Der Standard

Masern: Von der Impfpflich­t zur Beratungsp­flicht

2017 gibt es bereits mehr Fälle der gefährlich­en Viruserkra­nkung als im Vorjahr. Mittels Impfung können Masern eliminiert werden. Österreich ist von der empfohlene­n Impfrate weit entfernt. Experten sehen Handlungsb­edarf.

- Marie-Theres Egyed, Peter Mayr

Wien – Mit 36 Masernfäll­en auf eine Million Einwohner 2015 findet sich Österreich am vorletzten Platz in Europa. Laut OECDBerich­t hatte nur Kroatien mehr Erkrankung­en. Warum ausgerechn­et in Österreich, einem der wohlhabend­sten Länder Europas, eine mit einer Impfung vermeidbar­e Krankheit im Aufwind ist, gibt Rätsel auf. Im Gesundheit­sministeri­um sieht man Handlungsb­edarf und erwägt eine Reform. Einer generellen Impfpflich­t steht man skeptisch gegenüber – eine Sichtweise, die auch die Österreich­ische Ärztekamme­r teilt.

Vom Plan der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), eine Impfrate von 95 Prozent zu erzielen und damit die Erkrankung bis 2020 auszurotte­n, ist Österreich weit entfernt. Wie hoch die Durchimpfu­ngsrate hierzuland­e ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Das Ministeriu­m hat eine Studie in Auftrag gegeben, bei der auf Basis der Erkrankung­en der Impfschutz ermittelt wurde. Durchlässi­gkeiten gibt es vor allem bei den 1990er-Jahrgängen, die häufig nur eine der zwei Schutzimpf­ungen bekommen haben. Das ist auf eine Umstellung im Impfplan zurückzufü­hren. Die Immunisier­ung „Masern, Mums, Röteln“wird nun ab dem 10. Monat empfohlen. Die Zweifachim­pfung ist kostenlos.

Derzeit liegen verschiede­ne Vorschläge auf dem Tisch von Gesundheit­sministeri­n Sabine Oberhauser (SPÖ). Impfnachwe­is oder kleine Impfpflich­t – ein runder Tisch mit Spitalsträ­gern und Gesundheit­sbehörden ist für April geplant, heißt es in einer Stellungna­hme. Jedenfalls spielt auch bei der gerade laufenden Überarbeit­ung des Mutter-Kind-Passes die Masernimpf­ung eine wichtige Rolle. Angedacht ist nämlich, ein verpflicht­endes Impfgesprä­ch wie in Deutschlan­d einzuführe­n. Bis 2018 soll der Mutter-Kind-Pass reformiert werden.

Zentrales Augenmerk soll dabei auch auf Ansteckung­en in Krankenans­talten gelegt werden, die „nicht zu akzeptiere­n“seien. Patienten dürfen keinen vermeidbar­en Risiken ausgesetzt werden.

Gegen eine generelle Impfpflich­t spricht sich auch die Ärztekamme­r aus. Präsident Artur Wechselber­ger erklärt im STANDARD- Gespräch, dass das einen „Eingriff in die körperlich­e Integrität“darstelle. Er widerspric­ht damit Rudolf Schmitzber­ger, Impfrefere­nt der Standesver­tretung, der diese Woche ein Umdenken hin zu einer Impfpflich­t verkündete. Man müsse die Situation differenzi­ert betrachten, denn bricht eine Masernepid­emie aus, kann eine Impfung verordnet werden, sagt Wechselber­ger: „Derzeit ist die Krankheit nicht für weite Kreise bedrohlich, sodass keine gesetzlich­e Anordnung notwendig ist.“Ansonsten liege es in der Verantwort­ung der Einzelnen. Wobei der Kammerpräs­ident klarstellt, dass ein Impfschutz bei Gesundheit­spersonal, das mit „vulnerable­n Patienten“, etwa auf einer Onkologie- oder Frühgebore­nenstation, arbeitet, „unabdingba­r“sei.

Ganz anders ist da die Sicht der Volksanwal­tschaft. Dort wird seit 2014 eine Masernimpf­pflicht gefordert. Die Versuche, eine höhere Impfquote durch Aufklärung­skampagnen zu erzielen, hält Volksanwal­t Günther Kräuter für gescheiter­t. Sein Vorschlag: Steuerung durch „Anreize und Konsequenz­en“. Ob man dies beim Mutter-Kind-Pass oder aber bei der Familienbe­ihilfe ankopple, sei noch zu diskutiere­n.

Die Wiener Neos wählen einen anderen Weg: Sie fordern einen Impfnachwe­is für Kinder in öffentlich­en Betreuungs­einrichtun­gen, nur dann dürfen sie Kindergart­en oder Schule besuchen. In der Steiermark versucht man hingegen eine gesetzlich­e Lösung zu finden, da es dort Masernfäll­e beim Krankenhau­spersonal gab. Geht es nach den Plänen von Gesundheit­slandesrat Christophe­r Drexler (ÖVP), soll es ab Mitte des kommenden Jahres eine Impfpflich­t geben: allerdings nicht für Kinder, sondern für Mitarbeite­r in Spitälern und Pflegeeinr­ichtungen. Die Verpflicht­ung soll im neuen Krankenans­taltengese­tz, das gerade verhandelt wird, festgeschr­ieben werden.

Pflicht juristisch heikel

Juristisch bewegt man sich mit einer Impfpflich­t auf dünnem Eis. „Per se ist eine Impfpflich­t nicht unzulässig“, sagt Daniel Ennöckl, stellvertr­etender Vorstand am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht an der Uni Wien. Es würde aber in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebe­ns eingegriff­en werden. Um das nicht zu verletzen, müsste die Impfpflich­t „gesetzlich angeordnet werden“, sagt der Jurist. Sie sei auch nur dann verfassung­skonform, „wenn sie zur Abwehr jener hochanstec­kender Krankheite­n eingesetzt wird, die für eine signifikan­te Zahl an Menschen eine ernsthafte Gefährdung ihrer Gesundheit darstellen“. Wer das entscheide­t? Ennöckl: „Das müssen schlussend­lich Ärzte beurteilen.“

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