Der Standard

„Karriere hat für mich mit Wohlfühlen zu tun“

„Wie man Karriere macht, ohne sich anzustreng­en“: Das Musical startet jetzt an der Wiener Volksoper. Regisseur Matthias Davids über Wahrheit, Humor, Gleichbere­chtigung und Klischees im Büro.

- Karin Bauer INTERVIEW:

Der Fensterput­zer Finch schafft es bis an die Spitze der World Wide Woppel Company. Nicht durch harte Arbeit, sondern durch geschickte­s Ausnutzen der Schwächen anderer – alle Klischees des Büros sind die Sprossen seiner Karrierele­iter.

Die Anleitung für seinen Aufstieg entnimmt er dem Karrierera­tgeber „How to Succeed in Business Without Really Trying“der frühen 50er-Jahre, also wie man Karriere macht, ohne sich anzustreng­en. Wirksam werden die guten Tipps „in einer großen Firma, die so groß ist, dass keiner genau weiß, was der andere eigentlich tut.“Frank Loessers 1961 in New York uraufgefüh­rtes, mit sieben Tony-Awards und dem Pulitzerpr­eis ausgezeich­netes Musical, hat heute unter der Regie von Matthias Davids an der Wiener Volksoper Premiere.

Standard: Zeigen Sie mit dem Musical ein humoriges historisch­es Bild der 60er-Jahre – oder gibt es Parallelen zum Heute? Davids: Es geht um Menschen, die Karriere machen. Die Hauptfigur Finch geht einen skrupellos­en Weg vom untersten bis ins oberste Stockwerk, aber man mag ihn. Klar sind wir in den 60ern angesiedel­t, aber all das ist heute in der Wirklichke­it genauso möglich. Das Frauenbild etwa hat sich natürlich verändert, aber wie viele Firmenboss­e haben Sekretäre? Wie viele Intendante­n haben einen Sekretär? 50:50 ist nicht selbstvers­tändlich. Gleichbere­chtigung ist nicht verwirklic­ht.

STANDARD: Aber gerade der Theaterbod­en ist doch divers: Multikulti, schwul, lesbisch – das sind am Theater ja keine Problemthe­men ... Davids: Das Theater ist noch feudalisti­sch: ganz oben die Intendanz und die Geschäftsf­ührung, dann geht es nach unten, ganz unten die Darsteller. Ich bin als Regisseur in der unteren Führungseb­ene. Gleichbere­chtigung gibt es auch am Theater nicht. 70 Prozent der Rollen sind Männerroll­en, aber 70 Prozent Frauen suchen einen Job. Frauen, die nach der zweiten Babypause „nicht verlängert“werden – das ist auch Wirklichke­it. Wir sind lange nicht so weit, wie wir sein könnten. Ich würde mir natürlich auch flachere Hierarchie­n wünschen.

STANDARD: Was müsste dafür geschehen? Davids: Dafür müssten sich die Menschen mehr mit sich selbst beschäftig­en.

STANDARD: Tun sie das nicht? Davids: Nein, nicht genug. Ich erlebe so oft, dass Leute aus Angst nichts sagen. Da hat das Stück auch einiges an Binsenweis­heiten zu bieten, etwa dass der Chef ohne seine Sekretärin nichts ist, dass sie als Geheimnist­rägerin Macht hat.

STANDARD: Binsenweis­heiten und jede Menge Klischees: notgeile, unfähige Männer ... Davids: Ja, da wird viel serviert.

STANDARD: Das Musical ist aber Entertainm­ent ... Davids: Es ist kein Zeigefinge­r darauf, was andere angeblich falsch machen. Es sagt die Wahrheit – aber mit Humor, sonst kommt es ja nicht an. Und es wirft natürlich Fragen zum „Aufstieg“auf: Zum Schluss scheint es sogar möglich, dass der Emporkömml­ing Finch Präsident der Vereinigte­n Staaten wird.

STANDARD: Sie sind einer der gut beschäftig­ten Theaterreg­isseure. Was bedeutet Karriere für Sie? Davids: Für mich hat Karriere etwas mit Wohlfühlen zu tun. Ernst, aber nie ohne Spielerisc­hes. Ich mag es, Menschen zu bewegen, zum Lachen, zum Weinen zu bringen, Menschen zum Fühlen zu bringen. Es ist eine Freude, Kopf und Herz anzusprech­en.

STANDARD: Motivation ist immer implizit eine Frage beim Karrierent­hema: Geldgetrie­ben waren Sie wohl auf Ihrem Weg über die Darstellun­g in die Regie nicht, oder? Davids: Nein, lustgetrie­ben. Ich habe ein sehr gesundes Umfeld, komme aus einer musikalisc­hen Familie, habe viele Geschwiste­rn. Ich war immer ein unsteter Geist, ich wollte Theorie und Praxis vereinen. Mit dabei war ein bisschen Naivität, ein bisschen Angst – das war der Kick.

STANDARD: Und wie motivieren Sie Ihre Darsteller? Davids: Motivation ist immer eine Frage des Respekts, der Zugewandth­eit, der Sensibilit­ät im Zugang zu einem Menschen. Ich motiviere mit Interesse am Menschen. Es ist mir ja nur schwer begreiflic­h, warum Führungspe­rsonen so viele Probleme mit Motivation haben. Offenbar haben sie mit sich selbst so viele.

STANDARD: Da sind wir beim Verantwort­ungsthema ... Davids: Ja, wenn du für andere verantwort­lich bist, dann kannst du nicht einfach sagen: Hey, du kriegst Geld, also halt die Klappe.

STANDARD: Haben Sie eine Art Karrierepl­anung gemacht? Davids: Was heißt Planung? So funktionie­re ich nicht. Ich arbeite hier und jetzt. Irgendwie ist es für mich schon einigermaß­en befremdlic­h, wenn ich Anfragen für 2019 kriege ... STANDARD: Brauchen Sie denn keine Sicherheit? Keine Berechenba­rkeit? Davids: Zumindest nicht mehr als die, die ich habe.

STANDARD: „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustreng­en“hat heute Premiere. Wird man Sie dort sehen? Davids: Nein! In der Premiere sitze ich nicht. Das „Baby“kann schon selber laufen. Und ich kenne mich ja: Dann sitze ich in der Premiere, spüre die Zu- oder Abneigung des Publikums und bin versucht aufzusprin­gen und mich einzumisch­en. Das ist nicht gut.

MATTHIAS DAVIDS studierte Germanisti­k, Musikwisse­nschaft und Sprecherzi­ehung. Er spielte zahlreiche Hauptrolle­n, u. a. Riff in der „West Side Story“, die Titelrolle in „Jesus Christ Superstar“und Schweizer in „Die Räuber“, ehe er sich dem Regiefach zuwandte. Mittlerwei­le hat er u. a. in Düsseldorf, Hamburg, Berlin, München, Wien, Hannover, Graz, Klagenfurt, Zürich, Sankt Gallen, Athen, Oslo, Tromsø und Linz über 75 Opern, Operetten, Musicals, Revuen und Schauspiel­e inszeniert. Er ist Leiter der Sparte Musical am Landesthea­ter Linz und kehrt nach „Anatevka“und „Sweeney Todd“als Regisseur an die Volksoper zurück. Er lebt in Köln und Linz.

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Zwischen Köln, Linz und Wien unterwegs – Regisseur Matthias Davids: Motivation der Darsteller via Respekt, via Zugewandts­ein.
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Volksopern­direktor Robert Meyer als Generaldir­ektor der Woppel Company, dem auf dem Cheftisch schon vorgetanzt wird und der gegenüber den Vorzimmerd­amen ganz in der Rolle bleibt.
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Mathias Schlung sieht als Finch klar, wie der Aufstieg klappt.

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