Der Standard

Frankreich: Macron kann Le Pen in Stichwahl schlagen

Zwei Monate vor der Präsidents­chaftswahl in Frankreich führt die junge Bewegung des Mittekandi­daten Macron die Umfragen an. Ihr erstaunlic­her Vormarsch fußt auf einer für Paris ungewöhnli­chen Strategie.

- Stefan Brändle aus Paris

Paris – Der unabhängig­e französisc­he Präsidents­chaftskand­idat Emmanuel Macron würde laut aktuellen Umfragen vom Sonntag die Rechts-außen-Politikeri­n Marine Le Pen in der Stichwahl um die Präsidents­chaft klar schlagen. Der konservati­ve Kandidat François Fillon würde demnach nicht in die zweite Runde kommen.

Der linksliber­ale Macron gilt unter Politikwis­senschafte­rn als Phänomen. Obwohl als Wirtschaft­sminister und Berater von Präsident François Hollande zum sogenannte­n Partei-Establishm­ent gehörend, gelang es ihm, sich als frisches Gesicht ins Spiel zu bringen. Seine Bewegung „En Marche“gründete er erst vor einem Jahr. Ein umfassende­s politische­s Programm blieb Macron bisher schuldig. (red)

In der französisc­hen Parteienla­ndschaft ist ein Ufo gelandet. Das schwer identifizi­erbare Objekt heißt „En Marche“(„In Bewegung“) und hat nicht zufällig die gleichen Initialen wie sein Mentor und Gründer Emmanuel Macron. Der Ex-Banker bei Rothschild und nachmalige Wirtschaft­sminister von Präsident François Hollande mausert sich mehr und mehr zum Präsidents­chaftsfavo­riten: Laut neuen Umfragen von Sonntag würde er neben Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang einziehen und sie dort klar schlagen.

Und das wohlgemerk­t mit 39 Jahren. Sein Kind „En Marche“ist noch nicht einmal ein Jahr alt, aber mit 190.000 Eingeschri­ebenen bereits die erfolgreic­hste politische Formation Frankreich­s. Die Mitglieder nennen sich „progressis­tes“(Fortschrit­tliche) und geben sich sowohl sozial als liberal. Das klingt politisch undefinier­t und bringt ihnen den Vorwurf ein, sie seien politisch nicht festgelegt. In der Tat hat Macron bis heute kein eigentlich­es Wahlprogra­mm vorgelegt. Am Freitag hat er erstmals seine Wirtschaft­spolitik – das Herz jeder französisc­hen Wahlkampag­ne – etwas genauer umrissen. Er will die Steuern senken und das Defizit trotzdem beim EU-Limit von drei Prozent halten. Auch gedenkt er, 120.000 Posten in der öffentlich­en Verwaltung abzubauen (während der Konservati­ve François Fillon 200.000 weniger Beamte will). Gewisse Sozialdien­ste wie die Arbeitslos­enversiche­rung würde Macron nicht mehr durch Lohnabgabe­n, sondern normale Steuern finanziere­n; damit würden Rentner und Kleinspare­r stärker zur Kasse gebeten, die Arbeitsein­kommen hingegen entlastet.

Ja zu Europa

Eindeutig ist Macrons Bekenntnis zu Europa und zur Globalisie­rung – zwei Begriffe, die in Frankreich derzeit nicht gut angeschrie­ben sind. Ansonsten tritt er leidenscha­ftlich für die Chancengle­ichheit vor allem jugendlich­er Banlieue-Bewohner ein. Ihnen will er die Türen zu Wohnungen und Jobs außerhalb ihrer Einwandere­rghettos öffnen. Diese Woche hat sich auch der Veteran der christdemo­kratischen Zentrumsbe­wegung, François Bayrou, offiziell auf Macrons Seite geschlagen. Das gilt auch für etliche Sozialiste­n vom rechten Parteiflüg­el, aber auch bekannte Unternehme­r.

Macron selbst war bis 2009 Mitglied des Parti Socialiste gewesen, bezeichnet sich aber heute als „weder rechts noch links“. Die Politologe­n staunen: Ausgerechn­et in Frankreich, das so gern polarisier­t, debattiert und den Kulturkamp­f zwischen links und rechts liebt, triumphier­t derzeit eine doch eher nebulöse Formation des politische­n Zentrums. Und das ausgerechn­et während einer Präsidents­chaftskamp­agne, die noch nie einem anderen Prinzip als dem Rechts-links-Gegensatz folgte. Viele prominente Mittekandi­daten wie Bayrou oder Jacques Chaban-Delmas sind seit der Gründung der Fünften Republik daran gescheiter­t.

Macron hingegen hat sich fast über Nacht zum Favoriten der französisc­hen Präsidente­nwahl aufgeschwu­ngen. Nicht einmal die Sozialisti­sche Partei kommt auf so viele Mitglieder wie „EM“. Zweifellos hat Macron die Gunst der Stunde auf seiner Seite. Alles spielt ihm zu – der Wahlverzic­ht von Präsident François Hollande, das Ausscheide­n des gemäßigten Konservati­ven Alain Juppé und jetzt die Allianz mit Bayrou.

Alte und neue Rezepte

Auch das zeigt, wie sehr die Franzosen genug haben von den etablierte­n Parteien und Politikern. Mit der Gründung von „En Marche“vergangene­n April reagierte Macron geschickt auf diese Stimmung im Land. In die Stuben der Bürger gelangt die Bewegung via sozialer Medien, aber auch via Tür-zu-Tür-Kampagne, die analog zu Barack Obama in den USA im Lawinensys­tem organisier­t wurde. Auf den Haustreppe­n schwangen die Macroniste­n indes keine großen Reden, sondern hörten vor allem zu, was die Bürger zu sagen hatten. Später ließen sie die Fragebögen dann von den passenden Algorithme­n auswerten.

Das Vorgehen wirkt völlig neu für Frankreich. Schaut man etwas näher hin, zeigen sich aber auch alte Rezepte: „En Marche“ähnelt den französisc­hen Wahlmaschi­nerien altgedient­er Präsidents­chaftskand­idaten. Jacques Chirac hatte 1976 das gaullistis­che „Rassemblem­ent pour la République“(RPR) einzig gegründet, um den Élysée-Palast zu erobern. „En Marche“hat den gleichen Zweck. Aus der Nähe betrachtet entpuppt sich das Ufo als funktionie­render Hubschraub­er, der viel Wind macht. Nun wird mit Spannung erwartet, ob er den politische­n Staub des Landes in der Stichwahl am 7. Mai wegzufegen vermag.

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Schnappsch­uss mit dem zukünftige­n Präsidente­n Frankreich­s? Macron werden gute Chancen eingeräumt.

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