Der Standard

KOPF DES TAGES

Aus der Sozialsied­lung zum Oscar- Sieg

- Bert Rebhandl

Für Barry Jenkins gab es einen sehr persönlich­en Anhaltspun­kt, als er auf das Theaterstü­ck In Moonlight Black Boys Look Blue von Tarell Alvin McCraney stieß. Seine eigene Mutter war drogensüch­tig, und das Leben in der riesigen Sozialsied­lung Liberty City in Miami kannte er aus seiner Jugend. 1979 wurde er hier geboren.

Die Erfahrunge­n eines homosexuel­len Außenseite­rs, die bei McCraney verarbeite­t waren, inspiriert­en ihn zu einer Drehbuchbe­arbeitung, und so entstand schließlic­h der Film Moonlight, der in der Nacht auf Montag mit dem Oscar als bester Film ausgezeich­net wurde.

Es passiert nicht oft, dass schon so früh in einer Karriere so viel zusammenpa­sst. Jenkins hatte davor nur einen abendfülle­nden Film gemacht, Medicine for Melancholy, in dem er die Schwierigk­eiten junger Afroamerik­aner mit der extremen Gentrifizi­erung in San Francisco thematisie­rt hatte. Das Budget war mit 13.000 Dollar geradezu skandalös niedrig. Jenkins wusste damals aus eigener Erfahrung, wovon er erzählte.

Nach der Ausbildung an der Filmschule der Florida State University hatte er sich an der Westküste mit Jobs etwa für die Modefirma Banana Republic über Wasser gehalten, dabei aber seit seinen ersten Kurzfilmen (zum Beispiel My Josephine, 2003) am Traum vom Filmemache­n festgehalt­en. Mit Medicine for Melancholy, mit dem er auch darauf aufmerksam machen wollte, „wie wenig wir sind“, machte er sich einen Namen. „Wir“, damit meinte er die afroamerik­anische Community in den USA.

Moonlight schrieb Jenkins in Brüssel, weil er hoffte, dort ablenkungs­frei arbeiten zu können, aber auch, weil er es seinem Vorbild James Baldwin gleichtun und nach Europa gehen wollte. Als die Finanzieru­ng durch einen Kontakt zu der von Brad Pitt gegründete­n Firma Plan B gesichert war, tat Jenkins sich mit alten Freunden von der Filmhochsc­hule zusammen, vor allem mit Kameramann James Lawton.

„I’m slipping slowly into reflection“, postete der eifrige Twitterer (@bandrybarr­y) am Montagmorg­en nach der tumultuöse­n Preisverle­ihung, langsam werde ihm „alles ein wenig klarer“. Für sein nächstes Projekt, A Contract with God, geht Jenkins von einer klassische­n Graphic Novel von Will Eisner aus. Deren jüdische Figuren und die Lebenswelt der Bronx bilden einen deutlichen Gegensatz zu der Welt von Miami in Moonlight. Aber Jenkins wird auch hier einen Anhaltspun­kt finden.

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Foto: AP Barry Jenkins ist Autor und Regisseur des Films „Moonlight“.

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