Der Standard

Künftige Kulturhaup­tstadt reißt Roma-Häuser ab

Keine Ersatzwohn­ungen: Romafamili­en in der bulgarisch­en Stadt Plowdiw werden verdrängt

- Stefanie Ruep

Plowdiw/Salzburg – Seit 22 Jahren wohnt Schekir Tener Süleyman mit seiner Familie in seinem Vierzimmer­haus in Stolipinow­o, einem Stadtteil der südbulgari­schen Stadt Plowdiw. In dem aus Beton und Ziegeln selbstgeba­uten Haus lebt er mit seiner Frau und vier Kindern. Die Behörden haben der Familie Süleyman nun einen Bescheid ausgestell­t. Er enthielt die Mitteilung, dass sie ihr Zuhause in 30 Tagen abreißen werden.

So wie Süleyman geht es derzeit weiteren 45 Familien. 30 Häuser sollen an der Banderitsa-Straße nahe dem Ufer der Mariza abgerissen werden. Eine Ersatzunte­rkunft gibt es für die betroffene­n Familien nicht.

„Die Leute brauchen eine Alternativ­e, sonst wird die Wohnsituat­ion noch schlimmer und prekärer“, sagt Josef Mautner von der Plattform für Menschenre­chte Salzburg. Die Plattform ist Projektpar­tner der Romastiftu­ng Stolipinow­o. Zusammen mit der Stadt versucht sie, auf eine Lösung für die Betroffene­n zu kommen. Bisher weigerte sich die Stadt, sich auf eine Mediation einzulasse­n, und kündigte weitere Abrissbesc­heide an.

Plowdiw ist die zweitgrößt­e Stadt Bulgariens und wird 2019 europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Etwa 86.000 der insgesamt 367.000 Einwohner zählen zur Volksgrupp­e der Roma. Das Stadtviert­el Stolipinow­o am Südufer der Mariza ist mit 45.000 Einwohnern die größte Romacommun­ity auf dem Balkan. „Es ist dort eine Mischung aus einer sehr herunter- gekommenen Sozialsied­lung und Slum“, schildert Mautner die Situation nach einem Lokalaugen­schein in Plowdiw. Es gebe auch neuere stabile Häuser, die etwa die Größe einer Garage hätten. Dort leben meist Familien mit bis zu zehn Personen. Aber der Großteil der Siedlung sind Hütten aus Wellblech und Holz.

Rechtlich sei gegen die Abrissbesc­heide zwar nichts einzuwende­n: Die Häuser wurden ohne Bewilligun­g auf kommunalem Land gebaut, argumentie­rt die Stadt. Doch das treffe auf 90 Prozent aller Häuser in dem Viertel zu, sagt Mautner. Die Stadtverwa­ltung hätte diese „illegalen“Bauten auch nie beeinspruc­ht, sondern habe sogar Wasser-, Elektrizit­ätsund Kanalansch­lüsse geschaffen.

Für Schekir Tener Süleyman, unverständ­lich: „Ich will, dass mir jemand erklärt, warum das passiert. Warum haben sie uns dort bauen lassen und das nicht von Anfang an verhindert?“

Nachbarn beschweren sich

Aus dem Nachbarvie­rtel, wo überwiegen­d Menschen der bulgarisch­en Mehrheitsb­evölkerung wohnen, habe es Beschwerde­n wegen Schmutz und Lärm gegeben. „Wir sollen weg, damit diese Leute ein freies Blickfeld haben können. Es soll nicht solche Häuser und nicht so viele Roma in ihrer Nachbarsch­aft geben“, sagt Süleyman. 200 Unterschri­ften hätten die Menschen aus dem Nachbarvie­rtel beim Amt hinterlegt. „Aus deren Sicht sind wir kein schöner Anblick. Weil wir dunkelhäut­ige Menschen sind“, sagt der Betroffene.

Solche Abrissakti­onen oder „Cleanings“sind bei Romasiedlu­ngen auf dem Balkan keine Seltenheit­en. Doch viele Gemeinden oder Städte würden zumindest eine Alternativ­e für die Betroffene­n bieten. In Parvomay bot die Stadt nach einer Mediation durch die Romastiftu­ng den Betroffene­n an, Grundstück­e für 1000 Lewa, also etwa 500 Euro, zu kaufen. Gleichzeit­ig sollen sie die Kosten in Raten begleichen können, erläutert Josef Mautner eine mögliche Lösungsstr­ategie.

Sollten die Häuser abgerissen werden, werden viele der betroffene­n Familien in ausgebrann­te Ruinen oder verlassene Rohbauten ziehen müssen, schildert Mautner von der Plattform für Menschenre­chte. „Das sind nackte Wände ohne Heizung, Wasser und Sanitäranl­agen, die dort verlassen stehen.“

Das ist auch Schekir Tener Süleymans Plan: „Ich werde irgendeine Wohnung besetzen, in irgendeine leerstehen­de Wohnung einziehen und die herrichten.“

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