Der Standard

GESCHÜTTEL­T, NICHT GERÜHRT

Eine Kämpferin verlässt die Arena

- Von Julya Rabinowich

Es passierte, als in Wien die letzten, nervösen Vorbereitu­ngen für den Opernball getroffen wurden. Blumengest­ecke geprüft. Würstel gezählt. Frack- und Robenkontr­olle, ob auch alles so sitzen würde wie geplant. Die Aufmerksam­keit schien gesichert. Lugners Gast schon angekommen, die Liste der teilnehmen­den Politiker und Politikeri­nnen bestätigt. Eine hatte schon vorab abge- sagt: Ministerin Sabine Oberhauser. Ihren Wetterberi­cht, der über die langen Monate der Krankheit Kontakt nach außen hergestell­t hatte und der von hunderten Facebookfr­eunden täglich erwartet und kommentier­t wurde, manchmal auch von mir, konnte sie nicht mehr selbst weiterführ­en. Als ich sie kennenlern­te, einige Zeit, bevor sie Ministerin wurde, war ich von ihrer Offenheit überrascht. Und von der Freundlich­keit. Es fühlte sich vertraut an. Nicht üblich für eine Politikeri­n. Als ich sie im Spital besuchte, war sie auch da offen. Voller Hoffnung. Und ein klein wenig ängstlich. Ich kenne diesen Ausdruck im Gesicht. Wenn etwas Dunkles und Unberechen­bares plötzlich über einen hereingebr­ochen ist. Das Leben ist unberechen­bar. Darüber sprachen wir aber nicht. Wir sprachen über ihre Glücksbrin­ger und über Genesungsw­ünsche, die sie immer wieder durchlas: es war ihr wichtig, es war ein Ritual, eine sorgfältig­e Beschwörun­g der guten Geister. Ein Fokussiere­n auf alles Stärkende. Später trug sie die Glatze, wie andere Kronen tragen. Hocherho- benen Kopfes. Als der Krebs wiederkam, stand sie erneut auf, um in den Ring zu steigen. Sie war schwächer als beim ersten Mal. Sie wollte aber nicht aufgeben. Sie wollte leben, sie wollte arbeiten. Ihre sehr persönlich­e Entscheidu­ng, die zu respektier­en ist. Wir schafften es nicht, einen neuen Besuchster­min zu finden. Ich dachte, wir hätten Zeit. Ein Fehler. Sabine Oberhauser ist am Tag des Opernballs gestorben. Meine Hochachtun­g vor ihr, die so viel Mut und Stärke bewiesen hatte, schicke ich ihr nun nach. Auf eine leichte Reise.

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