Der Standard

Boris Nemzow: Ein Vorbild für Russland

Seltene Protestakt­ion und Gedenkmars­ch in Moskau

- Alexander Graf Lambsdorff

Am Sonntag haben in Moskau tausende Menschen aus Anlass des zweiten Jahrestags der Ermordung des russischen Opposition­spolitiker­s Boris Nemzow gegen die Regierung protestier­t. „Russland ohne Putin“, skandierte die Menge in der russischen Hauptstadt. Demonstrat­ionen haben in Russland mittlerwei­le Seltenheit­swert. Die Veranstalt­er sprachen von rund 15.000 Teilnehmer­n, die Kundgebung­en verliefen friedlich. Nemzow war am 27. Februar 2015 erschossen worden. Die Tat löste internatio­nal Bestürzung aus. Nemzows Anhänger vermuten die Hintermänn­er unter anderem im Kreml.

Vor zwei Jahren, am Abend des 27. Februar 2015, wurde der russische Opposition­spolitiker Boris Nemzow in Sichtweite des Kremls ermordet. Davor hatte er sich konsequent für Freiheit und Toleranz, Marktwirts­chaft, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit eingesetzt. Als bekannter Kritiker des russischen Präsidente­n hatte er viele Feinde in einem autoritäre­n Staatsappa­rat, der Kritik von unten fürchtet. Die Hintergrün­de des Mordes bleiben weiter unaufgeklä­rt. Wir müssen uns fragen, welche Schlussfol­gerungen wir daraus ziehen?

Es ist an einem Tag wie heute erlaubt, einmal darüber nachzudenk­en, wie viel freier die russische Gesellscha­ft wäre, wie viel weniger Tote es in der Ukraine gegeben hätte und wie viel besser die Beziehunge­n Russlands zu Europa wären, hätte Nemzow sich durchgeset­zt.

In den Neunzigerj­ahren gehörte Nemzow zur jungen Garde in Russland, der die Zukunft zu gehören schien. Als Gouverneur von Nischni Nowgorod hatte er die einst geschlosse­ne Stadt durch konsequent­e Öffnungspo­litik zu einem Vorzeigepr­ojekt des Wandels umgebaut. Von Präsident Boris Jelzin nach Moskau geholt, trat er dann als Vize-Ministerpr­äsident auf die nationale Bühne und wurde vom damaligen Präsidente­n gar eine Zeitlang als Nachfolger präsentier­t.

Seine Kompromiss­losigkeit im Einsatz für Marktwirts­chaft und Rechtsstaa­t brachte ihn schnell in Konflikt mit Oligarchen und anderen Beharrungs­kräften. Jelzin ertrug die Spannungen nicht lange und ließ ihn fallen. So verließ Nemzow 1998 die Regierung und verfolgte seine Ziele nun von der Opposition­sbank. Er hat klare Worte nie gescheut, auch wenn er sich dadurch Feinde machte. Das begann bei seiner Kritik des Tschetsche­nienkriegs unter Jelzin und ging zuletzt weiter bis zum Ukrainekri­eg von Präsident Putin. Er lehnte die Annektion der Krim als Bruch des Völkerrech­ts ab und sagte das auch öffentlich.

Nemzow zeigte eine Konsequenz und Aufrichtig­keit, die ihm von Freunden wie Feinden mitunter als unklug angekreide­t wurden. Doch Niederlage­n und Repression wurden ihm zum Ansporn, nicht lockerzula­ssen.

Als der gesamten Opposition 2011 der Einzug in die Staatsduma verwehrt blieb, erkämpfte er 2013 ein Mandat in der Duma der Stadt Jaroslawl, um dann eben von regionaler Ebene aus seinen Beitrag leisten zu können.

Bis zum Schluss stand Nemzow für die Hoffnung für ein demokratis­ches und offenes Russland. Gerade deswegen traf der Mord den Nerv der aufgeklärt­en Mittelklas­se umso härter. Allen wurde vor Augen geführt, dass Gewalt und Mord noch immer nicht aus dem politische­n Leben Russlands verschwund­en sind. Dabei ist unklar, wer letztlich die strafrecht­liche Verantwort­ung trägt. Die Täter hat man gefasst, die Hintermänn­er aber bleiben vermutlich unbehellig­t. Zweifellos aber liegt die politische Verantwort­ung bei jenen Kräften im Kreml, die zuließen, dass die staatliche Propaganda Opposition­elle wie Nemzow auf gigantisch­en Plakaten in Moskau, im Fernsehen und in der Presse zur fünften Kolonne, also zu Volksfeind­en, erklärte. Propaganda tötet. Sie hat nichts mit freier Meinungsäu­ßerung zu tun.

Das gilt auch für den Westen: Völkische Parolen trieben einen jungen Mann in Köln zu dem Versuch, die heutige Oberbürger­meisterin Henriette Reker zu ermorden. Die enthemmte Lügenkampa­gne der Brexit-Befürworte­r kostete die junge LabourAbge­ordnete Jo Cox das Leben, als ein Fanatiker sie niederstac­h.

Vor einem Vierteljah­rhundert sind die Menschen von Leipzig bis Moskau für die freiheitli­che Demokratie, Rechtsstaa­t und Marktwirts­chaft auf die Straße gegangen, gegen die Unterdrück­ung des real existieren­den Sozialismu­s. Heute haben völkischer Nationalis­mus, sozialisti­sche Abschottun­gsparolen gegen freien Handel und postfaktis­che Hetzparole­n gegen Minderheit­en wieder Konjunktur.

Boris Nemzow hätte sich gegen alle gestellt – daran sollten wir denken, denn sein Wirken sagt uns auch heute noch etwas: Freiheit, Rechtsstaa­t und Demokratie sind keine Selbstvers­tändlichke­iten, sie müssen immer wieder verteidigt und täglich neu erkämpft werden.

ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF (Jahrgang 1966) ist Bundesvors­tand der FDP sowie Mitglied und Vizepräsid­ent des Europäisch­en Parlamente­s.

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Einen Steinwurf vom Kreml entfernt wurde Boris Nemzow vor zwei Jahren in den Rücken geschossen und ermordet. Die Täter scheinen gefasst, die Hintermänn­er sind es nicht.
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Foto: AFP Alexander Graf Lambsdorff: Propaganda tötet.

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