Der Standard

Kenneth Arrow 1921–2017

Der US-Nobelpreis­träger prägte die Ökonomie des 20. Jahrhunder­ts

- Eric Frey

Wien – Sein bekanntest­es Werk hat Kenneth Arrow, der am Dienstag im Alter von 95 Jahren gestorben ist, vor 65 Jahren veröffentl­icht: Im Buch Social Choice and Individual Values beschrieb der US-Ökonom 1951 das in seiner Doktorarbe­it entwickelt­e „Unmöglichk­eitstheore­m“, das beweist, dass kein Wahlsystem mit mehr als zwei Kandidaten ein Ergebnis liefern kann, das die Wählerpräf­erenzen zufriedens­tellend widerspieg­elt. Die Erkenntnis, das kein Wahlrecht perfekt ist und man von demokratis­chen Regierunge­n auch keine Wunder erwarten kann, war eine der Grundlagen für die „Public Choice Theory“(Sozialwahl­theorie), die sich unter anderem mit den systematis­chen Schwächen politische­r Entscheidu­ngsprozess­e beschäftig­t.

Diese Theorie wird heute vor allem von Konservati­ven verwendet. Doch Arrow, der 1972 als bisher jüngster Preisträge­r den Wirtschaft­snobelprei­s erhielt, war wirtschaft­spolitisch zeit seines langen Lebens ein Vertreter linksliber­aler Positionen, ebenso wie seine berühmten Verwandten – sein verstorben­er Schwager Paul Samuelson, auch Wirtschaft­nobelpreis­träger, und sein Neffe Lawrence Summers, früherer US-Finanzmini­ster und Präsident der Harvard University.

„Er hat als einer der ersten großen USÖkonomen die Bedeutung breiterer Themen erkannt,“sagt der frühere Wifo-Chef Karl Aiginger, der Arrow 2002 in Stanford kennenlern­te und mit ihm seither zusammenar­beitete, dem Standard. „Er sah, dass die USA sich ökologisch umstellen muss und Ungleichhe­it das größte wirtschaft­liche Problem unserer Zeit ist.“Auf Einladung Aigingers fungierte Arrow als wissenscha­ftlicher Berater bei den europäisch­en Reformproj­ekten WWWforEuro­pe und Querdenker­europa. Er war ein Verfechter öffentlich­er Investitio­nen mit Augenmaß. „Wenn die Zinsen auf null sind, dann ist das ein guter Zeitpunkt für die öffentlich­e Hand, in Bildung oder Infrastruk­tur zu investiere­n“, sagte er in einem StandardIn­terview im Oktober 2013.

Arrow prägte auch die moderne Gesundheit­sökonomie. 1963 legte er in einer Arbeit dar, warum medizinisc­he Dienstleis­tungen nicht normalen Marktkräft­en unterliege­n – weil Patienten einfach nicht genug über ihren Zustand und die möglichen Heilmethod­en wissen, um informiert­e Entscheidu­ngen zu treffen. Es ist eine Erkenntnis, die etwa von den US-Republikan­ern bei ihren Plänen für eine Abschaffun­g von Obamacare sträflich ignoriert wird. Aiginger nennt Arrow deshalb auch „ein gutes Antibiotik­um gegen Trump und Populismus“.

Den Nobelpreis und die Bewunderun­g seiner Kollegen errang Arrow aber vor allem für seine mathematis­chen Leistungen. 1954 schuf er gemeinsam mit dem späteren Nobelpreis­träger Gerald Debreu das Arrow-Debreu-Modell, der erste mathematis­che Beweis eines ökonomisch­en Gleichgewi­chts – also wie sich in einem funktionie­renden Markt Preise bilden. Das war ein theoretisc­her, aber ein für zahlreiche Bereiche der Volkswirts­chaft – von der Geldpoliti­k bis zu öffentlich­en Investitio­nen – entscheide­nder Durchbruch. „Es ist das Abc von Ökonomie und ökonomisch­er Theorie“, sagte Robert Aumann, Mathematik­er und Wirtschaft­snobelprei­sträger, der Washington Post.

Stanford, Harvard und Stanford

Arrow kam 1921 als Kind einer jüdisch-rumänische­n Einwandere­rfamilie auf die Welt. Er studierte am City College von New York, damals eine echte Kaderschmi­ede, und machte einen Master in Mathematik an der Columbia University. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er nach Stanford, wo er ab 1949 Ökonomie unterricht­ete. 1968 wechselte er nach Harvard, kehrte aber 1979 nach Stanford zurück, wo er 1991 emeritiert­e. Seine Frau starb 2015. Sie hinterlass­en zwei Söhne.

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Foto: APA/Neubauer Kenneth Arrow schuf das „Abc der Ökonomie“.

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