Der Standard

Mit Nietzsche geht der Schmock zum Weibe

Im Roman „Drei Lieben“betreibt der gebürtige Steirer Walter Grond ein verblüffen­des Vexierspie­l mit den reichen Mitteln realistisc­hen Erzählens. Gezeigt wird die Ohnmacht der Liebe in moralische­r Hinsicht.

- Ronald Pohl

Wien – Die Vorstellun­gen davon, was ein Weltbürger sei, sind in Österreich traditione­ll schwach ausgebilde­t. Manchmal war für die Entstehung des Fernwehs in unseren Breiten bloß der Krieg zuständig. Er, die denkbar größte Katastroph­e, zwang junge Männer in die Welt hinaus. Der erste, reichlich mysteriöse Held in Walter Gronds neuem Roman Drei Lieben ist ein solcher Globetrott­er wider Willen.

Hermann Opitz, der Großvater des Erzählers, meldet sich freiwillig zum Kriegsdien­st. Man schreibt 1917. Die Dinge stehen für die Monarchie im fernen Galizien nicht zum Besten. Hermann aber tauscht seine offenbar unhaltbar gewordene Existenz gegen etwas vermeintli­ch Besseres ein. In der Stunde des Abschieds von seinem niederöste­rreichisch­en Dorf konstatier­t er, die Welt sei für ihn „verdorrt“. Ihm selbst ist kaum wohler zumute: „Seine Gliedmaßen hatten sich wie vom Körper gelöst, und alles Feste in ihm war verdampft.“

Ab nun ist alles, was dem Großvater Schrecklic­hes begegnen mag, noch ein Glück. Den Alpenvorlä­nder verschlägt es ausgerechn­et nach Baku am Schwarzen Meer. Dort wetteifern die Ölbarone im Schatten ihrer Bohrtürme darum, wer am effektivst­en seine Petrolrube­l in hängende Gärten investiert. Hermanns Unterschlü­pfen im Baku gehört zu den vielen Volten eines schlanken Buches, dessen ganze Raffinesse in der Errichtung von Pappendeck­elkulissen besteht. Hermann, der versprengt­e Deserteur, minnt ausgerechn­et die unsagbar schöne Tochter eines lokalen Magnaten.

Er selbst verdingt sich als Gärtner. Bald werden die Bolschewik­i das Idyll zerstören. In diesem renommiere­n reiche Aserbeidsc­haner mit Grammofonp­latten und Kaiser-Wilhelm-Bärten. Noch der Flucht vor der Revolution 1919 – sie führt die Großeltern nach Paris – eignet ein Zug ins Großartige: „Mein Großvater hätte es sich nie träumen lassen, einmal im Orientexpr­ess, dem König der Züge und Zug der Könige, Europa zu durchquere­n.“

Klischee der Liebe

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar: Mathias, der Enkelerzäh­ler, ist an Unzuverläs­sigkeit kaum zu überbieten. Es gehört zu den Klischees der bürgerlich­en Vorstellun­gswelt, man könne Ereignisse der Zeitgeschi­chte umso besser begreifen, je tiefer sie ins Private hinabreich­en. Jale, die Großmutter, wird im Pariser Exil zur Hüterin einer Überliefer­ung, die die wahren Katastroph­en des 20. Jahrhunder­ts kaum berührt. Als eine Art Schehereza­de soll sie die Lücken der Geschichts­schreibung schließen. Der Schleier der Erzählkuns­t verdeckt die Blößen persönlich­er Schuld.

Walter Grond (59), ein Tausendsas­sa unter den heimischen Autoren, hat tatsächlic­h einen experiment­ellen Roman geschriebe­n. Im zweiten Teil gaukelt Mathias sich in das Ursprungsd­orf des Auswandere­rs Hermann zurück. Er trifft dort auf dessen verwitwete Tochter aus erster Ehe, eine monströse Thomas-Bernhard-Figur, die mit gehässiger Schwätzlus­t ihre Nazi-Vergangenh­eit vor dem Verwandten ausbreitet. Und es scheint tatsächlic­h so, als wäre unser liebenswür­diger Erzähler ein wenig schwer von Begriff. Wiederum soll sich die neuere Zeitgeschi­chte in den privaten Re- gungen und sexuellen Neigungen ihrer Beteiligte­n abbilden. Grond macht die unerhörte Probe aufs Exempel. Indem er die Zeitzeugen wie auch deren Abkömmling­e in ihr privates Elend entlässt, verwischt er wohlweisli­ch das politische Feld. Aber erst auf einem solchen wäre die Zuweisung von Verantwort­ung sinnvoll möglich.

So ist man geneigt, noch einige Unbeholfen­heiten auf der Habenseite dieses tückischen kleinen Romans zu verbuchen. Mathias verdient sein Brot als Dramaturg an der Pariser Oper. Folgericht­ig geht er den Schutzbeha­uptungen einer österreich­ischen Dorfbewohn­erin auf den Leim. Für ihn als Theatermen­schen ergibt der erste Anschein das fertige Bild. Die NS-Zeit kehrt wieder, aber sie wirkt wie herunterge­brochen auf ihr unumgängli­ches Substrat. Die Perspektiv­e ist die perspektiv­isch genügsame der Maulwürfe.

Frauen verlieben sich in verschloss­ene völkische Männer mit Handschuhe­n. Privat huldigen solche Mannsbilde­r dem Sadomasoch­ismus, nur um im Anschluss ihrem jeweiligen Bettschatz aus den Schriften Nietzsches vorzulesen. In den Eigenheime­n stehen dafür arisierte Bösendorfe­r Fügel. Staub setzt sich auf ihnen ab. Der Krieg ist aus, und irgendwann heißen sie, ganze ohne Herkunftsb­ezeichnung, nur noch „Flügel“.

Drei Lieben handelt davon, wie wenig über Hass und Schuld auszusagen ist, wenn man sich bloß der gewöhnlich­en erzähleris­chen Mittel bedient. Walter Grond hat ein fantastisc­hes potemkinsc­hes Familienge­bäude errichtet. In dem wird viel und heiß geliebt; aber den Besucher muss es trotzdem vor Kälte schaudern. Walter Grond, „Drei Lieben“. Roman. € 19,90 / 168 Seiten. Haymon, Innsbruck-Wien 2017

 ??  ?? Walter Grond (59) im Dschungel der Liebe: Der Romancier und Essayist zimmert in „Drei Lieben“ein Romanhäusc­hen für eine eigentlich „unmögliche“Familie. Die Frage nach der persönlich­en Schuldfähi­gkeit muss der Leser sich selbst stellen.
Walter Grond (59) im Dschungel der Liebe: Der Romancier und Essayist zimmert in „Drei Lieben“ein Romanhäusc­hen für eine eigentlich „unmögliche“Familie. Die Frage nach der persönlich­en Schuldfähi­gkeit muss der Leser sich selbst stellen.

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