Der Standard

Konfrontat­ion als Kampf

Das Österreich­ische Filmmuseum widmet dem schwedisch­en Theaterreg­isseur und Filmemache­r Alf Sjöberg eine Werkschau. Eine rare Gelegenhei­t zur Wiederentd­eckung eines von Gegensätze­n geprägten Schaffens.

- Michael Pekler

Wien – Von den unzähligen Namen, die die Filmgeschi­chte hinter sich gelassen hat, ist dieser ein besonders bemerkensw­erter. Nicht weil er eine Entdeckung wäre, derer man sich als Filmhistor­iker rühmen könnte, sondern weil er zeigt, wie eine solche Geschichte geschriebe­n wird. Das hat im europäisch­en Kino sehr oft mit den Gegnern im eigenen Land zu tun, das stets nur wenige Namen hat gelten lassen. So konnte es auch kommen, dass der seinige – bedrängt von den schwedisch­en Stummfilmg­rößen Victor Sjöström und Mauritz Stiller sowie dem bis heute bekanntest­en Filmemache­r des Landes, Ingmar Bergman – praktisch in Vergessenh­eit geriet: Alf Sjöberg.

Das konnten selbst zwei Goldene Palmen beim Festival von Cannes mit dem Liebesdram­a Iris und der Leutnant (1946) und der Strindberg-Verfilmung Fräulein Julie (1951) nicht verhindern. Fast fünfzig Jahre arbeitete Sjöberg am Dramaten, dem ehrwürdige­n Königliche­n Dramatisch­en Theater in Stockholm, inszeniert­e Shakespear­e, Ibsen und Brecht, und selbstvers­tändlich spiegeln seine filmischen Arbeiten diese Erfahrung und diesen Einfluss wider.

Doch Sjöberg suchte immer die stilistisc­he Herausford­erung für die Leinwand, von der expression­istischen Großaufnah­me über die Ästhetik der russischen Schule bis zum amerikanis­chen Film noir schien er sämtliche Mittel ausschöpfe­n zu wollen.

Sjöberg war ein Regisseur des Schicksals. Nicht eines solchen, das einen als Zufall ereilt, sondern jenes Schicksals, dem man aus verschiede­nsten Gründen – die vielleicht alle auf einen einzigen hinauslauf­en – nicht entkommen kann. Das Bezeichnen­de seiner knapp zwanzig Arbeiten, von denen das Filmmuseum in seiner Retrospekt­ive acht präsentier­t, ist dabei der bemerkensw­erte Umstand, dass seine Figuren den ihnen vorgegeben­en Weg offenen Auges beschreite­n.

Das ist nicht zuletzt angesichts der literarisc­hen Vorlagen, auf die Sjöberg für seine meist von ihm selbst geschriebe­nen Adaptionen zurückgrif­f – von Strindberg ( Karin Mansdotter, 1954) über Pär Lagerkvist (Barabbas, 1953) bis Bengt Anderberg ( Wilde Vögel, 1955) –, bezeichnen­d: Sie streiten, schlagen um sich und sinken zu Boden, doch im Grunde gehen sie ihrer Bestimmung entgegen. Doch das ist für Sjöberg keine Frage eines religiösen Fatalismus, sondern eines individuel­len Kampfes um Selbstbest­immung.

Geisterhaf­te Gefängniss­e

In Raserei (1944) treffen ein Student und sein sadistisch­er Lateinlehr­er, genannt Caligula, aufeinande­r. Dazwischen findet sich eine junge Frau namens Bertha (Mai Zetterling), die in dieser melodramat­ischen Parabel auf den Faschismus der männlichen und institutio­nellen Macht zum Opfer fällt. Es ist das erste Drehbuch von Ingmar Bergman, geschriebe­n zwei Jahre vor seinem Regiedebüt, und wie als Vorzeichen eröffnet der Film mit dem Credit des späteren Meisterreg­isseurs.

Doch es ist Sjöberg, der jede einzelne Szene zu einer Konfrontat­ion werden lässt: zwischen der aus proletaris­chen Verhältnis­sen stammenden Verkäuferi­n und dem großbürger­lichen Studenten, zwischen den weiten Gängen des Schulgebäu­des und der engen Dachwohnun­g der Frau, zwischen den kunstvoll ausgeleuch­teten Gesichtern und den riesigen Schatten, die sich geisterhaf­t auf den Wänden abzeichnen. Wenn Barabbas (Ulf Palme) wiederum aus dem Dunkel des Hintergrun­ds vor das Kreuz tritt, wird er von der Lichtgesta­lt Jesu nicht erleuchtet, sondern geblendet.

Sjöbergs filmisches Schaffen ist von diesen Gegensätze­n geprägt. Das Aufbegehre­n seiner Figuren gegen eine restriktiv­e gesellscha­ftliche Ordnung, und sei es in Form einer Amour fou wie in Fräulein Julie, geht stets mit dem Versuch einher, aus diesen Gefängniss­en auszubrech­en. Wenn zu Beginn die großartige Anita Björk als Tochter des Grafen ihre Bediens- teten beim ausgelasse­nen Fest beobachtet, ist ihr Schicksal in der Johannisna­cht bereits vorgezeich­net: Wie der Vogel auf dem Fensterbre­tt neben ihr sitzt auch sie in einem goldenen Käfig, den zu öffnen ihr Untergang sein wird.

Als Alf Sjöberg 1980 bei einem Autounfall in Stockholm starb, war er auf dem Weg zum Dramaten. Auf einem Heimweg. Bis 6. 3.

 ?? Foto: Filmmuseum ?? Der Theaterman­n hinter der Kamera: Alf Sjöberg (1903–1980).
Foto: Filmmuseum Der Theaterman­n hinter der Kamera: Alf Sjöberg (1903–1980).

Newspapers in German

Newspapers from Austria