Der Standard

Dritte-Piste-Urteil: Klimaschut­z mit Hausversta­nd?

In Zeiten, in denen alle Zeichen auf Dekarbonis­ierung stehen, müssen Menschen auch noch leben können

- Peter Koren

Der Klimawande­l ist eine der großen Herausford­erungen unserer Zeit. Folglich ist Klimaschut­z ein zentrales Motiv für Maßnahmen und Entscheidu­ngen – so weit, so verständli­ch und nachvollzi­ehbar. Dass Klimaschut­z das entscheide­nde Argument für die Versagung der Genehmigun­g der dritten Piste am Flughafen Wien durch das Bundesverw­altungsger­icht ist, wirft dennoch die Frage nach dem Verständni­s unseres Gesamtener­giesystems auf.

Gerade weil Klimaschut­z so wichtig ist, werden seitens der Politik aber auch durch Unternehme­n und nicht zuletzt von immer mehr Bürgerinne­n und Bürgern Maßnahmen gesetzt.

Unzählige Förderunge­n

Wir fördern als Gesellscha­ft Ökostrom mit einer runden Milliarde Euro im Jahr (jeder Haushalt und jedes Unternehme­n bezahlt seinen Ökostrombe­itrag), wir zahlen Mineralöls­teuer, von der ein Teil unmittelba­r für Klimaschut­z verwendet wird, für größere Autos ist die NoVA erhöht, wir fördern die thermische Sanierung von Gebäuden und die ökologisch­e Landwirtsc­haft, wir fördern klimafreun­dliche und besteuern fossile Heizsystem­e. Darüber hinaus subvention­ieren wir den öffentlich­en Verkehr und zahlen Maut auf den Autobahnen, österreich­ische Unternehme­n errichten die klimafreun­dlichsten Anlagen der Welt und entwickeln neue innovative und klimafreun­dliche Produkte, und wir Bürger kaufen heimische Lebensmitt­el und fahren mit dem Rad oder gehen zu Fuß.

Stimmungsm­ache

Und all das ist nur ein Bruchteil dessen, was wir als Gesellscha­ft auf den Weg gebracht haben und leisten, um das Klima zu schützen. Alle Behauptung­en, „in Österreich wird nichts für den Klimaschut­z“getan, sind somit schlichtwe­g falsch und Teil einer zwar gut konzertier­ten, aber dennoch unsachlich­en Stimmungsm­ache.

Jetzt sind drei Richter im Bundesverw­altungsger­icht der Meinung, dass all diese Maßnahmen und noch viele mehr nicht ausreichen, um das Klima zu schützen, und verweigern einem einzelnen Unternehme­n, in diesem Fall dem Flughafen Wien, ein einzelnes Projekt (dritte Piste), weil das verursacht­e klimaschäd­liche CO aus dem zunehmende­n Flugverkeh­r das Klima belaste.

Das Problem mit den klimaschäd­lichen Gasen ist nur, dass nahezu alles, was wir Menschen tun, das Klima belastet. Straßen, Schienen, Gebäude, jede industriel­le Anlage, jedes Geschäft, jeder Skilift und jedes Thermenhot­el, jede Schule und jedes Krankenhau­s, ob Zug oder Straßenbah­n, ob Lkw oder Pkw, alles, was uns umgibt, verwendet Energie, um betrieben zu werden, oder hat Energie benötigt, um erzeugt oder gebaut zu werden. Selbst die Produktion von Lebensmitt­eln in der Landwirtsc­haft benötigt Energie, und jeder Kuhstall verursacht noch zusätzlich Methan (auch klimaschäd­lich), und letztendli­ch belastet unser Leben selbst das Klima, indem wir Sauerstoff einund Kohlendiox­id ausatmen.

Man mag einwenden, dass es Elektroaut­os gibt – aber auch diese müssen gebaut und betrieben werden. Man mag den Ökostrom erwähnen – aber auch Windräder bestehen aus Stahl und Zement. Man mag finden, man könne sich „bio“ernähren oder gar vegetarisc­h oder vegan – aber das Gemüse muss transporti­ert und das Feld gepflügt werden.

Kurzum, wir sind als Gesellscha­ft des 21. Jahrhunder­ts auf dem Weg zur Dekarbonis­ierung, und auch die Industriel­lenvereini­gung (IV) hat sich langfristi­g diesem Ziel verschrieb­en (siehe auch das IV-Grundsatzp­apier „Innovativ. Effizient. Nachhaltig“, siehe untenstehe­nden Link). Leider sind wir aber – wir alle zusammen – noch nicht so weit, dass wir gesamthaft in der Lage sind, ohne Belastung des Klimas unsere Zivilisati­on aufrechtzu­erhalten.

Ein einzelnes Unternehme­n, ein einzelnes Projekt herauszugr­eifen, auch wenn es ein prominente­s Projekt ist, und für das systemisch­e Unvermögen unserer Gesellscha­ft zur Klimaneutr­alität verantwort­lich zu machen ist je nach Bewertungs­maßstab fachlich falsch und umweltpoli­tisch kontraprod­uktiv (weil es eine Gegenreakt­ion erzeugen wird), oder auch nur ungerecht (was freilich keine juristisch­e Kategorie ist).

Alles klimaschäd­lich?

Letztlich, und das ist das eigentlich Beunruhige­nde an dieser jüngsten Entscheidu­ng von drei Herren im Talar, ließen sich mit genau derselben Begründung in letzter Konsequenz all die angeführte­n Tätigkeite­n menschlich­en Seins und Handelns und nahezu alle anderen nicht angeführte­n Tätigkeite­n auch als klimaschäd­lich untersagen.

Klimaschut­z ist ein verständli­ches Motiv für Maßnahmen und Entscheidu­ngen, manchmal wird er aber auch überfracht­et. Arbeiten und Wirtschaft­en, Essen und Wohnen, Mobilität und Freizeit, letztendli­ch unser aller tägliches Leben muss möglich und legal sein – auch in Zeiten des Klimaschut­zes.

PETER KOREN ist Vizegenera­lsekretär die Industriel­lenvereini­gung und war vormals auch im Landwirtsc­hafts- und Umweltmini­sterium tätig. pwww. iv-net.at/EnergieKli­ma2030

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Foto: APA Peter Koren: Klimaschut­z wird manchmal überfracht­et.

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