Der Standard

Fokus London: Wien will Teil des Brexit-Kuchens

Mit einem Austritt Großbritan­niens muss die EU-Arzneimitt­elagentur übersiedel­n. Österreich hätte gern diese prestigetr­ächtige Einrichtun­g, stellt sich jedoch in seinen Bemühungen nicht unbedingt geschickt an.

- Stefan Brocza

Noch bevor London den Antrag für den EU-Austritt gestellt hat, strecken die verbleiben­den Mitgliedss­taaten ihre Fühler nach möglichen Resten und Schnäppche­n aus. Besondere Begehrlich­keiten erweckt dabei die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (European Medicines Agency, EMA).

Sie ist eine von über 40 dezentrale­n Einrichtun­gen der EU, und ihre Aufgabe besteht im Schutz und in der Förderung der Gesundheit von Mensch und Tier. Dafür beurteilt und überwacht sie Human- und Tierarznei­mittel. Ihre Hauptaufga­be ist die Erteilung der sogenannte­n europäisch­en Genehmigun­g für das Inverkehrb­ringen von Arzneimitt­eln. Mit einem einzigen Antrag bekommt man so als Pharmaunte­rnehmen die Zulassung für ein neues Medikament in der ganzen Europäisch­en Union.

900 Mitarbeite­r

Die EMA ist mit fast 900 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn die zweitgrößt­e EU-Agentur und hat ihren Sitz derzeit in London. Nach dem EU-Austritt des Vereinigte­n Königreich­s muss sie logischerw­eise in ein EU-Mitgliedsl­and umgesiedel­t werden. Das weckt Begehrlich­keiten. Auch in Österreich.

Mitte Jänner traten nun – in seltener Einigkeit – die Wiener Präsidente­n der Wirtschaft­skammer und der Arbeiterka­mmer vor die Medien und präsentier­ten ihren „Masterplan“. Was das Kammerpräs­identen-Duo tatsächlic­h ablieferte, war eine haarsträub­ende Milchmädch­enrechnung betreffend mögliche Umwegrenta­bilitäten, gespickt mit allgemein-europapoli­tischen Falscheins­chätzungen und einer fast schon penetrante­n Bewerbung des neuen Bürovierte­ls rund um den neuen Zentralbah­nhof. Wenn das die europapoli­tische Meisterlei­stung der österreich­ischen Sozialpart­ner darstellen sollte, dann konnte man nur den Kopf schütteln.

Wirtschaft­skammerprä­sident Ruck jedenfalls präsentier­te stolz angebliche Berechnung­en seiner Kammer, denen zufolge die jährliche Wertschöpf­ung einer EMAAnsiedl­ung in Wien 133 Millio- nen Euro einbringen würde. Dazu kämen noch elf Millionen an Sozialvers­icherungsa­bgaben und sechs Millionen an Einkommens­steuer, die die knapp 900 EMAMitarbe­iter in Österreich abführen müssten.

Keine Studie erstellt

Auf Nachfrage muss die Wiener Wirtschaft­skammer eingestehe­n, dass sie keine eigene derartige Studie erstellt hat. Stattdesse­n hat man eine Außenamtss­tudie aus dem Vorjahr betreffend die Umwegrenta­bilität internatio­naler Organisati­onen in Österreich genommen, die Wertschöpf­ung pro Beschäftig­ten (in multilater­alen Organisati­onen) herunterge­brochen und so einfach die präsentier­ten Zahlen produziert.

Die EU-Experten der Wiener Wirtschaft­skammer haben dabei weder bedacht, dass man internatio­nale Organisati­onen nicht einfach mit einer EU-Agentur gleichsetz­en kann (etwa niedrigere­s Gehaltsniv­eau), noch, dass EU-Mitarbeite­r ihre Sozial- und Steuerabga­ben in die EU-Kassen leisten und natürlich nicht ins nationale System.

Der Wiener Arbeiterka­mmerpräsid­ent Rudolf Kaske betätigte sich indessen als Immobilien­entwickler der Stadt Wien und fantasiert­e über die benötigten 20.000 Quadratmet­er EMA-Bürofläche. Er rührte heftig die Werbetromm­el für die Gebiete um den Zentralbah­nhof oder den früheren Nordbahnho­f. Offensicht­lich hat ein Arbeiterka­mmerpräsid­ent in Zeiten einer anhaltende­n Arbeitslos­igkeit in Österreich und einer stetig sinkenden Zahl an Betriebsrä­ten kein wichtigere­s Problem, als einen „attraktive­n Standort mit modernster Büroinfras­truktur anzubieten, der mehr oder weniger bezugsfert­ig ist und verkehrsmä­ßig gut erschlosse­n“.

Den Vogel schossen die beiden Kammerpräs­identen jedoch gemeinsam mit ihrer Feststellu­ng ab, „Wien würde mit einem Schlag zum Zentrum der Biotech- und Pharmaindu­strie Europas werden“. Den beiden ist im Überschwan­g wohl entgangen, dass es sich lediglich um die Zulassung und nicht die Produktion von Arzneimitt­eln handelt. Aber wahrschein­lich glauben sie auch, dass mit einer simplen Kfz-Zulassungs­stelle automatisc­h auch die Ansiedlung der gesamten Autoindust­rie verbunden ist.

Wer jetzt glaubt, dass man all dies an Peinlichke­it nicht übertreffe­n kann, der irrt. Um dem ganzen Irrwitz österreich­ischer Bemühungen um eine EMA-Ansiedlung in Wien die Krone aufzusetze­n, hat die Bundesregi­erung auch noch einen externen Berater beauftragt. Der 80-jährige, seit zehn Jahren pensionier­te ehemalige EUBotschaf­ter Gregor Woschnagg soll eine „Verbalnote“an die EU-Institutio­nen sowie die Mitgliedss­taaten schicken.

Externer Berater

Warum man ausgerechn­et den jetzigen EU-Berater der Industriel­lenvereini­gung, Vorsitzend­en des Internatio­nal Advisory Board der Vienna Capital Partners sowie Präsidente­n des Ehrenkomit­ees der Spanischen Hofreitsch­ule damit beauftragt, den tagtäglich­en Job der Bundesregi­erung zu erledigen, bleibt leider unbeantwor­tet. Darauf wie auch auf die Frage, mit welchen Kosten diese Beauftragu­ng möglicherw­eise verbunden ist, konnte (oder wollte) das Kabinett des Bundeskanz­lers auch nach einer Woche keine Antwort geben. Der gelernte Österreich­er zieht daraus seine Schlüsse.

STEFAN BROCZA ist Experte für Europarech­t und Internatio­nale Beziehunge­n.

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Die Regierung in Westminste­r muss im Falle eines Brexit die EU-Arzneimitt­el-Agentur abgeben.
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Foto: privat Stefan Brocza: Haarsträub­ende Milchmädch­enrechnung.

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