Türkei empört über die „Nacht der Schande“
Weil der eine nicht landen durfte, versuchte die andere es mit dem Auto: Zwei türkische Minister wollten in Rotterdam vor Landsleuten für das Verfassungsreferendum werben. Der Eklat stachelt die nationalistischen Wähler an.
Die Nacht war lang und wohl die aufwühlendste in ihrer politischen Karriere. Doch die Ministerin lässt sich die Erschöpfung nicht anmerken. Sie blafft nicht mit lauter Stimme ins Mikrofon wie ihre männlichen Kollegen, sie stößt keine wilden Drohungen gegen die Europäer aus, als sie am Sonntagvormittag am Flughafen Atatürk in Istanbul in einer schnell einberufenen Pressekonferenz den Journalisten gegenübersitzt. Fatma Betül Sayan Kaya berichtet von dieser Reise, die vor einem Polizeikordon endete, 30 Meter vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam, und die nun das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei in seine bisher tiefste Krise stürzt.
„Hässlich“und „unmenschlich“sei sie behandelt worden, stellt die türkische Familienministerin fest. Nach eineinhalb Stunden Diskussionen mit den Polizisten vor dem Konsulat wurde Kaya am frühen Sonntagmorgen wieder zum Grenzübergang Nimwegen nach Deutschland eskortiert, von wo sie losgefahren war. Der Westen, der nicht aufhöre, an dem Ausnahmezustand herumzumäkeln, den die Türkei nach dem Putsch vom 15. Juli verhängte, habe nun selbst in einer Nacht einen Ausnahmezustand gegen eine türkische Ministerin und deren Landsleute erlassen.
„Eine Nacht der Schande“für die Niederlande und für Europa, fügt der türkische Energieminister hinzu, der neben Kaya sitzt. Berat Albayrak, Minister und Schwiegersohn des türkischen Staatschefs, nahm das Heft gleich in die Hand und organisierte den Presseauftritt der einzigen Frau im Re- gierungskabinett. Es ist ohne Zweifel ein Wochenende, an dem neue türkische Helden geboren werden und Günstlinge sich weiter nach vorn in den Blick von Tayyip Erdogan, dem autoritär regierenden Staatschef, schieben.
Kaya, die 37-jährige Familienministerin mit dem muslimischen Kopftuch, gehört dazu ebenso wie der allgegenwärtige Albayrak oder jener Mann, der am Sonntag auf das Dach des niederländischen Generalkonsulats in Istanbul klettert und die türkische Fahne hisst. „Allah ist groß!“, ruft er mit ausgebreiteten Armen. Und Mevlüt Çavuşoglu natürlich, der schnell aufbrausende Außenminister. Mit der Annullierung seiner Reise begann am Samstag die Eskalation. Zwei Wochen dauert bereits der Streit um wahlkämpfende türkische Minister, die um die Stimmen der Auslandstürken für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und die Einführung eines Präsidialsystems beim Referendum am 16. April werben wollen.
Botschafter weg
Çavuşoglu hatte mit „Gegenmaßnahmen“gedroht, sollte er an einem Auftritt vor türkischen Wählern im Konsulat in Rotterdam gehindert werden. Das ließ sich die Regierung von Marc Rutte nicht gefallen, erst recht nicht vier Tage vor den Parlamentswahlen am Mittwoch, und entzog der Maschine des türkischen Außenministers die Landeerlaubnis. Jetzt herrscht so etwas wie kalter Krieg zwischen Ankara und Den Haag. Der türkische Botschafter ist zurückberufen worden, der niederländische war ohnehin auf Urlaub. Eine Entschuldigung werde nicht reichen, ruft Çavuşoglu am Sonntag aus, wobei offenblieb, welche andere Formen der Wiedergutmachung sich der türkische Außenminister von den Niederländern erwartet. Da ist Çavuşoglu schon bei seinem nächsten Auftritt vor türkischen Wählern in Frankreich. Zumindest die Landung auf dem lothringischen Flughafen Metz-Nancy hat in der Nacht auf Sonntag geklappt.
Fünf Wochen sind es noch bis zum Volksentscheid in der Türkei, zum Ja für die Verfassungsänderungen oder zum Nein gegen die Ein-Mann-Regierung von Tayyip Erdogan, für die auch so geworben wird: „Tek“– „allein“– steht schlicht auf den Plakaten mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten. Der Eklat in den Niederlanden, erst um die entzogene Landeerlaubnis für den türkischen Außenminister, dann um die nächtliche Ausweisung der Familienministerin, bringt Tayyip Erdogan noch weiter in Fahrt. Er spürt, dass sich der Trend nun wirklich dreht. Er glaubt, dass er das Ja zu seiner Verfassung in der Tasche hat. Die Türken sind empört über die Behandlung ihrer Minister. Sogar die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, sichert der Regierung am Sonntag „jede Unterstützung“gegen die Niederlande zu.
„Der Westen zeigt sein wahres Gesicht“, poltert Erdogan bei einer Rede. Mitglieder der Jugendorganisation der regierenden AKP zeigen, was sie mit den Holländern am liebsten machen wollen: Sie pressen Orangen mit der bloßen Hand aus.