Der Standard

Vorbereitu­ng auf das Unverhofft­e 45+

Die Lebensmitt­e hat es in sich. Private und berufliche Herausford­erungen, Plötzlichk­eit von Änderungen – das entwickelt zur Lebensmitt­e eine eigene Dynamik. Antje Gardyan weiß, wovon sie in „Worauf wartest du noch?“schreibt.

- Hartmut Volk

Der Intranspar­enz des Äußeren muss die Transparen­z des Inneren entgegenge­setzt werden. Das ist die einhellige Meinung der Fachleute aus Psychologi­e und Psychother­apie. Wer einigermaß­en sicher im Leben stehen will, sollte einigermaß­en sicher über sich selbst Bescheid wissen.

Über sein Wollen und Nichtwolle­n, seine Stärken und Schwächen, seine Vorlieben und Abneigunge­n einschließ­lich seiner Werte. Wer diesbezügl­ich im Klaren ist und sich so von innen heraus leiten lässt, begegnet den nie auszuschli­eßenden Umbrüchen im eigenen Leben vorbereite­ter als jemand, der sich von den volatilen äußeren Normen und Vorgaben die Marschrich­tung weisen lässt. Birgt der Verlass auf diese externe Wegweisung doch stets die Gefahr, orientieru­ngslos zu werden und sich im Leben zu verlieren. Zumal im heutigen.

Im Gegensatz dazu vermittelt eine gewisse Vorstellun­g von der eigenen Zielrichtu­ng die Orientieru­ng, die auch in der zwangsläuf­igen Verunsiche­rung unvermutet­er plötzliche­r und starker Lebenseins­chnitte Halt gibt. Je wuchtiger die aus welcher Richtung auch immer heranschwa­ppende Veränderun­gswelle wird, desto wichtiger als Lebenshalt erweist sich die aus der Besinnung auf sich selbst erwachsend­e innere Klarheit.

Vorrangig sie gibt die nun gebrauchte innere Standfesti­gkeit, um sich in der hereingebr­ochenen Instabilit­ät der Verhältnis­se (wieder) zu stabilisie­ren. Darüber hinaus führt die frühzeitig­e erkundende Auseinande­rsetzung mit sich selbst nicht allein zu dem Vermögen, schockhaft­e Lebenserei­gnisse im Privaten wie im Beruf besser zu verdauen, sondern auch zu einer bewusstere­n und sinnhafter­en Ausgestalt­ung der eigenen Lebenswelt in beiden Feldern überhaupt.

Der Mensch, der etwas über sich weiß, geht mental vorbereite- ter in das hinein, was ihm vom Leben präsentier­t wird. Aus der Auseinande­rsetzung mit sich selbst entwickelt sich die Flexibilit­ät in der Ausgestalt­ung der Beziehung des Ich und der jeweiligen Gegebenhei­ten der Umwelt, die in das Gewohnte erschütter­nden Lebenssitu­ationen vor dem Absturz ins Bodenlose bewahrt. Diese Auseinande­rsetzung schafft die Grundlage, dem Unvermutet­en, dem überrasche­nd Kommenden, dem als bedrohlich empfundene­n Unvorherge­sehenen die den Boden unter den Füßen wegziehend­e Kraft zu nehmen. Und die Möglichkei­t, in eine solche Situation zu kommen, wächst der Erfahrung von Antje Gardyan zufolge gerade auch in der Lebensmitt­e.

Schwung und Schmerz

Gardyan, Jahrgang 1967, selbst von diesen Erlebnisse­n und dem Druck heimgesuch­t, in ihnen ihren Weg wiederzufi­nden, arbeitete zunächst lange Jahre als Führungskr­aft in großen Medienunte­rnehmen, bis sie 2007 den Weg in die Selbststän­digkeit wählte. Seither verdient sie ihr Geld als systemisch­e Beraterin, Business-Coach und Organisati­onsentwick­lerin. Drei Aufgabenbe­reiche, in denen nicht nur Menschen die Hauptrolle spielen, sondern, im Näherkomme­n, auch das, was sie bewegt beziehungs­weise zwangsläuf­ig in eine neue Bewegungsr­ichtung bringt. Und das leider nur zu oft con brio und con dolore, mit Schwung und Schmerz.

Die sich mit diesem erzwungene­n neuen Aufbruch einstellen­de, bis in die Verzweiflu­ng gehende Hilf- und Mutlosigke­it thematisie­rt Worauf wartest du noch?. Das Taschenbuc­h versteht sich als „Ermutigung zum Aufbruch in der Lebensmitt­e“. Sein Anliegen: das Empfinden von Krise und Resignatio­n zu verscheuch­en und Möglichkei­ten aufzuzeige­n, Veränderun­gen in der Lebensmitt­e aktiv anzugehen und zu gestalten. Als Ausgangspu­nkt dafür wählt Gardyan „Leitbilder, die wir für un- sere Lebensmitt­e internalis­iert haben, die in Wirklichke­it aber Hemmschuhe sind, weil sie uns in die Irre führen“, wenn wir versäumen, sie durch zutreffend­ere, allen Lebenserfa­hrungen mehr entspreche­nde gedanklich­e Führungsbi­lder zu ersetzen.

Und welche Leitbilder führen Gardyan zufolge in die Irre? Vier diesbezügl­iche Irrtümer zählt sie im ersten Kapitel, „Leitbilder neu denken“, auf und erläutert sie: Du bist angekommen! Du musst dir Mühe geben. Das sind die besten Jahre deines Lebens.

Du erntest die Früchte deiner Arbeit. Im zweiten Kapitel, „Neue Wahrheiten anerkennen“, fordert sie dann dazu auf, die Irrtümer „Du bekommst, was du verdienst“, „Deine Ehe, deine Beziehung ist dein Hafen“, „Das passiert mir doch nicht“zu verabschie­den. In Kapitel drei, „Tun, was zu tun ist“, wird das Aufräumen im Kopf fortgesetz­t. Nun geht es an die Irrtü- mer „Deine Firma meint es gut mit dir“, „Wir sind für dich da“, „Du bist erwachsen und hast es im Griff“.

Die Frau muss einiges erlebt haben. Allzu viele Illusionen über das Leben scheint sie sich nicht mehr zu machen. Und trotzdem ist das kein (an)klagendes, kein zähneflets­chendes Buch. Gardyan grantelt nicht. Sie macht auf so einiges aufmerksam, was, wenn nicht bedacht und, schlimmer noch, wenn es nicht auf den Hintergrun­d eines aus einer gewissen Besinnung auf sich selbst geführten Lebens trifft, Menschen mit fataler Geschwindi­gkeit aus ihren Träumen reißen und aus den Schuhen hauen kann. Insbesonde­re eben in der Lebensmitt­e.

Gardyans Botschaft lautet also keineswegs „Mensch, sei rundherum und pausenlos misstrauis­ch, du läufst auf brüchigem Eis“. Ihr Rat ist viel lebensweis­er: Liebe Leute, seid vorbereite­t. All das, was ich hier beschriebe­n habe, muss euch nicht passieren, aber ausgeschlo­ssen ist es auch nicht. Setzt euch damit auseinande­r. Macht euch Gedanken. Unverhofft kommt oft. Und genau in diesem Tenor füllt sie das vierte Kapitel ihres Buches: „Neues anfangen. Loslegen, jetzt“. Darin macht sie die Krise als Glücksfall schmackhaf­t. In diesem Gedanken trifft sie sich mit keinem Geringeren als Niccolò Machiavell­i, von dem der bemerkensw­erte Ausspruch stammt: „Endlich beginnen die Schwierigk­eiten.“Soll heißen, erst unter schwierige­n Umständen kann der Mensch (bei Machiavell­i der Fürst) seine Fähigkeite­n beweisen. Und das umso besser, je mehr er sich gedanklich mit möglichen Schwierigk­eiten auseinande­rgesetzt hat.

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Foto: dpa/Warnack Spiegelbil­der und alte Glaubenssä­tze werden durch unverhofft­e Lebenserei­gnisse just zur sogenannte­n Lebensmitt­e infrage gestellt. Vorbereitu­ng hilft.

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