Der Standard

Ein Land schließt die Reihen

„Boston“von Peter Berg mit Mark Wahlberg erzählt vom Attentat während des Marathons 2013

- Bert Rebhandl

Wien – Der Boston-Marathon findet alljährlic­h am Tag der Patrioten statt. Am 15. April 2013 wurde er zur Szene eines Anschlags: Unter den Menschen, die an der Zielgerade zuschauten, explodiert­en zwei Bomben, es gab drei Todesopfer und viele Verletzte. Die Täter kamen nicht weit, Tamerlan Zarnajew wurde drei Tage später bei einem Schusswech­sel mit der Polizei getötet, sein Bruder Dschochar wurde gefangenge­nommen.

Der Titel für eine Verfilmung dieser Geschehnis­se liegt also mehr oder weniger auf der Hand: Patriots Day, das ist schön doppeldeut­ig, einerseits ist es eine rein sachliche Informatio­n, aber man spürt auch sofort, worauf das alles hinaussoll – im Angesicht des Terrorismu­s schließt ein Land die Reihen.

Bei einem europäisch­en Publikum kann man diese patriotisc­hen Reflexe nicht uneingesch­ränkt voraussetz­en, deswegen bringen die Verleiher in Deutschlan­d und Österreich Peter Bergs Patriots Day unter dem unverfängl­icheren Titel Boston heraus. Ungeachtet dieser kleinen Korrektur ist die zentrale Erfahrung mit diesem Film ohnehin eine der Ambivalenz, denn sosehr hier mit einer Abfolge von Schock und Reaktion das Funktionie­ren der Institutio­nen gefeiert wird, so sehr hat man dabei weitgehend den Eindruck grotesker Kompensati­onshandlun­gen.

Die meisten der Figuren in Boston haben eine Entsprechu­ng in der Wirklichke­it, nur zu der von Tommy Saunders (Mark Wahlberg) gibt es kein Pendant. Der degradiert­e Polizist Saunders muss beim Marathon als besserer Ordner Dienst tun, gerade dadurch aber gerät er in die Mitte des Ge- schehens. Es bedarf allerdings einiger Kniffe im Drehbuch, um ihn danach nicht wieder in der Anonymität verschwind­en zu lassen.

Denn nach der Explosion der Bomben fährt Amerika den ganzen Apparat auf, der spätestens seit 2001 in solchen Fällen vorgesehen ist. Aber gerade angesichts der häufig rivalisier­enden Teams braucht es einen Mann aus dem Volk, der das alles korrigiert und der über den nötigen Hausversta­nd verfügt. Diese Rolle kann in Boston eigentlich nur Mark Wahlberg spielen.

Bis auf diese dramaturgi­sche Zuspitzung mit der Figur des Tommy Saunders ist Boston ein Tatsachent­hriller, der dem Gang der verbürgten Ereignisse über eine Vielzahl von Erzählfäde­n folgt, und zwar fast schon klassisch nach dem Muster eines Querschnit­tsfilms à la Sinfonie einer Großstadt – vom Erwachen bis nach Mitternach­t, allerdings hier eben über mehrere Tage erstreckt. Die latente Melancholi­e, die in der ersten Hälfte über dem Geschehen liegt, wird nach dem Anschlag von einem unangenehm­en Jagdfieber abgelöst – beinahe könnte man meinen, dass Amerika an den Brüdern Zarnajew jenes Exempel statuieren wollte, das es am IS oder an Al-Kaida so einfach nicht zuwege bringt.

Peter Berg hatte zweifellos einen Film im Sinn, der die Moral hebt. Aber er hat vielleicht das Gegenteil erreicht: In dem Maß, in dem hier alles – und noch das zufällige Gespräch vor dem Gang zur Arbeit am Morgen – zu einer Angelegenh­eit des Patriotism­us wird, verlieren die Dinge ihre Selbstvers­tändlichke­it. Boston zeigt eine Verunsiche­rung, die nicht einmal Mark Wahlberg überspiele­n kann. Jetzt im Kino

 ??  ?? Mark Wahlberg ist ein eigentlich degradiert­er, als Ordner beim Marathon aber in die Mitte des Geschehens geratender Polizist.
Mark Wahlberg ist ein eigentlich degradiert­er, als Ordner beim Marathon aber in die Mitte des Geschehens geratender Polizist.

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