Vorbereitung auf das Unverhoffte 45+
Die Lebensmitte hat es in sich. Private und berufliche Herausforderungen, Plötzlichkeit von Änderungen – das entwickelt zur Lebensmitte eine eigene Dynamik. Antje Gardyan weiß, wovon sie in „Worauf wartest du noch?“schreibt.
Der Intransparenz des Äußeren muss die Transparenz des Inneren entgegengesetzt werden. Das ist die einhellige Meinung der Fachleute aus Psychologie und Psychotherapie. Wer einigermaßen sicher im Leben stehen will, sollte einigermaßen sicher über sich selbst Bescheid wissen.
Über sein Wollen und Nichtwollen, seine Stärken und Schwächen, seine Vorlieben und Abneigungen einschließlich seiner Werte. Wer diesbezüglich im Klaren ist und sich so von innen heraus leiten lässt, begegnet den nie auszuschließenden Umbrüchen im eigenen Leben vorbereiteter als jemand, der sich von den volatilen äußeren Normen und Vorgaben die Marschrichtung weisen lässt. Birgt der Verlass auf diese externe Wegweisung doch stets die Gefahr, orientierungslos zu werden und sich im Leben zu verlieren. Zumal im heutigen.
Im Gegensatz dazu vermittelt eine gewisse Vorstellung von der eigenen Zielrichtung die Orientierung, die auch in der zwangsläufigen Verunsicherung unvermuteter plötzlicher und starker Lebenseinschnitte Halt gibt. Je wuchtiger die aus welcher Richtung auch immer heranschwappende Veränderungswelle wird, desto wichtiger als Lebenshalt erweist sich die aus der Besinnung auf sich selbst erwachsende innere Klarheit.
Vorrangig sie gibt die nun gebrauchte innere Standfestigkeit, um sich in der hereingebrochenen Instabilität der Verhältnisse (wieder) zu stabilisieren. Darüber hinaus führt die frühzeitige erkundende Auseinandersetzung mit sich selbst nicht allein zu dem Vermögen, schockhafte Lebensereignisse im Privaten wie im Beruf besser zu verdauen, sondern auch zu einer bewussteren und sinnhafteren Ausgestaltung der eigenen Lebenswelt in beiden Feldern überhaupt.
Der Mensch, der etwas über sich weiß, geht mental vorbereite- ter in das hinein, was ihm vom Leben präsentiert wird. Aus der Auseinandersetzung mit sich selbst entwickelt sich die Flexibilität in der Ausgestaltung der Beziehung des Ich und der jeweiligen Gegebenheiten der Umwelt, die in das Gewohnte erschütternden Lebenssituationen vor dem Absturz ins Bodenlose bewahrt. Diese Auseinandersetzung schafft die Grundlage, dem Unvermuteten, dem überraschend Kommenden, dem als bedrohlich empfundenen Unvorhergesehenen die den Boden unter den Füßen wegziehende Kraft zu nehmen. Und die Möglichkeit, in eine solche Situation zu kommen, wächst der Erfahrung von Antje Gardyan zufolge gerade auch in der Lebensmitte.
Schwung und Schmerz
Gardyan, Jahrgang 1967, selbst von diesen Erlebnissen und dem Druck heimgesucht, in ihnen ihren Weg wiederzufinden, arbeitete zunächst lange Jahre als Führungskraft in großen Medienunternehmen, bis sie 2007 den Weg in die Selbstständigkeit wählte. Seither verdient sie ihr Geld als systemische Beraterin, Business-Coach und Organisationsentwicklerin. Drei Aufgabenbereiche, in denen nicht nur Menschen die Hauptrolle spielen, sondern, im Näherkommen, auch das, was sie bewegt beziehungsweise zwangsläufig in eine neue Bewegungsrichtung bringt. Und das leider nur zu oft con brio und con dolore, mit Schwung und Schmerz.
Die sich mit diesem erzwungenen neuen Aufbruch einstellende, bis in die Verzweiflung gehende Hilf- und Mutlosigkeit thematisiert Worauf wartest du noch?. Das Taschenbuch versteht sich als „Ermutigung zum Aufbruch in der Lebensmitte“. Sein Anliegen: das Empfinden von Krise und Resignation zu verscheuchen und Möglichkeiten aufzuzeigen, Veränderungen in der Lebensmitte aktiv anzugehen und zu gestalten. Als Ausgangspunkt dafür wählt Gardyan „Leitbilder, die wir für un- sere Lebensmitte internalisiert haben, die in Wirklichkeit aber Hemmschuhe sind, weil sie uns in die Irre führen“, wenn wir versäumen, sie durch zutreffendere, allen Lebenserfahrungen mehr entsprechende gedankliche Führungsbilder zu ersetzen.
Und welche Leitbilder führen Gardyan zufolge in die Irre? Vier diesbezügliche Irrtümer zählt sie im ersten Kapitel, „Leitbilder neu denken“, auf und erläutert sie: Du bist angekommen! Du musst dir Mühe geben. Das sind die besten Jahre deines Lebens.
Du erntest die Früchte deiner Arbeit. Im zweiten Kapitel, „Neue Wahrheiten anerkennen“, fordert sie dann dazu auf, die Irrtümer „Du bekommst, was du verdienst“, „Deine Ehe, deine Beziehung ist dein Hafen“, „Das passiert mir doch nicht“zu verabschieden. In Kapitel drei, „Tun, was zu tun ist“, wird das Aufräumen im Kopf fortgesetzt. Nun geht es an die Irrtü- mer „Deine Firma meint es gut mit dir“, „Wir sind für dich da“, „Du bist erwachsen und hast es im Griff“.
Die Frau muss einiges erlebt haben. Allzu viele Illusionen über das Leben scheint sie sich nicht mehr zu machen. Und trotzdem ist das kein (an)klagendes, kein zähnefletschendes Buch. Gardyan grantelt nicht. Sie macht auf so einiges aufmerksam, was, wenn nicht bedacht und, schlimmer noch, wenn es nicht auf den Hintergrund eines aus einer gewissen Besinnung auf sich selbst geführten Lebens trifft, Menschen mit fataler Geschwindigkeit aus ihren Träumen reißen und aus den Schuhen hauen kann. Insbesondere eben in der Lebensmitte.
Gardyans Botschaft lautet also keineswegs „Mensch, sei rundherum und pausenlos misstrauisch, du läufst auf brüchigem Eis“. Ihr Rat ist viel lebensweiser: Liebe Leute, seid vorbereitet. All das, was ich hier beschrieben habe, muss euch nicht passieren, aber ausgeschlossen ist es auch nicht. Setzt euch damit auseinander. Macht euch Gedanken. Unverhofft kommt oft. Und genau in diesem Tenor füllt sie das vierte Kapitel ihres Buches: „Neues anfangen. Loslegen, jetzt“. Darin macht sie die Krise als Glücksfall schmackhaft. In diesem Gedanken trifft sie sich mit keinem Geringeren als Niccolò Machiavelli, von dem der bemerkenswerte Ausspruch stammt: „Endlich beginnen die Schwierigkeiten.“Soll heißen, erst unter schwierigen Umständen kann der Mensch (bei Machiavelli der Fürst) seine Fähigkeiten beweisen. Und das umso besser, je mehr er sich gedanklich mit möglichen Schwierigkeiten auseinandergesetzt hat.