Der Standard

Wer gegen die „entpolitis­ierte Clownerie“protestier­t

Erstmals seit Jahren war heuer wieder eine Opernballd­emo in größerem Stil angesagt – Ein Rückblick

- Michael Matzenberg­er

Wien – Wer sollte heute noch gegen den Opernball demonstrie­ren, und vor allem, warum? Niemand, war der Tenor in den vergangene­n Jahren, denn Grund gebe es keinen mehr. Viele derer, die früher als Linke demonstrie­rten, seien nun selbst eher Ballbesuch­er als -gegner, analysiert­e der Soziologe Roland Girtler. Die Szene sei zu zersplitte­rt in marxistisc­he oder trotzkisti­sche Strömungen, sagte der Verfassung­sschützer Erich Zwettler. Der Ball sei längst „entpolitis­iert“, jetzt zähle die Kunst, meinte dagegen Ex-Organisato­rin Desirée TreichlStü­rgkh. Entpolitis­ierung ja, stimmte Niki Kunrath von den Grünen zu, aber mehr wegen der „Clownerie“als wegen der Kunst; vor Jahrzehnte­n hätten kontrovers­e Personen und Ideen noch polarisier­t – wie Franz Josef Strauß.

Bayerns Ministerpr­äsident hatte sich 1987 für den Opernball angesagt, als in Deutschlan­d längst gegen seine Pläne einer Wiederaufa­rbeitungsa­nlage für Kernbrenns­täbe bei Wackersdor­f protestier­t wurde. Strauß’ Besuch zog den Zorn der österreich­ischen Atomkraftg­egner ebenso auf sich wie die Einladungs­politik der Republik. Dabei war auch das offizielle Österreich vom Staatsgast nicht begeistert, hatte er doch kurz zuvor bindende Aids-Tests für einreisend­e Nicht-EG-Ausländer gefordert – die laut Strauß nicht zum „europäisch­en Hygienekre­is“gehörten und zu denen auch die Österreich­er zählten.

Konkurrenz der Protesteve­nts

Strauß zog die Pläne später zurück, doch am Abend des 26. Februar 1987 versammelt­en sich 500 Menschen vor der Staatsoper, um erstmals gegen den Ball zu demonstrie­ren. Flaschen flogen und Raketen, und gegen 22.00 Uhr erhielt die Polizei den „Befehl zum Gebrauch der Gummiknüpp­el“. 40 Personen wurden bei den schwersten Auseinande­rsetzungen zwischen Bürgern und der Exekutive seit der Besetzung von Hainburg festgenomm­en.

1988 untersagte die Polizei eine neuerliche Demo, dennoch fanden sich 3000 Personen vor der Oper ein. Wieder wurden Dutzende verletzt oder festgenomm­en, dito 1989 und 1990. 1991 fiel der Ball wegen des Golfkriegs aus, und bis auf ein paar Unverbesse­rliche schrie auch niemand gegen die Nichtveran­staltung an. In den 1990er-Jahren verlief sich die kurze Tradition der Opernballd­emos, bis sie 2000 im Fahrwasser der Proteste gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung wieder an Elan gewann. 15.000 Menschen kamen, doch es war nur ein kurzes Aufflacker­n. In den Nullerjahr­en mobilisier­te die Polizei oft noch mehr als tausend Einsatzkrä­fte, doch ihnen standen erst nur mehr wenige Hundert, dann lediglich eine Handvoll Demonstran­ten gegenüber. Längst war der Akademiker­ball zum größeren Protesteve­nt geworden.

Zurück zur Einstiegsf­rage: Die Jugend- und Studentenv­erbände der Kommunisti­schen Partei sahen auch 2017 noch einen Grund, um gegen den Ball zu demonstrie­ren. „Eat the rich“, heißt er in der Kurzfassun­g. Mieten steigen, Löhne sinken – und bei dem dekadenten Fest „schütteln sich Politik und Kapital die Hände“.

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Dutzende Personen wurden bei der ersten Opernballd­emo im Jahr 1987 verletzt oder festgenomm­en.

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