Immer mehr Kinder klagen Elternteil auf Unterhalt
Insgesamt 91.870 Fälle 2016 vor Gericht Obsorge- und Kontaktanträge steigen stark
– Familienmitglieder zitieren einander immer öfter vor Gericht. Eine aktuelle Auswertung des Justizministeriums, die dem STANDARD vorliegt, zeigt: Während im Jahr 2012 noch 4923 Anträge von Volljährigen auf Unterhalt eingebracht wurden, waren es 2016 bereits 5630. In den meisten Fällen handelt es sich um Studierende, die gegen einen Elternteil vorgehen.
Auch die Zahl jener Konflikte, in denen (in der Regel) ein Elternteil vom anderen für das Kind Geld einfordert, hat zugenommen. Im Jahr 2014 waren es 79.773 Anträge, im Vorjahr bereits 86.243.
Noch stärker stieg die Zahl der Streitigkeiten betreffend Kindesobsorge und Kontaktrecht. Hier gab es 2014 rund 35.000 Anträge, zwei Jahre später mehr als 40.000. Eine Erklärung dafür sei, dass Väter sich immer aktiver um ihre Kinder kümmern. Das mache die Organisation des Familienlebens komplizierter, wodurch auch mehr Konflikte entstünden, sagt die Familienrichterin Doris TäubelWeinreich. (red)
Wien – Es ist ein Fall, wie ihn keine Familie erleben möchte, und doch trägt sich Ähnliches immer häufiger zu: Ein Vorarlberger, der in Innsbruck studiert, zog kürzlich bis zum Obersten Gerichtshof gegen seinen eigenen Vater. Nach Matura und Wehrdienst begann er ein Soziologiestudium, entschied aber nach kurzer Zeit, sich lieber einer Karriere als Profikletterer zu widmen, und erklärte dem Vater, er müsse vorerst keinen Unterhalt mehr zahlen. Es lief nicht wie geplant, nach einem Jahr nahm er ein anderes Studium auf und brauchte somit auch wieder Geld. Doch der Vater wollte nicht mehr zahlen. Schließlich entschied das Höchstgericht: Muss er aber, auch wenn der Sohn die Ausbildung zwischendurch unterbrochen hat.
Eine Auswertung des Justizministeriums für den STANDARD zeigt: Familienmitglieder zitieren einander immer öfter vor Gericht. Im Jahr 2012 wurden von volljährigen Kindern – zumeist handelt es sich um Studenten – österreichweit 4923 Anträge auf Unterhalt eingebracht. Zwei Jahre später wurden bereits 5240 Forderungen gegen Eltern gestellt. 2016 fielen 5630 solche Anträge an.
Ähnlich verhält es sich mit Unterhaltsforderungen, die – von zumeist einem Elternteil – für Kinder gestellt wurden: 79.773 Anträge im Jahr 2014, 87.992 im Folgejahr, immerhin 86.243 Anträge 2016. Wobei hier auch sämtliche Änderungen und Neubemessungen des Unterhalts hineinfallen.
Erklärungen gibt es dafür mehrere. Ganz generell lasse sich aber feststellen: „Familienstreitigkeiten werden mehr, und landen sie vor Gericht, werden sie sehr emotional geführt“, sagt Doris TäubelWeinreich, Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht der Richtervereinigung, die als Juristin seit mehr als 18 Jahren in dem Bereich arbeitet. Hinzu komme auch: Die Ausbildungen dauern heute durchschnittlich länger als früher. Kinder sind somit auch länger finanziell auf ihre Erziehungsberechtigten angewiesen.
Der Sozialpädagoge Olaf Kapella vom Österreichischen Institut für Familienforschung glaubt nicht, dass in Familien grundsätzlich mehr gestritten wird als früher: „Kinder und ihre Rechte stehen heute einfach mehr im Fokus, und die Kinder sind sich ihrer Rechte bewusst“, sagt er. Dadurch sinke auch die Hemmschwelle, vor Gericht zu ziehen und diese Rechte einzufordern.
Die Familienrichterin TäubelWeinreich erlebe darüber hinaus, dass Männer immer „aktivere Väter“werden, was „natürlich grundsätzlich gut“sei, aber neue Pro- bleme aufwerfe: „Früher reichte den meisten Vätern ein 14-tägliches Besuchsrecht, damit geben sich inzwischen die wenigsten zufrieden.“Die neuen Lebensmodelle seien aber eben auch schwieriger zu organisieren und böten mehr Konfliktpotenzial.
Wie die aktuelle Zahlenauswertung zeigt, steigen auch die strittigen Fälle in Bezug auf Obsorge und Kontaktrecht. Im Jahr 2014 landeten 35.226 solche Anträge bei Gericht, 2016 waren es bereits 40.310. „Darunter finden sich auch Fälle, in denen Eltern zum Beispiel streiten, ob ein Kind in den Fußballverein oder schwimmen gehen soll“, erläutert Rudolf Jocher vom Justizministerium.
Weniger Scheidungen
In Bezug auf Unterhalt, wie lange und in welcher Höhe er bezahlt werden muss, stellt Täubel-Weinreich klar: „Im Endeffekt sind das immer Einzelfallentscheidungen. Im Gesetz steht bloß, dass Unterhalt ‚angemessen‘ sein muss, das ist juristisch nicht sehr befriedigend.“Es herrsche dadurch eine gewisse Rechtsunsicherheit – aufseiten der Eltern wie auch der Kinder. Eine Reform des Unterhaltsrechts ist im Regierungsprogramm aus dem Jahr 2013 angedacht, wurde im Arbeitspapier 2017 allerdings nicht aufgegriffen.
Rückläufig sind jedenfalls die Zahlen der strittigen Scheidungen. 2014 waren es 6214, 2016 nur noch 5782. Auch einvernehmlich lassen sich die Österreicher immer seltener scheiden. Allerdings: „Das heißt nicht, dass sich die Leute weniger trennen – sie heiraten seltener“, sagt Täubel-Weinreich.