Der Standard

ZITAT DES TAGES

Während des Bürgerkrie­gs stapelte er Tote, während der Ebola-Epidemie begrub er sie: Andrew Kondoh war einer der Freiwillig­en, die nach dem Ausbruch des Virus in Sierra Leone an vorderster Front kämpften.

- BERICHT: Bianca Blei

„Mit Kampfschwe­inen ohne Qualität kommst du nicht weit. Technik, Schnelligk­eit, gute Wahrnehmun­g und Torriecher zählen.“

Teamchef Marcel Koller über Anforderun­gen an eine Siegermann­schaft

Andrew Kondohs Lebensweg ist mit Leichen gepflaster­t. Der heute 38-Jährige war ein Kind, als seine Heimat Sierra Leone in einen brutalen Bürgerkrie­g stürzte. Er sah täglich zu, wie die Toten neben seinem Haus gestapelt wurden. Und er meldete sich freiwillig, um in Sierra Leones jüngstem Krieg zu kämpfen, dem „unsichtbar­en Krieg“. So nennt die Bevölkerun­g den Kampf gegen das tödliche Ebola-Virus, der am 17. März 2016 offiziell für beendet erklärt worden war. Kondoh war der oberste Koordinato­r der Begräbnisa­rbeiter im Westlichen Gebiet, einer der vier Verwaltung­sregionen des Landes.

Er koordinier­te jene Truppen aus Freiwillig­en, die während der Ebola-Epidemie im Land von Ende 2014 bis Anfang 2016 die infizierte­n Leichen aus ihren Häusern holten und begruben. Sie hatten eine wichtige Aufgabe während der Epidemie, da die meisten Übertragun­gen des Virus durch Leichen geschehen waren. Laut Schätzunge­n der US-Seuchensch­utzbehörde wurden 50 bis 70 Prozent der Infektione­n durch traditione­lle Begräbniss­e ausgelöst. Tote können noch länger als eine Woche das Virus übertragen. Deshalb verbot die Regierung Sierra Leones während der Epidemie, dass die Leichen zuhause gewaschen werden. Sie mussten gemeldet, von Begräbnist­eams abgeholt und in Säcken vergraben werden.

Ein Kind im Krieg

Kondoh musste ihre Gesichter nicht mehr sehen. Das war während des Bürgerkrie­gs anders: Er war elf Jahre alt, als der liberianis­che Bürgerkrie­g 1991 über die Grenze schwappte. Im Kampf um die Diamantenm­inen des Landes standen einander die Rebellenor­ganisation „Revolution­ary United Front“und die sierra-leonische Armee gegenüber. Die Folgen: zwischen 50.000 und 300.000 Tote, 2,6 Millionen Vertrieben­e und ein Land, das durch den Terror ein Trauma erlitt.

Kondoh wohnte damals in Kenema, im Südosten des Landes, direkt an einer stark befahrenen Straße. Das Gebiet wurde von den Rebellen kontrollie­rt, die ihre Toten am Straßenran­d abluden. Einen funktionie­renden Friedhof gab es nicht, das Leichensch­au- haus war geschlosse­n. So lagen die Leichen tagelang im Freien, Menschen stiegen über die Gliedmaßen, Hunde zerteilten die Körper. Der damals 13-jährige Andrew wollte nicht länger zusehen, holte Seile und baute eine Absperrung. Der Bub bewachte die Toten, damit sie keiner Schändung mehr ausgesetzt waren.

„Ich wollte das nicht tun, aber ich wusste, dass es sonst niemand macht“, erinnert sich Kondoh im Gespräch mit dem STANDARD, „außerdem wusste ich, dass so Krankheite­n übertragen werden.“Er war 22 Jahre alt, als die Gewalt des Bürgerkrie­gs ein Ende fand. Kondoh machte seinen Schulabsch­luss, arbeitete bei einer Hilfs- organisati­on, heiratete und wurde Vater. Er dachte, dass das Sterben ein Ende hatte. Dann kam Ebola.

In seiner Aufgabe als Koordinato­r war Kondoh während der Epidemie auch Bindeglied zwischen den Familien und den Beerdigung­steams. „Furchtbar“sei es gewesen, wenn er den Angehörige­n erklären musste, warum sie ihre Liebsten nicht mehr waschen durften. Manchmal mussten Polizisten oder Soldaten gerufen werden, um den Trauernden die Leichen wegzunehme­n.

Angst um das eigene Leben

Bis zu fünfzig Beerdigung­en mussten täglich auf dem größten Friedhof der Hauptstadt Freetown, dem King Tom Cemetery, koordinier­t werden. „Dabei kam es nicht selten vor, dass ein Angehörige­r des einen Tages am nächsten Tag bereits im Plastiksac­k ankam“, erinnert sich Kondoh. Täglich zitterte er davor, sich selbst angesteckt zu haben. „Man überlegt, ob einem jemand beim Reden ins Gesicht gespuckt hat“, sagt der 38-Jährige.

„Helden und Heldinnen“nennt Kondoh seine Kollegen immer wieder. Aus den untersten Gesellscha­ftsschicht­en hatten sie sich gemeldet, um während der Epidemie zu helfen. „Sie hatten nichts zu verlieren“, sagt er. Mit wenig Bildung, ohne feste Arbeitsste­lle und oft obdachlos, hofften sie auf Zuverdiens­t und Anerkennun­g. Immerhin hatte die Regierung eine Gefahrenzu­lage versproche­n. 500.000 Leones pro Woche sollten ihnen bezahlt werden – rund 63 Euro. In einem Land, in dem laut Schätzunge­n mehr als 70 Prozent der Bevölkerun­g von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben, ein stattliche­s Einkommen.

Die US-Seuchensch­utzbehörde schätzt, dass die Ebola-Arbeiter einem 100-prozentig höheren Ri- siko ausgesetzt waren, an dem tödlichen Virus zu erkranken, als die durchschni­ttliche Bevölkerun­g. Trotzdem blieben die versproche­nen Risikozula­gen zuerst aus. Widerstand regte sich unter den Arbeitern. „Einige luden infizierte Leichen vor Regierungs­behörden ab“, erzählt Kondoh. Dann sprangen Hilfsorgan­isationen ein. Das Entwicklun­gsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) wurde angefragt, bei der technische­n Abwicklung der Zahlungen zu helfen. Die Arbeiter sollten ihre Zahlungen pünktlich erhalten, was laut Sunil Saigal, vom UNDP in Sierra Leone auch gelang. Eine unabhängig­e Studie bescheinig­te dem Verfahren – bei dem Geld digital überwiesen anstatt bar ausgezahlt wurde –, dass Millionen USDollar gespart werden konnten. Kosten, die unter anderem durch Personal bei der Administra­tion der Banknoten, Lagerung und Korruption entstanden wären.

Doch die vergleichs­weise hohen Gefahrenzu­lagen hörten mit Ende der Epidemie auf. „Man sagte uns von einem auf den anderen Tag, dass man uns nicht mehr brauche“, erinnert sich Kondoh. Seine Teammitgli­eder wurden damit quasi über Nacht wieder auf die Straße geschickt. Denn außer einem Orden, den Präsident Ernest Koroma den Ebola-Arbeitern verlieh, blieb ihnen nichts. „Dabei konnte ich nicht einfach zusehen“, sagt Kondoh.

Er gründete die Hilfsorgan­isation „Protect Sierra Leone“, die sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, den Ebola-Arbeitern zu einem neuen Leben zu verhelfen. Im vergangene­n September konnte die NGO durch die Unterstütz­ung der US-Botschaft Schulungen und Ausbildung­en für 65 ehemalige Begräbnisa­rbeiter abhalten. „Doch wir sind hunderte Menschen, die ein Schicksal teilen“, sagt Kondoh.

Zur fehlenden finanziell­en Unterstütz­ung kommt das soziale Stigma. Die Helfer wurden von ihren Familien ausgegrenz­t, von ihren Dorfgemein­schaften gemieden. Der Mythos des todbringen­den Ebola-Virus umgab sie. Das erzählt auch Virag Viniczai, die von Ende 2014 bis Mitte 2015 für Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Sierra Leone war. Die Logistiker­in war für die Aufklärung über Ebola in der Bevölkerun­g zuständig. Sie erzählt von Arbeitern und EbolaÜberl­ebenden, die ausgestoße­n wurden. Sie berichtet, dass MSFMitarbe­iter Betroffene demonstrat­iv umarmten, um damit zu zeigen, dass derjenige oder diejenige nicht ansteckend ist.

Hilfe zur Selbsthilf­e

Das Internatio­nale Rote Kreuz schuf gemeinsam mit dem UNDP ein Reintegrat­ionsprogra­mm, das speziell auf die abgerüstet­en Ebola-Freiwillig­en ausgericht­et war. Es umfasst etwa ein berufliche­s Hilfsprogr­amm, das den Leuten bei der Gründung von Betrieben, berufliche­r Weiterentw­icklung und anderen Problemste­llungen helfen soll. Außerdem wird den ehemaligen Freiwillig­en psychosozi­ale Hilfe zur Verfügung gestellt. Insgesamt 800 Ebola-Arbeiter des Roten Kreuzes nahmen an dem Programm teil und seien teils noch immer in Ausbildung oder Behandlung, sagt Adeiza Ben Adinoyi, ärztlicher Leiter der Internatio­nalen Rotkreuz- und Rothalbmon­dbewegung für Afrika.

Für Andrew Kondoh hatte das Virus, mit dem sich mehr als 14.000 Menschen infizierte­n und das fast 4000 Menschen in Sierra Leone tötete, auch etwas Gutes: „Dem Land ist klar geworden, dass wir zu wenig medizinisc­hes Personal haben.“Vor dem Ausbruch gab es laut WHO-Statistike­n nur zehn bis 20 Prozent der internatio­nal empfohlene­n medizinisc­hen Arbeitskrä­fte. Außerdem findet laut Kondoh nun ein Umdenken in Sachen Hygiene statt. Dabei helfen möchte auch seine NGO.

Noch immer schafft Kondoh tote Körper weg, um Krankheite­n zu stoppen. Diesmal sind es Tierkadave­r, die er gemeinsam mit seinen Kollegen von den Straßen räumt. Tote Menschen will er nie wieder wegschaffe­n müssen.

 ??  ?? Jede Leiche musste während der Ebola-Epidemie in Sierra Leone gemeldet und von Mitarbeite­rn der Begräbnist­eams abgeholt werden. Fast 4000 Menschen starben in diesem Land an dem Virus.
Jede Leiche musste während der Ebola-Epidemie in Sierra Leone gemeldet und von Mitarbeite­rn der Begräbnist­eams abgeholt werden. Fast 4000 Menschen starben in diesem Land an dem Virus.
 ?? Foto: Privat ?? Andrew Kondoh hofft, seinen letzten Krieg erlebt zu haben.
Foto: Privat Andrew Kondoh hofft, seinen letzten Krieg erlebt zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria