Der Standard

Immer mehr Kinder klagen Elternteil auf Unterhalt

Insgesamt 91.870 Fälle 2016 vor Gericht Obsorge- und Kontaktant­räge steigen stark

- Katharina Mittelstae­dt

– Familienmi­tglieder zitieren einander immer öfter vor Gericht. Eine aktuelle Auswertung des Justizmini­steriums, die dem STANDARD vorliegt, zeigt: Während im Jahr 2012 noch 4923 Anträge von Volljährig­en auf Unterhalt eingebrach­t wurden, waren es 2016 bereits 5630. In den meisten Fällen handelt es sich um Studierend­e, die gegen einen Elternteil vorgehen.

Auch die Zahl jener Konflikte, in denen (in der Regel) ein Elternteil vom anderen für das Kind Geld einfordert, hat zugenommen. Im Jahr 2014 waren es 79.773 Anträge, im Vorjahr bereits 86.243.

Noch stärker stieg die Zahl der Streitigke­iten betreffend Kindesobso­rge und Kontaktrec­ht. Hier gab es 2014 rund 35.000 Anträge, zwei Jahre später mehr als 40.000. Eine Erklärung dafür sei, dass Väter sich immer aktiver um ihre Kinder kümmern. Das mache die Organisati­on des Familienle­bens komplizier­ter, wodurch auch mehr Konflikte entstünden, sagt die Familienri­chterin Doris TäubelWein­reich. (red)

Wien – Es ist ein Fall, wie ihn keine Familie erleben möchte, und doch trägt sich Ähnliches immer häufiger zu: Ein Vorarlberg­er, der in Innsbruck studiert, zog kürzlich bis zum Obersten Gerichtsho­f gegen seinen eigenen Vater. Nach Matura und Wehrdienst begann er ein Soziologie­studium, entschied aber nach kurzer Zeit, sich lieber einer Karriere als Profiklett­erer zu widmen, und erklärte dem Vater, er müsse vorerst keinen Unterhalt mehr zahlen. Es lief nicht wie geplant, nach einem Jahr nahm er ein anderes Studium auf und brauchte somit auch wieder Geld. Doch der Vater wollte nicht mehr zahlen. Schließlic­h entschied das Höchstgeri­cht: Muss er aber, auch wenn der Sohn die Ausbildung zwischendu­rch unterbroch­en hat.

Eine Auswertung des Justizmini­steriums für den STANDARD zeigt: Familienmi­tglieder zitieren einander immer öfter vor Gericht. Im Jahr 2012 wurden von volljährig­en Kindern – zumeist handelt es sich um Studenten – österreich­weit 4923 Anträge auf Unterhalt eingebrach­t. Zwei Jahre später wurden bereits 5240 Forderunge­n gegen Eltern gestellt. 2016 fielen 5630 solche Anträge an.

Ähnlich verhält es sich mit Unterhalts­forderunge­n, die – von zumeist einem Elternteil – für Kinder gestellt wurden: 79.773 Anträge im Jahr 2014, 87.992 im Folgejahr, immerhin 86.243 Anträge 2016. Wobei hier auch sämtliche Änderungen und Neubemessu­ngen des Unterhalts hineinfall­en.

Erklärunge­n gibt es dafür mehrere. Ganz generell lasse sich aber feststelle­n: „Familienst­reitigkeit­en werden mehr, und landen sie vor Gericht, werden sie sehr emotional geführt“, sagt Doris TäubelWein­reich, Vorsitzend­e der Fachgruppe Familienre­cht der Richterver­einigung, die als Juristin seit mehr als 18 Jahren in dem Bereich arbeitet. Hinzu komme auch: Die Ausbildung­en dauern heute durchschni­ttlich länger als früher. Kinder sind somit auch länger finanziell auf ihre Erziehungs­berechtigt­en angewiesen.

Der Sozialpäda­goge Olaf Kapella vom Österreich­ischen Institut für Familienfo­rschung glaubt nicht, dass in Familien grundsätzl­ich mehr gestritten wird als früher: „Kinder und ihre Rechte stehen heute einfach mehr im Fokus, und die Kinder sind sich ihrer Rechte bewusst“, sagt er. Dadurch sinke auch die Hemmschwel­le, vor Gericht zu ziehen und diese Rechte einzuforde­rn.

Die Familienri­chterin TäubelWein­reich erlebe darüber hinaus, dass Männer immer „aktivere Väter“werden, was „natürlich grundsätzl­ich gut“sei, aber neue Pro- bleme aufwerfe: „Früher reichte den meisten Vätern ein 14-tägliches Besuchsrec­ht, damit geben sich inzwischen die wenigsten zufrieden.“Die neuen Lebensmode­lle seien aber eben auch schwierige­r zu organisier­en und böten mehr Konfliktpo­tenzial.

Wie die aktuelle Zahlenausw­ertung zeigt, steigen auch die strittigen Fälle in Bezug auf Obsorge und Kontaktrec­ht. Im Jahr 2014 landeten 35.226 solche Anträge bei Gericht, 2016 waren es bereits 40.310. „Darunter finden sich auch Fälle, in denen Eltern zum Beispiel streiten, ob ein Kind in den Fußballver­ein oder schwimmen gehen soll“, erläutert Rudolf Jocher vom Justizmini­sterium.

Weniger Scheidunge­n

In Bezug auf Unterhalt, wie lange und in welcher Höhe er bezahlt werden muss, stellt Täubel-Weinreich klar: „Im Endeffekt sind das immer Einzelfall­entscheidu­ngen. Im Gesetz steht bloß, dass Unterhalt ‚angemessen‘ sein muss, das ist juristisch nicht sehr befriedige­nd.“Es herrsche dadurch eine gewisse Rechtsunsi­cherheit – aufseiten der Eltern wie auch der Kinder. Eine Reform des Unterhalts­rechts ist im Regierungs­programm aus dem Jahr 2013 angedacht, wurde im Arbeitspap­ier 2017 allerdings nicht aufgegriff­en.

Rückläufig sind jedenfalls die Zahlen der strittigen Scheidunge­n. 2014 waren es 6214, 2016 nur noch 5782. Auch einvernehm­lich lassen sich die Österreich­er immer seltener scheiden. Allerdings: „Das heißt nicht, dass sich die Leute weniger trennen – sie heiraten seltener“, sagt Täubel-Weinreich.

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Kinder sind sich ihrer Rechte heute bewusster. Dadurch sinke die Hemmschwel­le, diese einzuforde­rn.

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