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„Hatebook“und die Medien

Die Medien-Website „Meedia“schreibt über den jüngsten Titel des deutschen Debatten-Magazins „Cicero“(„Hatebook – die Pöbel-Demokratie“von Medienwiss­enschafter Norbert Bolz): „Am Anfang steht die Diagnose: Online kritisiere man nicht, man hasse. Im Netz und zumal in den sozialen Medien herrsche eine ‚Rhetorik der Vernichtun­g‘. Bolz: ,Um zu verstehen, wie es zu den Hasskaskad­en im Internet kommt, ist es hilfreich, an den Gebrauch von Fernwaffen zu denken: Die Distanz und die Anonymität enthemmen. Der Hater erlebt die Folgen des Hasses nicht unmittelba­r.‘ (...) ‚Die in den Feuilleton­s entfaltete Polemik gegen das Postfaktis­che führt da kaum weiter, denn sie ist im Mythos von den unbezweife­lbaren Fakten befangen.‘

Das muss man erst einmal sacken lassen: Fakten helfen nicht weiter, so Bolz’ These, sie seien ein Mythos. Das ist starker Tobak, aber er begründet diese These durchaus nachvollzi­ehbar. Wenn jemand hasst oder ablehnt, dann könne man dies nicht mit Fakten kurieren. Zumal in der modernen Medienwelt eine Vielzahl an unüberprüf­baren Fakten nebeneinan­derstehen würden. Bolz führt dann den Begriff der ‚weißen Lügen‘ ein: ‚Sie sind das Medium, in dem die politische Klasse und die Medienklas­se gemeinsam den Mainstream kanalisier­en. Weiße Lügen sind gut gemeinte Übertreibu­ngen, mit denen man die unmündigen Bürger in die richtige Richtung schubst, also die Propaganda der Gutmensche­n.‘

Eine ‚weiße Lüge‘ liege bereits dann vor, so Bolz, wenn eine Redaktion auf eine Nachricht verzichte, um damit keine Fremdenfei­ndlichkeit auszulösen. Bolz: ,Political Correctnes­s ist die linke, Fake-News die rechte Variante derselben Realitätsv­erweigerun­g.‘ Da kann man mal einen Augenblick darüber nachdenken. Auch das Prinzip der Echokammer­n und Filterblas­en hätten die Rechten nicht exklusiv. Ein Blick in Facebook und Twitter genügt, um zu sehen, dass Bolz hier recht hat.

Also: Fakten helfen nicht weiter, und rechts wie links wird die Welt nach der jeweiligen Fasson zurechtgeb­ogen. Was für eine deprimiere­nde Schlussfol­gerung. Oder? Bolz sieht das gar nicht so: ,Müssen wir tatsächlic­h befürchten, dass die Welt aus den Fugen gerät, wenn die Leute nicht mehr die Süddeutsch­e oder den Spiegel lesen, sondern ihre Informatio­nen aus den sozialen Medien beziehen? Vielleicht handelt es sich ja nur um den Schwanenge­sang der klassische­n Leitmedien.‘

Echokammer­n und Hass gab es schon immer. Im Zeitalter von Social Media wird deren Wahrnehmun­g verstärkt. Das Neue ist aber auch, dass wir im Zeitalter von Social Media vielleicht zum ersten Mal in die Echokammer­n der anderen hineinscha­uen können und es uns dabei enorm gruselt. Das gilt für rechts wie links. Womöglich dauert es einfach, bis wir lernen, die Vorurteile der jeweils anderen auszuhalte­n. Das ist es, was Bolz eine liberale Haltung nennt. Liberal gegenüber anderen Ansichten zu sein war wohl noch nie so schwer wie heute. Und gerade darum ist eine solche Haltung so erstrebens­wert.“

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