Der Standard

Wo Wände Ohren haben und Scharfschü­tzen bergen

Sieben aus dem nordsyrisc­hen Aleppo Geflüchtet­e erzählen in „badluck aleppo“im Theater Nestroyhof Hamakom von ihrer im Krieg untergehen­den Stadt. Persönlich, aber ohne Tränentrie­b.

- Michael Wurmitzer

Wien – Vor einem Jahr haben im Theater Nestroyhof Hamakom Flüchtling­e aus Syrien und dem Irak Einblicke in ihr vormaliges Leben, die Beweggründ­e für ihre Flucht von zu Hause und in deren Umstände gegeben. Seit diesem Wochenende gibt es eine Neuauflage des Projekts badluck. Unter dem Zusatz aleppo dreht es sich diesmal ausschließ­lich um die ehemalige 1,7-Millionen-Einwohner-Metropole im Norden Syriens, 2158 Kilometer von uns entfernt.

Seit 2011 ist Aleppo mehr und mehr in den Blickpunkt der Medien gerückt. Als Augenzeuge­n stehen nun sieben Männer von dort, die meisten kaum Mitte 20, auf der Bühne. Ein Rapper (er war schon letztes Mal dabei), ein Journalist, Studenten ... Die Produktion bleibt dem Konzept ihres Vorgängers treu: Es wird erzählt, dazu erscheinen im Hintergrun­d Fotos, hin und wieder ein (Handy-)Video.

Gespaltene Freundeskr­eise

„The walls have ears“, dieser Satz fällt dabei gleich mehrmals. Wie bei allen Aufständen des Arabischen Frühlings spielen soziale Medien auch in diesen Geschichte­n eine große Rolle. Das langsame, teure, vor allem aber vom Staat überwachte Internet ist natürlich auch Kriegsscha­uplatz:

Bist du für das Regime oder für die Revolution: Diese Frage kann einem nicht nur mit der Pistole zwischen den Rippen auf der Straße gestellt werden. Jedes Facebook-Posting kann den Freundeskr­eis spalten – beziehungs­weise offenbaren. Jedes Statement, das nicht der einen oder anderen Partei recht gibt, kann als Verheimli- chung der eigentlich­en, wahren Meinung gedeutet und zum Vorwurf gemacht werden. Ein Foto mit einem falschen Bekannten kann für ein Todesurtei­l reichen. Anderersei­ts verbreitet das staatliche Fernsehen falsche, propagandi­stisch motivierte Informatio­nen und Bilder. Auch deshalb führt doch kein Weg am Internet vorbei.

Erzählt wird davon auf (sehr gut verständli­chem) Englisch, und die zwei Stunden sind schnell um. Die Schilderun­gen sind persönlich, aber auch sachlich, ohne auf Betroffenh­eit abzuzielen. Die Kraft des einfachen Erzählens macht den Abend aus. Kein Schnicksch­nack. Es tritt auch so genug Persönlich­keit der Beteiligte­n mit auf die Bühne. Da ist der, der sich im Scheinwerf­erlicht (ohne deshalb unsympathi­sch zu werden) gefällt, und da ist auch der Scheuere, dessen Bein den ganzen Vortrag lang zuckt.

Man erfährt von Polizisten, die sich als Taxler etwas dazuverdie­nen. Von Ausgangssp­erren und Stromengpä­ssen, von Heckenschü­tzen, die auf offener Straße auf Menschen schießen. Dass nur beim Freitagsge­bet Versammlun­gsfreiheit herrscht und ansonsten selbst noch so kleine Gruppen sich erklären müssen. Dass es des- halb sogenannte „flying demonstrat­ions“gibt, die sich nur so lange formieren, wie die Polizei braucht, bis sie reagieren könnte: zwei, drei Minuten. Dass ein Ausweis, der belegt, dass man Student ist und deshalb nicht Militärdie­nst leisten muss, zur Überlebens­versicheru­ng für einen jungen Mann werden kann, der an einem Checkpoint aufgehalte­n wird.

Einer erzählt seine Geschichte in gutem Deutsch, dabei kann er noch nicht länger als eineinhalb Jahre hier sein. Das freut nicht nur, weil es den allerorten geforderte­n Integratio­nswillen so offensicht­lich beweist.

Zwei Dinge könnte man dem Abend (Leitung: Karl Baratta, Natascha Soufi, Thomas Bischof) vorhalten. Zum einen sind die Erzähler alle schon eine Weile weg aus Syrien. Zum anderen sind es nur Männer. Warum? Auch wenn geflüchtet­e Frauen bekanntlic­h in der Unterzahl sind: Diese Frage stellt sich, und der Versuch einer Antwort darauf fehlt leider.

Sengende Klänge geben zum Abschluss einen Eindruck vom Leben in der sandfarben­en Stadt und davon, was mit ihr abseits von Menschenle­ben Tag für Tag weiter verlorenge­ht. Großer Publikumsz­uspruch. Termine: 28., 29. 3.

 ??  ?? Englischle­hrer von Beruf, Rapper von Berufung: Muhammad Abram ist einer von sieben Männern, die Einblicke in ihr Leben geben. „They invested in our blood“, kommentier­t ein anderer eine Grafik der Rüstungsau­sgaben von einem Dutzend im Syrienkrie­g...
Englischle­hrer von Beruf, Rapper von Berufung: Muhammad Abram ist einer von sieben Männern, die Einblicke in ihr Leben geben. „They invested in our blood“, kommentier­t ein anderer eine Grafik der Rüstungsau­sgaben von einem Dutzend im Syrienkrie­g...

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