Wo Wände Ohren haben und Scharfschützen bergen
Sieben aus dem nordsyrischen Aleppo Geflüchtete erzählen in „badluck aleppo“im Theater Nestroyhof Hamakom von ihrer im Krieg untergehenden Stadt. Persönlich, aber ohne Tränentrieb.
Wien – Vor einem Jahr haben im Theater Nestroyhof Hamakom Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak Einblicke in ihr vormaliges Leben, die Beweggründe für ihre Flucht von zu Hause und in deren Umstände gegeben. Seit diesem Wochenende gibt es eine Neuauflage des Projekts badluck. Unter dem Zusatz aleppo dreht es sich diesmal ausschließlich um die ehemalige 1,7-Millionen-Einwohner-Metropole im Norden Syriens, 2158 Kilometer von uns entfernt.
Seit 2011 ist Aleppo mehr und mehr in den Blickpunkt der Medien gerückt. Als Augenzeugen stehen nun sieben Männer von dort, die meisten kaum Mitte 20, auf der Bühne. Ein Rapper (er war schon letztes Mal dabei), ein Journalist, Studenten ... Die Produktion bleibt dem Konzept ihres Vorgängers treu: Es wird erzählt, dazu erscheinen im Hintergrund Fotos, hin und wieder ein (Handy-)Video.
Gespaltene Freundeskreise
„The walls have ears“, dieser Satz fällt dabei gleich mehrmals. Wie bei allen Aufständen des Arabischen Frühlings spielen soziale Medien auch in diesen Geschichten eine große Rolle. Das langsame, teure, vor allem aber vom Staat überwachte Internet ist natürlich auch Kriegsschauplatz:
Bist du für das Regime oder für die Revolution: Diese Frage kann einem nicht nur mit der Pistole zwischen den Rippen auf der Straße gestellt werden. Jedes Facebook-Posting kann den Freundeskreis spalten – beziehungsweise offenbaren. Jedes Statement, das nicht der einen oder anderen Partei recht gibt, kann als Verheimli- chung der eigentlichen, wahren Meinung gedeutet und zum Vorwurf gemacht werden. Ein Foto mit einem falschen Bekannten kann für ein Todesurteil reichen. Andererseits verbreitet das staatliche Fernsehen falsche, propagandistisch motivierte Informationen und Bilder. Auch deshalb führt doch kein Weg am Internet vorbei.
Erzählt wird davon auf (sehr gut verständlichem) Englisch, und die zwei Stunden sind schnell um. Die Schilderungen sind persönlich, aber auch sachlich, ohne auf Betroffenheit abzuzielen. Die Kraft des einfachen Erzählens macht den Abend aus. Kein Schnickschnack. Es tritt auch so genug Persönlichkeit der Beteiligten mit auf die Bühne. Da ist der, der sich im Scheinwerferlicht (ohne deshalb unsympathisch zu werden) gefällt, und da ist auch der Scheuere, dessen Bein den ganzen Vortrag lang zuckt.
Man erfährt von Polizisten, die sich als Taxler etwas dazuverdienen. Von Ausgangssperren und Stromengpässen, von Heckenschützen, die auf offener Straße auf Menschen schießen. Dass nur beim Freitagsgebet Versammlungsfreiheit herrscht und ansonsten selbst noch so kleine Gruppen sich erklären müssen. Dass es des- halb sogenannte „flying demonstrations“gibt, die sich nur so lange formieren, wie die Polizei braucht, bis sie reagieren könnte: zwei, drei Minuten. Dass ein Ausweis, der belegt, dass man Student ist und deshalb nicht Militärdienst leisten muss, zur Überlebensversicherung für einen jungen Mann werden kann, der an einem Checkpoint aufgehalten wird.
Einer erzählt seine Geschichte in gutem Deutsch, dabei kann er noch nicht länger als eineinhalb Jahre hier sein. Das freut nicht nur, weil es den allerorten geforderten Integrationswillen so offensichtlich beweist.
Zwei Dinge könnte man dem Abend (Leitung: Karl Baratta, Natascha Soufi, Thomas Bischof) vorhalten. Zum einen sind die Erzähler alle schon eine Weile weg aus Syrien. Zum anderen sind es nur Männer. Warum? Auch wenn geflüchtete Frauen bekanntlich in der Unterzahl sind: Diese Frage stellt sich, und der Versuch einer Antwort darauf fehlt leider.
Sengende Klänge geben zum Abschluss einen Eindruck vom Leben in der sandfarbenen Stadt und davon, was mit ihr abseits von Menschenleben Tag für Tag weiter verlorengeht. Großer Publikumszuspruch. Termine: 28., 29. 3.