Dritte-Piste-Urteil: Klimaschutz mit Hausverstand?
In Zeiten, in denen alle Zeichen auf Dekarbonisierung stehen, müssen Menschen auch noch leben können
Der Klimawandel ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Folglich ist Klimaschutz ein zentrales Motiv für Maßnahmen und Entscheidungen – so weit, so verständlich und nachvollziehbar. Dass Klimaschutz das entscheidende Argument für die Versagung der Genehmigung der dritten Piste am Flughafen Wien durch das Bundesverwaltungsgericht ist, wirft dennoch die Frage nach dem Verständnis unseres Gesamtenergiesystems auf.
Gerade weil Klimaschutz so wichtig ist, werden seitens der Politik aber auch durch Unternehmen und nicht zuletzt von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern Maßnahmen gesetzt.
Unzählige Förderungen
Wir fördern als Gesellschaft Ökostrom mit einer runden Milliarde Euro im Jahr (jeder Haushalt und jedes Unternehmen bezahlt seinen Ökostrombeitrag), wir zahlen Mineralölsteuer, von der ein Teil unmittelbar für Klimaschutz verwendet wird, für größere Autos ist die NoVA erhöht, wir fördern die thermische Sanierung von Gebäuden und die ökologische Landwirtschaft, wir fördern klimafreundliche und besteuern fossile Heizsysteme. Darüber hinaus subventionieren wir den öffentlichen Verkehr und zahlen Maut auf den Autobahnen, österreichische Unternehmen errichten die klimafreundlichsten Anlagen der Welt und entwickeln neue innovative und klimafreundliche Produkte, und wir Bürger kaufen heimische Lebensmittel und fahren mit dem Rad oder gehen zu Fuß.
Stimmungsmache
Und all das ist nur ein Bruchteil dessen, was wir als Gesellschaft auf den Weg gebracht haben und leisten, um das Klima zu schützen. Alle Behauptungen, „in Österreich wird nichts für den Klimaschutz“getan, sind somit schlichtweg falsch und Teil einer zwar gut konzertierten, aber dennoch unsachlichen Stimmungsmache.
Jetzt sind drei Richter im Bundesverwaltungsgericht der Meinung, dass all diese Maßnahmen und noch viele mehr nicht ausreichen, um das Klima zu schützen, und verweigern einem einzelnen Unternehmen, in diesem Fall dem Flughafen Wien, ein einzelnes Projekt (dritte Piste), weil das verursachte klimaschädliche CO aus dem zunehmenden Flugverkehr das Klima belaste.
Das Problem mit den klimaschädlichen Gasen ist nur, dass nahezu alles, was wir Menschen tun, das Klima belastet. Straßen, Schienen, Gebäude, jede industrielle Anlage, jedes Geschäft, jeder Skilift und jedes Thermenhotel, jede Schule und jedes Krankenhaus, ob Zug oder Straßenbahn, ob Lkw oder Pkw, alles, was uns umgibt, verwendet Energie, um betrieben zu werden, oder hat Energie benötigt, um erzeugt oder gebaut zu werden. Selbst die Produktion von Lebensmitteln in der Landwirtschaft benötigt Energie, und jeder Kuhstall verursacht noch zusätzlich Methan (auch klimaschädlich), und letztendlich belastet unser Leben selbst das Klima, indem wir Sauerstoff einund Kohlendioxid ausatmen.
Man mag einwenden, dass es Elektroautos gibt – aber auch diese müssen gebaut und betrieben werden. Man mag den Ökostrom erwähnen – aber auch Windräder bestehen aus Stahl und Zement. Man mag finden, man könne sich „bio“ernähren oder gar vegetarisch oder vegan – aber das Gemüse muss transportiert und das Feld gepflügt werden.
Kurzum, wir sind als Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auf dem Weg zur Dekarbonisierung, und auch die Industriellenvereinigung (IV) hat sich langfristig diesem Ziel verschrieben (siehe auch das IV-Grundsatzpapier „Innovativ. Effizient. Nachhaltig“, siehe untenstehenden Link). Leider sind wir aber – wir alle zusammen – noch nicht so weit, dass wir gesamthaft in der Lage sind, ohne Belastung des Klimas unsere Zivilisation aufrechtzuerhalten.
Ein einzelnes Unternehmen, ein einzelnes Projekt herauszugreifen, auch wenn es ein prominentes Projekt ist, und für das systemische Unvermögen unserer Gesellschaft zur Klimaneutralität verantwortlich zu machen ist je nach Bewertungsmaßstab fachlich falsch und umweltpolitisch kontraproduktiv (weil es eine Gegenreaktion erzeugen wird), oder auch nur ungerecht (was freilich keine juristische Kategorie ist).
Alles klimaschädlich?
Letztlich, und das ist das eigentlich Beunruhigende an dieser jüngsten Entscheidung von drei Herren im Talar, ließen sich mit genau derselben Begründung in letzter Konsequenz all die angeführten Tätigkeiten menschlichen Seins und Handelns und nahezu alle anderen nicht angeführten Tätigkeiten auch als klimaschädlich untersagen.
Klimaschutz ist ein verständliches Motiv für Maßnahmen und Entscheidungen, manchmal wird er aber auch überfrachtet. Arbeiten und Wirtschaften, Essen und Wohnen, Mobilität und Freizeit, letztendlich unser aller tägliches Leben muss möglich und legal sein – auch in Zeiten des Klimaschutzes.
PETER KOREN ist Vizegeneralsekretär die Industriellenvereinigung und war vormals auch im Landwirtschafts- und Umweltministerium tätig. pwww. iv-net.at/EnergieKlima2030