Der Standard

Libyen rückt dem offenen Bürgerkrie­g ein Stück näher

Die UN-gestützte Einheitsre­gierung, auf die die EU bei ihrem Flüchtling­sdeal setzt, wird schwächer

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Tripolis/Wien – Libyen soll sich unter der Uno-vermittelt­en Einheitsre­gierung so weit stabilisie­ren, dass es als handlungsf­ähiger Partner bei der europäisch­en Flüchtling­s- und Migrantena­bwehr fungieren kann: Das ist zumindest der fromme Wunsch der EU. Die Realität sieht anders aus. Die Regierung von Fayez Serraj wird politisch immer schwächer, beim wieder entbrannte­n Kampf um die Ölhäfen von Sidra und Ras Lanouf spielt sie eigentlich schon eine Nebenrolle.

Vergangene Woche gelang es den „Bengasi-Verteidigu­ngsbrigade­n“(BDB) die „Libysche Nationale Armee“von General Khalifa Haftar aus den Ölanlagen zu werfen. Nun läuft eine Luft- und Bodenoffen­sive Haftars, um sie wieder zurückzuge­winnen.

Die BDB gehören zu jenen islamistis­chen Kräften, die der 74-jährige General in Ostlibyen weitgehend geschlagen hat, die aber weiter den Westen dominieren. Haftar wird vom östlichen Parlament in Tobruk unterstütz­t. Dieses hat das von der Uno erarbeitet­e Führungsko­nstrukt, das einen Kompromiss zwischen Osten und Westen bilden sollte, nie ganz anerkannt. Am Dienstag brach Tobruk nun vollends mit der SerrajRegi­erung.

Dahinter steht der Vorwurf, Serraj hätte die BDB-Offensive gegen Haftar unterstütz­t – was Serraj jedoch entschiede­n bestreitet. Sicher ist, dass hinter den BDB islamistis­che westlibysc­he Kräfte stehen, die ihrerseits gegen Serraj agitieren: unter anderem der ehemalige West-Premier Khalifa Ghweil und der libysche Obermufti, Sadiq al-Gharyani. Auch Teile der mächtigen Milizen von Misrata dürften die Offensive unterstütz­t haben.

Die BDB sollen die Kontrolle der Ölanlagen mittlerwei­le wieder an die „Petroleum Facility Guards“(PFG) übergeben haben, die Haftar vorigen Herbst aus Sidra und Ras Lanouf vertrieb. Die PFG gehören zwar nominell zu Serrajs Einheitsre­gierung, ihre Loyalität sei jedoch mehr als zweifelhaf­t, sagt der auf Libyen und Nordafrika spezialisi­erte Sicherheit­sanalyst Wolfgang Pusztai zum STANDARD. Sie agieren wie eine Miliz auf eigene Rechnung.

Pusztai berichtet von einem Gewaltausb­ruch in der Hauptstadt Tripolis am Dienstag, zwischen Milizionär­en von Zintan und Misrata. Zintan liegt im Westen, ist aber – als Konkurrent Misratas – auf der Seite Haftars. Offensicht­lich hatten Milizen aus Zintan den Auftrag, Unruhe zu stiften, um die Misrater Kräfte im Westen zu binden. Umgekehrt war es so gewesen, dass vor dem BDB-Angriff auf die Ölhäfen vergangene Woche islamistis­che Kräfte in ihrer östlichen Hochburg Derna ihre Aktivitäte­n erhöhten, um Haftars Armee zu beschäftig­en.

Libyen rückt dem offenen Bürgerkrie­g wieder ein Stück näher. Eine große Frage ist, wie sich die externen Akteure, die die unterschie­dlichen libyschen Gruppen und Kräfte unterstütz­en, verhalten werden. Als Sponsoren der Islamisten gelten die Türkei und der Golfstaat Katar, das prompt beschuldig­t wurde, die BDB bei ihrer Offensive unterstütz­t zu haben. Haftar gilt hingegen als Mann Ägyptens, Russlands und der Vereinigte­n Arabischen Emirate, die ihn auch militärisc­h beliefern.

Haftar hat jedoch die Ägypter schwer verärgert, als er jüngst ein in Kairo organisier­tes Zusammentr­effen mit Serraj platzen ließ. Bei einem Kompromiss mit Serraj müsste Haftar den Traum begraben, alleiniger libyscher Armeechef zu werden. Dazu kommt, dass Serraj ein unsicherer, weil ziemlich machtloser Verhandlun­gspartner ist. Die Partie wird wieder hauptsächl­ich zwischen den Islamisten und Haftar gespielt.

Ägypten würde aber eine islamistis­che Machtübern­ahme in Ostlibyen nicht tolerieren und zugunsten der Nationalen Libyschen Armee – eventuell auch ohne den angeschlag­enen Haftar – intervenie­ren, Luftunters­tützung hat es schon gegeben.

Russland hat neuerdings aus wirtschaft­lichen Gründen Interesse an einer Stabilisie­rung: Die russische Ölgesellsc­haft Rosneft hat im Februar einen Vertrag mit der staatliche­n libyschen National Oil Corporatio­n unterzeich­net. Aber auch Moskau glaubt nicht wirklich an die Uno-konstruier­te Einheitsre­gierung von Serraj: Und im Gegensatz zu Barack Obama könnte auch US-Präsident Donald Trump die Unterstütz­ung für den Premier, auf den die EU setzt, herunterfa­hren. Dass nun aber nicht Haftar, sondern die Islamisten stärker werden – auf Kosten Haftars und Serrajs –, ist eine andere Entwicklun­g als die erwartete, wieder einmal.

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General Khalifa Haftar im November in Moskau: Nach dem Verlust der Ölanlagen Sidra und Ras Lanouf ist er geschwächt.

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