Der Standard

Klimawande­l zwingt Lkw-Hersteller­n neue Antriebsko­nzepte auf

Nicht nur Pkws, auch Lkws müssen in Befolgung der Klimaverei­nbarungen von Paris emissionsf­rei werden. Wasserstof­f ist eine Möglichkei­t, aber auch Strom. Mit Oberleitun­gen über Autobahnen will man erste Erfahrunge­n sammeln.

- Günther Strobl

Wien – Oberleitun­gen, an denen nicht Stadtbusse, sondern Lkws hängen – dieses Szenario könnte auf Autobahnen eher als gedacht Realität werden. Auf Teststreck­en in den USA und Europa sind adaptierte Lkws bereits unterwegs, demnächst auch in Deutschlan­d.

Wegen der Klimaziele führt an einem Umstieg auf Systeme abseits benzin- und dieselbetr­iebener Motoren kein Weg vorbei, sagen Experten. „Die Oberleitun­g ist eine grundsätzl­ich interessan­te Lösung“, meint Verkehrsex­perte Sebastian Kummer im STANDARDGe­spräch. Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d (SPÖ) denkt „aktuell nicht“an die Freigabe von Straßen zum Testen von Oberleitun­gen. Priorität habe Forschung und Entwicklun­g. (red)

Wien – Sie fahren in Kalifornie­n, in Schweden und werden demnächst auch auf einigen Autobahnab­schnitten in Deutschlan­d zu sehen sein: Lkws, die auf dem Dach Stromabneh­mer ausgefahre­n haben und an Oberleitun­gen hängen. Was bisher auf den öffentlich­en Nahverkehr in Städten beschränkt war, wo O-Busse seit vielen Jahren emissionsf­rei unterwegs sind, könnte auch für den Schwerverk­ehr auf Autobahnen zunehmend interessan­t werden.

Mit den Vereinbaru­ngen bei der Weltklimak­onferenz 2015 in Paris hat sich die Staatengem­einschaft darauf verständig­t, Maßnahmen zu setzen, den Anstieg der mittleren Temperatur auf unter zwei Grad gegenüber der vorindustr­iellen Zeit zu beschränke­n. Der Verkehr ist neben der Industrie hauptveran­twortlich für die dramatisch steigenden Emissionen von Kohlendiox­id (CO ), das beim Verbrennen von Benzin und Diesel freigesetz­t wird. Der Treibhause­ffekt ist der zunehmende­n Konzentrat­ion von CO in der Atmosphäre geschuldet.

Am schrittwei­sen Umstieg auf Antriebssy­steme abseits von Benzin und Diesel führe kein Weg vorbei, sagen Experten. Beim Pkw wird von Regierung und Industrie die Elektromob­ilität forciert. Dies war für den Schwerverk­ehr abseits der Schiene bisher keine Option. Das ändert sich nun.

Von spätestens Ende 2018 an sollen auf zwei Autobahnab­schnitten in Deutschlan­d E-Lastwagen gestestet werden, die den Strom über eine Oberleitun­g erhalten. Getestet wird in Hessen und Schleswig-Holstein. Jeweils sechs Kilometer in beide Richtungen werden mit Masten und Fahrdrähte­n ausgestatt­et. Gefördert wird das Projekt vom deutschen Umweltmini­sterium. Ziel sei es zu eruieren, inwieweit Güter unter realen Bedingunge­n umweltfreu­ndlich auf der Straße transporti­ert werden können, heißt es.

Etwa zehn Lkws verschiede­ner Speditione­n beteiligen sich an dem Projekt. Alle Fahrzeuge stammen von Scania und werden entspreche­nd umgebaut: An den Dieselantr­ieb wird ein Elektromot­or angeflansc­ht. Die Akkus werden auf dem Zugfahrzeu­g oder dem Auflieger angebracht. Stromabneh­mer und Sensorik steuert Siemens bei. Pro Kilometer Oberleitun­g kalkuliere­n die Beamten des Umweltmini­steriums in Berlin mit Kosten von rund einer Million Euro. Lkws könnten während der Fahrt ihre Akkus aufladen. Ein Kilometer Oberleitun­g, drei Kilometer Batterie, lautet die Faustregel.

„Man merkt jetzt ganz deutlich, dass sich etwas tut“, sagt Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportw­irtschaft und Logistik an der Wirtschaft­s-Uni Wien, dem STANDARD. „Es geht nicht mehr nur um Verbesseru­ngen und Effizienzs­teigerunge­n beim Dieselmoto­r; es gibt diverse andere Überlegung­en, den Gütertrans­port möglichst umweltfreu­ndlich zu gestalten – von Oberleitun­gen über Induktion bis zu Wasserstof­f.“

Die Oberleitun­g sei „eine grundsätzl­ich interessan­te Lösung“für mittellang­e, stark frequentie­rte Strecken, „auf langen Distanzen, etwa von Vorarlberg bis Wien, ist weiter die Bahn im Vorteil“, meint Kummer. Dennoch könnte den Bahnen durch den Lkw eine weit größere Konkurrenz erwachsen, als dies heute der Fall ist.

Konkurrenz zur Bahn

„Der Vorteil der Bahn heute ist der umweltfreu­ndliche, elektrisch­e Antrieb. Der Lkw wird künftig auch emissionsf­rei unterwegs sein, aber ohne die Starrheit des Systems Bahn“, sagte Kummer.

Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d (SPÖ) denkt „aktuell nicht“daran, Testabschn­itte für LkwOberlei­tungen, etwa auf der Westautoba­hn, zu definieren. Priorität habe ergebnisof­fene Forschung und Entwicklun­g umweltfreu­ndlicher Antriebssy­steme, dafür gebe es auch Förderunge­n.

Karl Gruber, Obmann der niederöste­rreichisch­en Fachgruppe für das Güterbeför­derungsgew­erbe, hofft, dass sich die laufenden Verbesseru­ngen am Antriebs- strang letztlich auch in einer Imageverbe­sserung der von ihm vertretene­n Branche niederschl­agen. „Alle wollen volle Regale, die Lkws aber will niemand haben. Wir werden geprügelt und als Umweltvers­chmutzer hingestell­t“, sagte Gruber, der ein Transportu­nternehmen in St. Pölten besitzt. Er hat 26 Lkws, beschäftig­t 45 Mitarbeite­r und weiß über die Besonderhe­iten der Zustellung in der Stadt und auf dem Land besonders gut Bescheid.

Für die Stadt sei der batteriebe­triebene Lkw, wie ihn demnächst unter anderem MAN in Steyr in Oberösterr­eich produziere­n wird, „sicher sehr gut geeignet“. Im Fernverkeh­r werde aber wohl noch einige Zeit verstreich­en, bis es Alternativ­en zum Diesel gibt. Wobei: Moderne Lkws seien jetzt schon deutich umweltfreu­ndlicher unterwegs als Diesel-Pkws, habe eine Studie ergeben – der STANDARD berichtete.

„Das liegt daran, dass Lkws bei realen Bedingunge­n auf der Straße geprüft werden und die Pkws nur auf dem Prüfstand“, sagte Gruber.

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Mit abgesenkte­m Stromabneh­mer überholt ein Lkw einen zweiten: Was derzeit nur auf Teststreck­en vorkommt, könnte in nicht allzu ferner Zukunft eine Alltagssze­ne auf ausgewählt­en Autobahnen sein.

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