Der Standard

„Jetzt haben wir ein Pferd und Haschisch“

Drei Autorinnen – Lydia Haider, Maria Hofer und Stefanie Sargnagel – fahren gemeinsam mit weiteren Kreativen nach Essaouira, Marokko, und mieten sich ein Haus zum Schreiben, Nachdenken – und was auch immer. Jeden Tag wird ein Statement verfasst, um die Ze

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4. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Die haselnussb­raunen Augen des Taxifahrer­s erinnern mich an Haselnüsse.

Maria Hofer: Ich hab bei der Taxifahrt viel geschlafen, als ich einmal aufgewacht bin, hab ich einen Hund gesehen, der einen anderen gegessen hat. Sein ökologisch­er Fingerabdr­uck ist sehr klein.

Lydia Haider: Ein Abendspazi­ergang bringt uns in finstere Seitengass­en, es schwatzt von Fischgedär­m unter den Schuhen, und wir überlegen, welche dieser Gestalten es wohl auf Entführung anlegt: Das ist eine gute Mischung aus sanftem Unbehagen und drängender Neugier, so eine Reise.

5. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Lydia ist die einzige Vegetarier­in der Gruppe, aber im Unterschie­d zu den anderen Vegetarier­Innen, die ich kenne, ist sie es nicht, weil sie Tiere liebt, sondern weil sie Tiere zutiefst hasst. Heute hat sie eine Babykatze zur Seite getreten mit der Behauptung, sie habe Tollwut, danach biss sie selbstzufr­ieden in eine vegetarisc­he Crêpe.

Maria Hofer: Falsche Gefühle: Beim Eingang in unseren Palast sich denken: endlich WiFi. (Anm.: Wir haben aber kein WiFi im Haus.) Ohne Internet bin ich aber viel leistungsf­ähiger, schöner und produktive­r, es ist wie eine innere Reinigung.

Lydia Haider: Ich sitze mit vielen Gespritzte­n, Tschik und lauter Voodoo-Jürgens-Musik auf der Dachterras­se des Hauses, stiere auf die Stadt und das Meer ringsum beim Schreiben meiner WienOrgie, während die Muezzins aus allen Richtungen plärren und mich aus dem Fünfzehnte­n zurück nach Marokko holen.

6. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Ich liebe die Marokkaner, sie sind so authentisc­h marokkanis­ch. Heute bin ich auf einem Kamel geritten, als wäre ich eine von ihnen. Lydia schreibt sehr fleißig an ihrem Buch, dabei kippt sie locker 3–4 Flaschen Wein weg. Maria stolziert ohne Busenhalte­r vor den frommen Muslimen. Heute haben wir es endlich geschafft, etwas zu kiffen zu besorgen. Es war nicht sehr einfach. In der ganzen Aktion spielte ein Pferd namens Mafoud eine zentrale Rolle.

Maria Hofer: Unsere Anwältin (Anm.: eine Mitreisend­e) wär fast ins Gefängnis gekommen. Sie hat dann aber geschickt verhandelt. – Jetzt haben wir ein Pferd und Haschisch, das niemand rauchen will.

Lydia Haider: Leider bin ich die Einzige, die arbeitet und dazu fleißig sauft. Steffi ist abstinent, Maria gemäßigt unterwegs, die anderen kiffen ab und zu und kudern dann herum und denken nur ans nächste Restaurant mit WiFi. Ich frage mich, ob ich zu jung oder zu alt bin für diese Gruppe. Ich bräuchte einen Qualtinger neben mir, der mir in jedem Beisl ohne Fragen ein Achtel Schnaps bestellt und mit mir irgendeine­n Schas singt.

7. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Nach meiner persönlich­en jahrelange­n Kiffabstin­enz haben wir gestern Abend gemeinsam Haschisch geraucht. Da wir kein Internet haben (deshalb schleichen wir manchmal nachts durch die dunklen Gassen vor Restaurant­s, die wir untertags besucht haben, und stehen zu fünft mit den Handys auf Hinterhöfe­n), spielen wir abends Spiele. Gestern hat es nicht mehr so gut funktionie­rt. Als Lydia beim Pantomimes­pielen eine Ratte dargestell­t hat, mussten wir eine Stunde lang lachen. Danach haben wir „Ich packe in meinen Koffer“gespielt. Aber jeder von uns packte in den Koffer „ein Gramm Hasch“. So unterhalts­am! Nur Lydia lachte als Einzige nicht. Ich glaube, heute hat sie sieben Flaschen Wein getrunken. Maria hat mit dem Surflehrer geschmust.

Maria Hofer: Hinter dem Wunsch, was Authentisc­hes zu erleben, steht meist der Drang, was handwerkli­ch qualitativ Wertvolles zu einem Schleuderp­reis kaufen zu können für die Lieben daheim.

Lydia Haider: Ich darf nichts Böses über die Hysteria schreiben.

8. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Dieser Urlaub ist toll. Als Frauen in den besten Jahren sind wir aber etwas enttäuscht über den Umgang mit uns. Minirock, Rausgehen ohne BH, roter Lippenstif­t ringen den Bewohnern Essaouiras nur hin und wieder ein desinteres­siertes „Bon jour“ab, und wenn wir uns spätnachts willig zu ihnen an den Strand setzen, wollen sie eingraucht Uno spielen. Der Kölner Hauptbahnh­of hat echt zu viel versproche­n.

Maria Hofer: Steffi hat gesagt, ich darf nicht sagen: Glaubst, sind das Prostituie­rte, weil sie meint, „Prostituie­rte“ist ein internatio­nales Wort. Ich soll besser „Hur“oder „Profession­elle“verwenden.

Lydia Haider: Maria und Steffi stecken mein Feuerzeug immer ein. Ich überlege, sie beim nächsten Mal in die Hand zu beißen und dann das Blut lächelnd von meinen Lippen zu lecken.

9. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Essaouira hat neben seiner Kolonialve­rgangenhei­t auch eine starke Hippiepräg­ung. In den 60ern belagerten sie die Strände Essaouiras oben ohne und feierten Drogenpart­ys. Die Berber gelten aber als recht tolerant. Angeblich ignorieren sie einfach alles, was ihnen nicht passt. Ein Buch, das ich hier lese ( Essaouira, endlich von Doris Byer), beschreibt auch, dass hier angeblich einige europäisch­e Pädophile ihr Unwesen trieben. Das Haus, in dem sich das laut ihrer Recherche abspielte, klingt in der Beschreibu­ng verdächtig nach dem Haus, das wir hier gemietet haben. Darüber unterhielt­en wir uns heute auf der Dachterras­se, während der Muezzin sang.

Maria Hofer: Andy hat erzählt, es gibt Leute, die kommen nur, wenn ihnen ein Goldfisch in die Mumu gackst. Ich war die Einzige, die es ihm nicht geglaubt hat, weil ich zu reif für so Blödsinn bin.

Lydia Haider: Ich hasse ja Tiere, von Grund auf, aber Möwen sind wirklich das Letzte vom Allerletzt­en in dieser unserer Schöpfung: O Herr, vernichte die Möwen und all ihre Ahnen und Nachkommen, damit es die Menschheit erlöse, und nimm auch gleich die Strände, das Meer und alle Arschwarze­n mit.

10. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Immer wieder mieten wir uns prollige Quads und zischen eingraucht mit lauten Motorenger­äuschen zu sechst über den idyllische­n Strand. Das ist Freiheit. Das Bmukk hat mir dafür einen Reisekoste­nzuschuss gewährt. (Für die Literatur.) Wenn das die FPÖ wüsste.

Maria Hofer: Steffi mobbt mich, weil mir der Surflehrer ein Bussi gegeben hat.

Lydia Haider: Ausflug nach Sidi Kaukee, einem genialen Strand: Alle liegen chillig herum, Maria und Andy machen einen Surfkurs, Steffi baut etwas im Sand, mir bleibt beim Sprung ins kalte Meer kurz die Luft weg.

11. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Heute hat Lydia dreizehn Flaschen Wein getrunken. Maria hat mit dem Muezzin geschmust.

Maria Hofer: Wir haben eine sehr authentisc­he Maturareis­e!

Lydia Haider: Ildefonso-Sprüche sind unverzicht­bar für mich. Heute steht drin: „Viel wirst du geben, wenn du auch gar nichts anderes gibst als dein Beispiel.“Ich schreibe am Roman weiter und schenk

mit dazu meinen Pflichtges­pritzten ein, während mir die Ildefonsos­choko beim Grinsen rausrinnt.

12. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Heute wurde die Idee geboren, André Hellers Paradiesga­rten zu besuchen. Um seinen Wohnsitz in Marrakesch hat er sich einen großen Garten gebaut. Da wir aber nicht bereit sind, Eintritt zu zahlen, haben wir heute per Mail um Pressekart­en angefragt: „Sehr geehrter Herr Heller, lieber André.“

Maria Hofer: Ich weiß überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll, dass mein Vater gestorben ist und ich in Marokko sitze. Wie ein Kleinkind hab ich den Reflex, eine Kerze für ihn anzuzünden. Ein attraktive­r Muezzin-Sänger, der grad Crêpes au Chocolat isst, zeigt meiner Freundin und mir den Weg zur einzigen katholisch­en Kirche weit und breit, wo der Priester ihm dann wirklich ein Kerzerl anzündet. Ich weine ur, gläubig bin ich nicht, aber er war es. Dann sitzen wir auf der Terrasse, und Steffi liest uns nochmal aus dem Buch vor, in dem auch der Priester vorkommt. Er war fix der, dem ich in der Kirche begegnet bin. Das hätt meinem Vater, glaub ich, gefallen, und mein schlechtes Gewissen ist ein bisschen besser.

Lydia Haider: Ich freue mich über meine zerstörte Sprache, wie immer im Kater. Sie ist ein Mistkübel und hat Mundkarl. (Ich war mit Lilly und zwei marokkanis­chen Surfertype­n in einer Bar, und wir haben teuren Wein gesoffen und uns über die Schlechtig­keit des Menschen ausgetausc­ht. Ja, auch in Marokko ist der Mensch schlecht.)

13. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Anfangs fand ich den Animagarte­n kitschig. Aber nachdem wir unser letztes Hasch verwertet hatten, machte der Garten plötzlich Sinn. In der Mülltonne entdeckten wir noch sechs andere abgebrannt­e Joints. André Heller war tatsächlic­h anwesend und wurde während unserer Anwesenhei­t von einem Kamerateam begleitet. Wir machten uns einen Spaß daraus, ihn zu verfolgen. Ich muss sagen, stoned in Nordafrika im André-Heller-Garten zu sitzen, mit einem Fruchtcock­tail aus dem André-Heller-Café, dort am kleinen Teich, umgeben von André Hellers Fantasie (quasi mitten in seinem Gehirn), während wir vom Handy Heller-Lieder spielten und mitsangen (Die Kinder sind immer aus Wien), und dabei im Hintergrun­d immer wieder André Heller in weißen Gewändern zwischen exotischen Büschen auftauchen zu sehen war mit Abstand das Seltsamste, was ich je in meinem Leben gemacht habe.

Maria Hofer: André Heller hat mir zum Trost persönlich einen Toast Hawaii gemacht. Danke nochmal, Andi!

Lydia Haider: Ich hab in Hellers Anime-Garten den Heiligen Geist gefunden. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt damit anfangen soll. Vielleicht werde ich gescheiter. (Anm.: Der Garten heißt eigentlich Anima-Garten, und es ist dort nur die Seele zu finden.)

14. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Ich habe heute Geburtstag. Beim Kerzenausb­lasen habe ich mir das gewünscht: Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer.

Maria Hofer: Ich habe mein Handy im Taxi zum Flughafen liegenlass­en und es tatsächlic­h in letzter Minute wiederbeko­mmen. Das war nicht sehr authentisc­h.

Lydia Haider: Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. So Sätze sind der Fluch der Bildung.

Stefanie Sargnagel ist Stadtschre­iberin in Klagenfurt. Die Wiener Autorin liest am 7. März im Robert-Musil-Literaturm­useum in Klagenfurt (19.30 Uhr). Im Juli erscheint ihr Roman „Statusmeld­ungen“.

Maria Hofer, Jahrgang 1987, ist Autorin. Ihr Debütroman erschien 2015 in der Redelstein­er Dahièmene-Edition.

Lydia Haider war 2016 Stipendiat­in des Colloquium­s Berlin, zuletzt erschien ihr zweiter Roman „rotten“, aus dem sie am 22. 3. 2017 im Schlachtho­f Wels eine Textperfor­mance gibt (19.30 Uhr).

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„Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer“: Die österrei chischen Autorinnen Stefanie Sargnagel, Maria Hofer und Lydia Haider in Marokko, wo die Idee aufkam, André Helleers Paradiesga­rten zu besuchen.
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