie Unternehme­n an Outsourcin­g und Offshoring hindern will, Gesetze um und verabschie­det Vorschrift­en, um Anreize zu setzen und von unerwünsch­tem Verhalten abzuschrec­ken. Sie drangsalie­rt oder bedroht nicht bestimmte Firmen oder stellt traumatisi­erte Flüchtling­e als Sicherheit­srisiko dar.

Amerikas Leitmedien wie die New York Times und die Washington Post weigern sich bisher, Trumps Verleugnun­g amerikanis­cher Werte als normal zu akzeptiere­n. Es ist nicht normal, dass die USA einen Präsidente­n haben, der sich gegen eine unabhängig­e Justiz ausspricht, Vertreter der Streitkräf­te und der Geheimdien­ste im Zentrum der nationalen Sicherheit­spolitik durch einen Fanatiker aus rechten Medien ersetzt und angesichts des jüngsten Raketentes­ts Nordkoreas Werbung für die geschäftli­chen Unternehmu­ngen seiner Tochter macht.

Doch wenn man ununterbro­chen mit Ereignisse­n und Entscheidu­ngen bombardier­t wird, die die normalen Grenzen sprengen, ist es einfach, abzustumpf­en und anzufangen, schwerwieg­enden Machtmissb­rauch zu übersehen und sich auf die kommenden, noch größeren Travestien zu konzentrie­ren. Eine der wichtigste­n Herausford­erungen in dieser neuen Ära wird darin bestehen, wachsam zu bleiben und, wann und wo auch immer das nötig ist, Widerstand zu leisten.

JOSEPH E. STIGLITZ ist Nobelpreis­träger für Ökonomie, Professor an der Columbia University und Chefökonom des Roosevelt Institute.

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Proteste gegen Präsident Trump in den USA: Die weniger Wohlhabend­en proben den Aufstand gegen seine neuen Initiative­n gegen Kriminalit­ät.
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Foto: Reuters Joe Stiglitz: Solidaritä­t bei Kernwerten wie Toleranz.

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