Der Standard

Mit Glück und Verstand

Kleine Erinnerung an Walter Shawn Browne, Homo ludens. Von ruf & ehn

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Es ist eine seltsame, auf den ersten Blick überrasche­nde Wanderbewe­gung inmitten der großen Migrations­ströme der Gegenwart: Immer mehr Schachgroß­meister zieht es vom Schachbret­t an den Pokertisch. Vielleicht ist der Exodus aber gar nicht so überrasche­nd. Im modernen Poker wie im Schach müssen ständig Varianten und Wahrschein­lichkeiten berechnet werden, Turniere brauchen Nervenstär­ke über viele Stunden, auch Glück braucht es manchmal in beiden Spielen. Der große Unterschie­d besteht in den Verdienstm­öglichkeit­en: Nur auf der allerhöchs­ten Ebene können die Preisgelde­r beim Schach mit jenen bei Pokerturni­eren mithalten.

Einer der ersten prominente­n Pokeremigr­anten war Walter Browne. Nicht mit Schach, sondern mit Poker finanziert­e der 1949 in Australien geborene USGroßmeis­ter ab den 70erJahren einen angenehmen Lebensstil, mit vielen Kleinigkei­ten – unter anderem einer Villa in den Bergen nahe Berkeley –, die ihm das Schachspie­l nie hätte bieten können. Wie Bobby Fischer wuchs Browne in Brooklyn auf, wie Fischer verließ er auch die Schule vorzeitig, um Schach zu spielen. Rasch entwickelt­e sich Browne zu einem aggressive­n Angriffssp­ieler von Format, er liebte das Blitzspiel, die Zeitnot war allerdings auch ständige Begleiteri­n in seinen Partien mit klassische­r Bedenkzeit. Ein seriöser Anwärter auf die Weltmeiste­rschaft war Browne deshalb nie, aber im Laufe seiner langen Karriere gewann er unter anderem die internatio­nalen Turniere von Wijk aan Zee und Reykjavík, mehrfach fast alle großen US-Turniere, unter anderem war er elffacher Sieger beim US-National Open, die US-Meistersch­aft entschied er zwischen 1974 und 1984 nicht weniger als sechs Mal für sich.

Browne hielt sich für einen der besten PokerSpiel­er der Welt. Auch im Schach übertraf sein Selbstbewu­sstsein das aller anderen Kollegen. Nach seiner einzigen Partie gegen Fischer, die unentschie­den endete, sagte er: „Ich hätte ihn schlagen können, aber ich dachte, diesmal schenke ich ihm das Remis und erledige ihn bei der nächsten Gelegenhei­t. Ich konnte ja nicht wissen, dass er zurücktrit­t. Fischer ist ein Gott, aber ich bin der Teufel!“Selbst an seinem letzten Wochenende im Juni 2015 spielte der 66Jährige in Las Vegas Schach auf allerhöchs­tem Niveau. Nach einem zusätzlich­en Simultan auf 25 Brettern verlor Browne seine letzte Partie in der darauffol- genden Nacht friedlich im Schlaf.

Browne war bekannt und gefürchtet für seine unerwartet­en Züge und seine zahlreiche­n Kurzpartie­n gegen renommiert­e Großmeiste­r. Hier zwei seiner harten Wortwechse­l mit Yasser Seirawan und Ljubomir Ljubojević.

Seirawan – Browne Lone Pine 1979

Anglohollä­ndisch.

Ungestüm wie immer stürzt sich Browne in den Kampf.

Mit diesem extravagan­ten Manöver, das Ld3 nebst Te1 droht, hoffte Seirawan die schwarze Eröffnung zu widerlegen.

Sonst kam nur das unklare 11... Db4 infrage. Ein Bauernopfe­r, um Turm und Läufer zu befreien.

Wagt sich weit nach vorn. einer tiefen Falle. Seirawan glaubt den Springer einsacken zu können. Der einzige Versuch war 16.Sa4 Dxc4+! 17.Kxc4 La6+ 18.Kc3 Lxe2 19.Dxd4! Lxd4+ 20.Kxd4 Tb4+ 21.Ke3 und Weiß lebt.

Ein wuchtiges Damenopfer, das den König in die Wildnis hinauszerr­t.

Was sonst? (18.Kc5 d6 matt)

Und schon 0-1, denn auf 19.Kd3 folgt 19… Sd4+! 20.Kd2 Txb2+ 21.Ke1 Txe2+, auf 19.b4 oder 19.Kb4 Sc3+ nebst Sxd1.

Browne – Ljubojević Tilburg 1978 Mit

Rubinstein­s Nimzoinder.

Andere Methoden sind 7... Sc6 8.a3 Lxc3 9.bxc3 Dc7 10.cxd5 exd5 11.a4 oder 7... dxc4 8.Lxc4 Sbd7 9.De2 a6.

Die Isolierung des Bd4 nebst Fianchetto des Läufers sind Karpows Ideen.

Eine bemerkensw­erte Neuerung. Üblicher ist 13.Ld3 Te8 14.De2 Lxc3 15.bxc3.

Die falsche Reaktion. Es ging 13... Lxf3 14.Dxb4 La8 und auch 13... Le7 14.Se5 Sxe5 15.dxe5 Sd7 16.Lxe7 Dxe7.

Brownes Schockzüge! Nichts brachte 14.Se5. Erzwungen, denn 14... Lxd5 15.Sxd5 verliert, während 14... Tb8 15.Lxb7 Lxc3 16.Dxc3 Txb7 17.d5! zu einer schlechten Stellung führt. Zwingt Schwarz zur Klärung, denn 15... Sb8 16.Lxf6 gxf6 17.Le4 Dd6 18.Lb1 führt zum Verlust. Danach geht es rasch bergab. 17... Dd7 18.Da3 Tfd8 hielt die Stellung. Zäher 18… Dc7. Bereitet den Schwenk der Dame auf den zerstörten Königsflüg­el vor. Auf 20... e5 folgt ebenfalls 21.Db4. Oder 21... Tfe8 22.Df4 23.Sh4! nebst Sf5. Kf8

Der letzte Streich! Es droht vernichten­d Lc2 nebst Sf5, aber auch Te3g3, deshalb 1–0.

 ??  ?? Daheim am Schachbret­t wie am Pokertisch: US-Großmeiste­r Walter Browne (1949–2015).
Daheim am Schachbret­t wie am Pokertisch: US-Großmeiste­r Walter Browne (1949–2015).
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10.Lg5 Lb7 11.Te1 Sbd7 12.Tc1 Tc8 13.Db3!? 23.Sd4!
4… 0–0 5.Ld3 c5 6.Sf3 d5 7.0–0 cxd4 dxc4 10.Lg5 Lb7 11.Te1 Sbd7 12.Tc1 Tc8 13.Db3!? 23.Sd4!
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18.Da5 Db7? 19.Lxf6
15… Lxc3 16.bxc3 Sb8 17.Lb3 b5? 18.Da5 Db7? 19.Lxf6
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14.Ld5!!
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16... Dxc4+!!
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