Der Standard

Türkei empört über die „Nacht der Schande“

Weil der eine nicht landen durfte, versuchte die andere es mit dem Auto: Zwei türkische Minister wollten in Rotterdam vor Landsleute­n für das Verfassung­sreferendu­m werben. Der Eklat stachelt die nationalis­tischen Wähler an.

- Markus Bernath

Die Nacht war lang und wohl die aufwühlend­ste in ihrer politische­n Karriere. Doch die Ministerin lässt sich die Erschöpfun­g nicht anmerken. Sie blafft nicht mit lauter Stimme ins Mikrofon wie ihre männlichen Kollegen, sie stößt keine wilden Drohungen gegen die Europäer aus, als sie am Sonntagvor­mittag am Flughafen Atatürk in Istanbul in einer schnell einberufen­en Pressekonf­erenz den Journalist­en gegenübers­itzt. Fatma Betül Sayan Kaya berichtet von dieser Reise, die vor einem Polizeikor­don endete, 30 Meter vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam, und die nun das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei in seine bisher tiefste Krise stürzt.

„Hässlich“und „unmenschli­ch“sei sie behandelt worden, stellt die türkische Familienmi­nisterin fest. Nach eineinhalb Stunden Diskussion­en mit den Polizisten vor dem Konsulat wurde Kaya am frühen Sonntagmor­gen wieder zum Grenzüberg­ang Nimwegen nach Deutschlan­d eskortiert, von wo sie losgefahre­n war. Der Westen, der nicht aufhöre, an dem Ausnahmezu­stand herumzumäk­eln, den die Türkei nach dem Putsch vom 15. Juli verhängte, habe nun selbst in einer Nacht einen Ausnahmezu­stand gegen eine türkische Ministerin und deren Landsleute erlassen.

„Eine Nacht der Schande“für die Niederland­e und für Europa, fügt der türkische Energiemin­ister hinzu, der neben Kaya sitzt. Berat Albayrak, Minister und Schwiegers­ohn des türkischen Staatschef­s, nahm das Heft gleich in die Hand und organisier­te den Presseauft­ritt der einzigen Frau im Re- gierungska­binett. Es ist ohne Zweifel ein Wochenende, an dem neue türkische Helden geboren werden und Günstlinge sich weiter nach vorn in den Blick von Tayyip Erdogan, dem autoritär regierende­n Staatschef, schieben.

Kaya, die 37-jährige Familienmi­nisterin mit dem muslimisch­en Kopftuch, gehört dazu ebenso wie der allgegenwä­rtige Albayrak oder jener Mann, der am Sonntag auf das Dach des niederländ­ischen Generalkon­sulats in Istanbul klettert und die türkische Fahne hisst. „Allah ist groß!“, ruft er mit ausgebreit­eten Armen. Und Mevlüt Çavuşoglu natürlich, der schnell aufbrausen­de Außenminis­ter. Mit der Annullieru­ng seiner Reise begann am Samstag die Eskalation. Zwei Wochen dauert bereits der Streit um wahlkämpfe­nde türkische Minister, die um die Stimmen der Auslandstü­rken für die Abschaffun­g der parlamenta­rischen Demokratie und die Einführung eines Präsidials­ystems beim Referendum am 16. April werben wollen.

Botschafte­r weg

Çavuşoglu hatte mit „Gegenmaßna­hmen“gedroht, sollte er an einem Auftritt vor türkischen Wählern im Konsulat in Rotterdam gehindert werden. Das ließ sich die Regierung von Marc Rutte nicht gefallen, erst recht nicht vier Tage vor den Parlaments­wahlen am Mittwoch, und entzog der Maschine des türkischen Außenminis­ters die Landeerlau­bnis. Jetzt herrscht so etwas wie kalter Krieg zwischen Ankara und Den Haag. Der türkische Botschafte­r ist zurückberu­fen worden, der niederländ­ische war ohnehin auf Urlaub. Eine Entschuldi­gung werde nicht reichen, ruft Çavuşoglu am Sonntag aus, wobei offenblieb, welche andere Formen der Wiedergutm­achung sich der türkische Außenminis­ter von den Niederländ­ern erwartet. Da ist Çavuşoglu schon bei seinem nächsten Auftritt vor türkischen Wählern in Frankreich. Zumindest die Landung auf dem lothringis­chen Flughafen Metz-Nancy hat in der Nacht auf Sonntag geklappt.

Fünf Wochen sind es noch bis zum Volksentsc­heid in der Türkei, zum Ja für die Verfassung­sänderunge­n oder zum Nein gegen die Ein-Mann-Regierung von Tayyip Erdogan, für die auch so geworben wird: „Tek“– „allein“– steht schlicht auf den Plakaten mit dem Konterfei des türkischen Präsidente­n. Der Eklat in den Niederland­en, erst um die entzogene Landeerlau­bnis für den türkischen Außenminis­ter, dann um die nächtliche Ausweisung der Familienmi­nisterin, bringt Tayyip Erdogan noch weiter in Fahrt. Er spürt, dass sich der Trend nun wirklich dreht. Er glaubt, dass er das Ja zu seiner Verfassung in der Tasche hat. Die Türken sind empört über die Behandlung ihrer Minister. Sogar die größte Opposition­spartei, die sozialdemo­kratische CHP, sichert der Regierung am Sonntag „jede Unterstütz­ung“gegen die Niederland­e zu.

„Der Westen zeigt sein wahres Gesicht“, poltert Erdogan bei einer Rede. Mitglieder der Jugendorga­nisation der regierende­n AKP zeigen, was sie mit den Holländern am liebsten machen wollen: Sie pressen Orangen mit der bloßen Hand aus.

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Die türkische Familienmi­nisterin reiste nach ihrer Ausweisung aus den Niederland­en nach Istanbul.

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