Letzter Ansturm auf die legendäre Eisstraße
Kanada: Verbindung über das Mackenzie-Delta wird durch Überlandstraße ersetzt
In Kanada beeilen sich Abenteuerlustige gerade, noch schnell ans Polarmeer zu fahren. Sie stürzen sich auf die letzte Gelegenheit, die legendäre Eisstraße zwischen den Inuit-Siedlungen Inuvik und Tuktoyaktuk zu befahren. Denn das Ende der längsten ununterbrochenen Eisstraße der Welt, die über das gefrorene Delta des Mackenzie-Stroms führt, ist gekommen: Sie wird durch eine Überlandstraße ersetzt.
Die TV-Kultserie Ice Road Truckers hat die 187 Kilometer lange Eispiste von Inuvik an den Arktischen Ozean auf der ganzen Welt berühmt gemacht. Von Mitte Dezember bis Anfang Mai befördern bis zu sechzig Tonnen schwere Laster Güter über das gefrorene Wasser des längsten Stroms in Kanada. Täglich wird das zwei bis vier Meter dicke Eis mit Bohrungen kontrolliert. Trotzdem können Laster einbrechen oder in Schneewehen stecken bleiben. Die Straße ist also nichts für schwache Nerven – davon zeugen liegengebliebene Autowracks.
Davon lässt sich Rob Kolenc aus Vancouver nicht abschrecken. Bereits vor acht Jahren fuhr er mit seinem Motorrad der Marke Ural auf der Eisstraße. „Es ist eine der fünf schönsten Erfahrungen in meinem Leben“, schwärmt der 55-jährige Investmentbanker. Die Eisstraße war breiter, als er erwartet hatte – an manchen Stellen bis zu 30 Meter –, aber tiefe Spalten lauerten im Eis.
Langsam über die Eisstraße
Kolenc fuhr nicht schneller als 60 Stundenkilometer, um nicht darin hängen zu bleiben und umzukippen. Um den Temperaturen von minus 25 Grad zu trotzen, trug er einen beheizbaren Helm. Tuktoyaktuk erreichte er schließlich heil. „Auf dem Motorrad an den Arktischen Ozean zu fahren“, sagt er, „war schon immer ein Lebenstraum für mich.“Jetzt will er mit zweien seiner Söhne nochmals dorthin reisen, bevor die Eisstraße verschwindet.
Es gibt im Norden Kanadas noch andere Winterstraßen über das Eis, aber sie gehören privaten Firmen, während die Eisstraße in Inuvik von der Regierung verwaltet wird und allen offensteht. Sie ist auch die einzige Eisstraße, die sowohl über Süßwasser als auch über Salzwasser führt.
Der Schweizer Reiseführer Benno Jaeger nahm von 1998 bis 2015 ein Dutzend Mal Gruppen dorthin mit. Auf der dritten Reise blieb sein Kleinbus 30 Kilometer vor Tuktoyaktuk in einem Schneesturm stecken. Der Schneepflug brauchte sechs Stunden, um die Gruppe zu retten. Die Einheimischen hatten sie am Morgen vor dem Sturm warnen wollen, aber sie war schon abgefahren.
Solche Abenteuergeschichten werden nun bald der Vergangenheit angehören. Die auf Permafrostboden gebaute Straße kann ab Herbst ganzjährig befahren werden. Vorher musste man die Güter im Sommer auf dem Luftweg oder per Boot transportieren. „Die Einheimischen freuen sich auf die neue Verbindung“, sagt Benno Jaeger. Für die Touristen ist es allerdings ein herber Verlust.
Kanadas bekanntester Fernsehkomiker Rick Mercer ist vor kurzem mit einem Lastwagen auf der Eisstraße mitgefahren, um das Ende einer Ära zu beklagen. „Die Eisstraßen im Norden Kanadas sind eine gefährdete Gattung“, rief er in die Kameras.