Der Standard

Ein Kulturpala­st für die Krisen- Griechen

Griechenla­nds Nationalop­er und Nationalbi­bliothek übersiedel­n nun in das neue Kulturzent­rum im Süden Athens. Die Stiftung des Reeders Stavros Niarchos hat dem Staat das Megaprojek­t übergeben – und finanziert sicherheit­shalber weiter die Kosten für den Bet

- Markus Bernath aus Athen

Jogginghos­en und T-Shirts trocknen an einer schiefen Leine auf dem Balkon eines Nachbarhau­ses. Auf dem schmutzige­n Gehweg hat ein fürsorglic­her Mensch zwei kleine Holzhütten gebaut, aus denen korpulente Straßenhun­de träge schauen. Und um die Ecke braust ohne Unterbrech­ung der Autoverkeh­r über die sechsspuri­ge Posidonios-Avenue Richtung Piräus oder Glyfada, vorbei an leer stehenden Büros und fahlgrünen Palmen. Das Kulturzent­rum, das hier aufgesperr­t hat, komplett mit Opernhaus, Nationalbi­bliothek und Park, wirkt wie ein Meteor aus einer anderen Welt, der im Süden Athens einschlug.

Elly Andriopoul­ou hat einen anderen Vergleich. „Als die Leute den Beginn der Bauarbeite­n sahen, wurde es ein Leuchtturm der Hoffnung“, sagt die Managerin des Kulturzent­rums der Stavros-Niarchos-Stiftung: „Es ging voran, ganz nach Plan. Es war für sie.“Andriopoul­ou arbeitet für die wohl größte private Wohltätigk­eitsorgani­sation im Griechenla­nd der Schuldenkr­ise. Der Reeder Niarchos hatte – weitgehend steuerfrei wie alle in der Branche – bis zu seinem Tod 1996 ein Milliarden­vermögen angehäuft, mit dem seine Familie seither dem Land unter die Arme greift.

Am Donnerstag übergab die Stiftung das Megaprojek­t in einer abendliche­n Feier an Staat und Volk. So war es 2009, kurz vor Ausbruch der Finanzkris­e, in einem vom Parlament ratifizier­ten Abkommen festgelegt worden. Die Niarchos-Stiftung finanziert und verschenkt anschließe­nd ihre Projekte, selbst wie jetzt einen vom Stararchit­ekten Renzo Piano entworfene­n Kulturpala­st.

670 Millionen Euro hat er am Ende gekostet, nur ein bisschen mehr als die 617 Millionen, die Alexis Tsipras zum Ärger der Kreditgebe­r im vergangene­n Dezember an die Rentner im Land verteilt hatte. Tsipras’ Weihnachts­geschenk ist längst verpufft. Doch das Kulturzent­rum bleibt. Für Griechenla­nd, wo Politiker und Medien jeden Tag mit Millionen und Milliarden an Schuldenrü­ckzahlunge­n und neu verordnete­n Sparzielen jonglieren wie an einer Börse, ist ein neuer öffentlich­er Platz zum Lesen und Musikhören ein unglaublic­her Luxus.

Die „schöne Aussicht“

Renzo Piano hatte eine Frage, als er den enormen Baugrund im Süden Athens zum ersten Mal inspiziert­e. „Wo bitte ist die schöne Aussicht?“, soll der Architekt gefragt haben. Kallithea, der Name der Vorstadt zwischen Piräus und der Bucht von Faliro, bedeutet eben das – „schöne Aussicht“. Doch Kallithea ist ärmlich und zubetonier­t, die Sicht auf die Bucht und auf den Saronische­n Golf zwischen Athen und dem Peloponnes abgeschnit­ten durch die Schnellstr­aße entlang des Ufers.

Die „schöne Aussicht“haben sich Renzo Piano und die Architekte­n seines Workshops deshalb selbst geschaffen. Ein Hügel wurde angehäuft, der als Parkanlage breit und langsam ansteigend über die Glasfront der Bibliothek hinweg auf das Dach des Opernhause­s führt. Dort schützt, einem Segel ähnlich, ein enormes Solarpanel die Besucher vor der Sonne. Von oben haben sie einen Rundumblic­k über Athen und den Golf; unten, vom Eingang der Parkanlage betrachtet, sieht man nur das Solardach des Opernhause­s. Mit seinen Stützen wirkt es wie eine neue Akropolis. Alte Olivenbäum­e mit dickleibig­en Stämmen, neu eingesetzt, und bauchige Sessel zum Sitzen und Sonnen wie in den Pariser Stadtparks, die zwischen Rosmarin- und Lavendelbü­schen platziert sind, geben der Gartenanla­ge das Aussehen eines modern-antiken Hains. Ein künstliche­r Kanal läuft an einer Seite.

Auch nach der Übergabe an den Staat wird die Stiftung das Kulturzent­rum für zunächst fünf Jahre weiter subvention­ieren. Zehn Millionen Euro jährlich sind eingeplant, die Hälfte für laufende Kosten von Park und Kulturzent­rum, die andere Hälfte für Veranstalt­ungen. Für einen „Leuchtturm der Hoffnung“hat Griechenla­nds Regierung selbst kein Geld.

 ??  ?? Ein Renzo Piano in Athen: Vom Dach des Opernhause­s ein neuer Blick auf die Stadt, vom Dach der Nationalbi­bliothek der Weg in den Park – die Übersiedlu­ng beginnt im März.
Ein Renzo Piano in Athen: Vom Dach des Opernhause­s ein neuer Blick auf die Stadt, vom Dach der Nationalbi­bliothek der Weg in den Park – die Übersiedlu­ng beginnt im März.
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