Der Lackmustest für soziale Gerechtigkeit an den Unis
In den kommenden Monaten wird beschlossen, wer von den zusätzlichen 25 Millionen Euro für Stipendien profitiert. Seit über zehn Jahren wurden die Beihilfen nicht valorisiert, und die Zahl der Bezieher sinkt stetig.
Wien – In der Sprache der Chemie ausgedrückt, stellt das Stipendienwesen so etwas wie den Lackmustest dar, wie viel der Regierung an der sozialen Durchlässigkeit im tertiären Bildungssektor liegt. Mit dem Farbstoff Lackmus können Chemiker feststellen, wie sauer oder basisch eine bestimmte Substanz ist. Die Ausgestaltung der Studienbeihilfe zeigt hingegen an, wie viel es der Regierung wert ist, dass Personen trotz nachweislicher finanzieller Bedürftigkeit dennoch einem Studium nachgehen können. Ein Lackmustest kann in diesem Sinne nicht bestanden werden – vielmehr ist er ein Gradmesser, der Tendenzen anzeigt.
Als Begleitmaßnahme der Studienplatzfinanzierung (siehe Seite U2), die Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) vorantreiben will, hat er Mitte Februar seine Vorhaben zur Erhöhung der Studienförderung um 25 Millionen Euro pro Jahr vorgestellt. Da die konkrete Ausgestaltung in den kommenden Monaten verhandelt wird, reißen die Diskussionen darüber, wer in welchem Ausmaß gefördert werden soll, nicht ab.
Immer weniger Beihilfenbezieher
Wie Martin Unger, der die soziale Lage der Studierenden am Institut für Höhere Studien (IHS) seit Jahren untersucht, feststellt, ist „in den vergangenen Jahren der Anteil derer, die eine Beihilfe bekommen, immer weiter gesunken, die Leute sind aber nicht sprunghaft reicher geworden“.
So wurde die Einkommensgrenze der Eltern seit fast zehn Jahren nicht der Inflation angepasst, die Beihilfen selbst noch länger nicht, kritisiert Andrea Kuntzl, Wissen- schaftssprecherin der SPÖ: „Das verzerrt die Höhe der Beihilfe und reduziert die Zahl der Anspruchsberechtigten.“
Tatsächlich haben 2009 noch 18 Prozent derjenigen, die gleich nach Schule, Ziviloder Militärdienst zu studieren begonnen haben, ein Stipendium bekommen, 2015 nur noch rund zwölf Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg allerdings die Zahl jener, die sich nach mindestens vier Jahren Berufstätigkeit für ein Studium entschlossen haben und dafür ein Selbsterhalterstipendium bekamen. Dieses Stipendium ist unabhängig vom Einkommen der Eltern und beträgt für Studierende unter 27 Jahren seit über zehn Jahren maximal 679 Euro monatlich.
Das Papier hinter dem aktuellen Plan
Das Dokument, das Mitterlehners Vorstoß zugrunde liegt, ist eine Evaluierung der Studienförderung durch das IHS aus dem Jahr 2013. Die über 300 Seiten starke Studie wurde zur Grundlage der Arbeitsgruppe „Soziale Absicherung Studierender“der Hochschulkonferenz. In der aktuellen Situation empfiehlt Unger drei Maßnahmen, um die Absicherung der Studierenden zu gewährleisten: erstens eine Erhöhung der Einkommensgrenze der Eltern, „damit mehr Studierende überhaupt die Chance haben, ein Stipendium zu bekommen“. Zweitens eine Erhöhung der Studienbeihilfe und drittens eine Verlängerung. „Die Anforderungen der Studienbeihilfe sind vor allem an den Universitäten nicht in Einklang mit den Studiendauern“, sagt Unger, „in vielen Studienrichtungen kann man es in der vorgegebenen Zeit einfach nicht schaffen“. Doch um diese drei Punkte optimal auszugestalten, „werden die 25 Millionen Euro nicht reichen“, sagt der Soziologe.
Wie viel Geld es dafür genau brauche, lasse sich schwer abschätzen. „Bisher ist unser Stipendienwesen vom Geld getrieben und nicht von der Notwendigkeit.“So bekämen längst nicht alle eine Beihilfe, die ihrer bedürfen würden. Zumindest stellt Unger der Regierung insofern ein gutes Zeugnis aus, als die Mittel en gros jenen zukommen, die den größten Bedarf haben.
Die zusätzlichen 25 Millionen will Mitterlehner nun dafür einzusetzen, die Einkommensgrenze der Eltern anzuheben, wodurch mehr Studierende ein Stipendium erhalten würden. Außerdem ist es ihm ein Anliegen, dass besonders Studierende, deren Eltern getrennt leben, von den 25 Millionen Euro profitieren. Zunächst wurde die Anzahl der Betroffenen auf 18.000 Studierende geschätzt, mittlerweile geht das Ministerium von 11.000 Studierenden aus.
Abhängigkeit von den Eltern
Konkret will Mitterlehner diese Studierenden erreichen, indem die Absetzbeträge getrennt lebender Eltern neu geregelt werden: Bisher wurden nur die halben Absetzbeträge gerechnet, künftig soll bei jedem Elternteil der volle Absetzbetrag vom jeweiligen Einkommen abgezogen werden, „um so die finanzielle Belastung durch die getrennte Haushaltsführung besser zu berücksichtigen“, wie Mitterlehner gegenüber dem UniSTANDARD ausführt. Ein anderes Problem, das bei getrennten Eltern immer wieder vorkommt, dass nämlich ein Elternteil keine Alimente zahlt, zur Berechnung des Stipendiums aber dennoch die Einkünfte beider Eltern herangezogen werden, wird im Mitterlehner-Plan nicht angegangen.
Warum die geplante Änderungen im Studienförderungssystem nicht zum Anlass genommen wird, prinzipiell über die Abhängigkeit Studierender von ihren Eltern nachzudenken, begründet der Minister folgendermaßen: „Anders als in den skandinavischen Ländern sieht das Zivilrecht in Österreich einen Unterhaltsanspruch der Kin- der gegenüber den Eltern auch nach Eintritt der Volljährigkeit vor, solange sie sich nicht selbst versorgen können.“Die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Sigrid Maurer, kritisiert die derzeit geltende Regelung, wonach sich das Stipendium der Studierenden nach dem Einkommen ihrer Eltern richtet, vehement: „Studierende werden in Österreich bis 26 wie Kinder behandelt, nicht wie Erwachsene. Zudem erhalten viele nicht den Unterhalt, der ihnen laut Gesetz zusteht – und die eigenen Eltern zu verklagen ist eine enorm große Hürde. Für diese Abhängigkeit spricht gar nichts.“