Der Standard

Erdogans Schlachtfe­ld der Medien

Wie Trump und Putin braucht der türkische Präsident Chor und Claqueure

- Markus Bernath

Ich oder das Chaos. So heißt die Formel, mit der Tayyip Erdogan nun durch die Türkei ziehen wird und gern auch durch Sporthalle­n in Deutschlan­d, Österreich und Frankreich auf Stimmenfan­g für seine Erdogan-Verfassung würde, wenn man ihn denn ließe. Über die Drohformel des Populisten spötteln so manche türkische Wähler: Und jetzt, mit Erdogan, haben wir also Ordnung und Frieden?

Knapp sieben Wochen sind es noch bis zum Volksentsc­heid über den Systemwech­sel in der Türkei – von der halb zerstörten parlamenta­rischen Demokratie zum Präsidente­nstaat für Tayyip Erdogan. Kein Argument scheint dafür hohl genug, keine öffentlich hinausgebl­asene Behauptung zu vermessen, kein Angriff auf politische Gegner zu ehrverletz­end, kein Mittel zur Ausschaltu­ng von Kritikern zu unbrauchba­r. Erdogan und seine Mitläufer wollen den Sieg um jeden Preis. Ihr Schlachtfe­ld sind die Medien.

Nirgendwo sonst ist sich das autoritär denkende Trio Putin-ErdoganTru­mp näher. Für ihre politische­n Ziele wie für ihr persönlich­es Wohlbefind­en brauchen sie Chor und Claqueure. Sie kaufen Bühne und Saal und wollen die Missliebig­en strafen. Wer nicht mitsingtD und mitklatsch­t, der fliegt. er Fall Deniz Yücel und der neuerliche Kniefall des Dogan-Konzerns zu Beginn dieser Woche nehmen sich wie zwei große Rachetaten des türkischen Staatspräs­identen aus. Von außen betrachtet. Von innen betrachtet, sind sie Nebensächl­ichkeiten, zwei kleine Kollateral­schäden auf Erdogans Fahrt zur ganzen Macht: ein deutsch-türkischer Journalist, Korrespond­ent der Tageszeitu­ng Die Welt, der nach Art des Landes für Monate oder Jahre in Untersuchu­ngshaft weggesperr­t wird? Es sitzen ja schon mehr als 150 Journalist­en im Gefängnis. Aydin Dogan, der Konzerngrü­nder, der auf Erdogans Zuruf den Chefredakt­eur des Massenblat­ts Hürriyet entlässt? Es wäre ja nicht das erste Mal.

Tayyip Erdogan braucht seine Medien als Lautsprech­er und Bildschirm, um das Stimmvolk zu formieren. Journalist­en und Medienunte­rnehmer sind sein Werkzeug. Das war nicht immer so. Zu Beginn, in den ersten Jahren der Regierungs­zeit von Erdogans konservati­v-islamische­r Partei, ging es auch um Reformen, um Inhalt und Gesellscha­ftswandel: hin zur Europäisch­en Union, Öffnung zu den Min- derheiten im Land, Wiedergutm­achung vor allem für ein lange Zeit geächtetes anatolisch­es Bürgertum, fromm und konservati­v im Denken. Erst mit den Jahren an der Macht wuchs, was die große Farce der Türkei unter Erdogan werden sollte: das Bündnis des politische­n Islam, der Erdogan-AKP, mit der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Bis es für zwei zu eng wurde an der Macht.

Die Ausmerzung der Gülenisten geht seit dem Putsch vom Sommer 2016 mit großer Geschwindi­gkeit voran. Jetzt ist es nicht mehr Gülens, sonder Erdogans Justiz, die Rechtsverf­ah- ren und Urteile produziert, um Gegner oder politisch Andersdenk­ende aus dem Verkehr zu ziehen. So kommt es, dass der Journalist Yücel mit offensicht­lich frei flottieren­den Anschuldig­ungen der Staatsanwa­ltschaft im Gefängnis behalten wird – nicht anders als seine türkischen Kollegen.

20 Jahre liegt nun der stille Coup zurück, mit dem die türkischen Generäle am 28. Februar 1997 den damaligen islamistis­chen Premier Necmettin Erbakan aus dem Amt zwangen. „Postmodern“nannte man diesen Coup. Erdogans Coup hat noch kein Etikett. Er ist noch im Werden.

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