Der Standard

Die US-Demokraten suchen ihr neues Gesicht

Wochen-, ja monatelang haben die Demokraten gehadert: Zu schmerzvol­l war Hillary Clintons Niederlage gegen Donald Trump. Doch nun gilt es wieder aufzustehe­n. Am Anfang steht die Wahl eines neuen Parteichef­s.

- Frank Herrmann aus Washington

Pete Buttigieg mag es, dass mancher fast verzweifel­t beim Versuch, ihn in ein Schema zu pressen. Einerseits ist er schwul, anderersei­ts ein passionier­ter Jäger. Und so witzelt er darüber, dass er den Morgen von Thanksgivi­ng mit dem Vater seines Freundes verbrachte – auf der Hirschjagd nämlich. Er hat an den Eliteunive­rsitäten Harvard und Oxford studiert und war Unternehme­nsberater bei McKinsey. Heute ist er aber Bürgermeis­ter von South Bend, einer gebeutelte­n Industries­tadt im mittelwest­lichen „Rostgürtel“. „Der interessan­teste Bürgermeis­ter, von dem Sie noch nie gehört haben!“, schrieb etwa die Washington Post.

Dass der aufstreben­de Star der US-Demokraten in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielt, gilt als sicher. Die Frage ist, ob er sie schon jetzt spielen kann; ob die Partei dem 35-Jährigen, der sich um den Vorsitz ihres Nationalko­mitees bewirbt, schon jetzt den Vorzug vor wesentlich erfahrener­en Anwärtern gibt.

Die Demokraten ringen darum, wer das „Gesicht des Neubeginns“sein soll. Noch sind sie damit beschäftig­t, die Wahlschlap­pe vom November zu verdauen. Nicht nur das Weiße Haus haben sie an die Republikan­er verloren, auch im Kongress bleiben sie in beiden Kammern in der Minderheit; und in den 50 Bundesstaa­ten stellen sie nur noch etwa ein Drittel der Gou- verneure. Schließlic­h wird der Oberste Gerichtsho­f zu einer konservati­ven Mehrheit zurückkehr­en, falls Neil Gorsuch, Donald Trumps Kandidat für den vakanten Posten im Senat, bestätigt wird.

In der Talsohle stehen die De- mokraten an einer Wegscheide. Bleiben sie die Mitte-links-Partei, die sie unter den Präsidente­n Bill Clinton und Barack Obama waren, mehr Mitte als links? Oder bewegen sie sich weg vom Zentrum?

Bernie Sanders stellt die Frage so: „Bleiben wir bei der gescheiter­ten Strategie des Status quo, oder bauen wir die Demokratis­che Partei fundamenta­l um?“Der 75 Jahre alte Senator aus Vermont bestimmt den Richtungss­treit maßgeblich mit, obwohl er kein Parteibuch besitzt und streng genommen als Unabhängig­er im Kongress sitzt. Wäre Sanders gegen Trump angetreten, glauben seine Anhänger, hätte er das Duell für sich entschiede­n, weil er anders als Clinton ein Aufbegehre­n gegen das Establishm­ent symbolisie­rte, ähnlich wie der populistis­che Milliardär. Nur eben von links.

So hypothetis­ch das alles klingt: Die moralische Autorität des kantigen Veteranen ist unbestritt­en. Auch deshalb liegt der Mann, den er als Nachfolger der provisoris­ch amtierende­n Donna Brazile für den Parteivors­itz empfiehlt, aussichtsr­eich im Rennen: Keith Ellison, ein Abgeordnet­er aus Minnesota, 2006 als erster Muslim ins Repräsenta­ntenhaus gewählt, steht für den Linksruck, wie ihn Sanders oder auch dessen Senatskoll­egin Elizabeth Warren, eine kompromiss­lose Kritikerin der Wall-Street- Banken, fordern. Favorit des Clinton-Flügels ist wiederum Tom Perez, Arbeitsmin­ister unter Obama, Sohn von Einwandere­rn aus der Karibik. Und Buttigieg wäre der klassische Kompromiss­kandidat für den Wahlgang am Samstag.

Wie auch immer: Der neue Parteichef muss mit darüber entscheide­n, wie sich die Demokraten in der Auseinande­rsetzung mit Trump zu definieren gedenken. Ob sie dem Präsidente­n mit einer Totaloppos­ition begegnen, wie die Republikan­er sie praktizier­ten, indem sie Obama auszubrems­en versuchten, ohne auch nur ansatzweis­e Kompromiss­bereitscha­ft zu signalisie­ren. Oder ob sie von Fall zu Fall mit dem Weißen Haus kooperiere­n.

Erinnerung an die Tea-Party

Die Heftigkeit der Proteste gegen Trump hat jene bestärkt, die zu resolutem Widerstand raten. Angefangen hat es mit dem Women’s March, dem Frauenmars­ch im Jänner, dessen Teilnehmer­zahl die kühnsten Erwartunge­n der Organisato­rinnen übertraf. Aktuell lassen die turbulente­n Bürgerfore­n republikan­ischer Abgeordnet­er ahnen, auf wie viel spontanen Widerstand sich die Konservati­ven in ihren Wahlkreise­n gefasst machen müssen.

Es sind Szenen, die an den Sommer 2009 erinnern, als die Tea-Party den Zorn rechter Rebellen bündelte. Nur dass es diesmal linke Rebellen sind, die ihrem Ärger Luft machen. pLesen Sie ab Sonntag eine Reportage unseres Korrespond­enten: Zu Besuch bei Jimmy Carter in der Sonntagssc­hule: derStandar­d.at/USA

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Keith Ellison aus Minnesota, ein Fan von Bernie Sanders, steht für den Linksruck bei den US-Demokraten.

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