Der Standard

Taraneh Alidoosti über „The Salesman“und iranische Realitäten

In Asghar Farhadis „The Salesman“wird ein Paar durch einen von außen kommenden Gewaltakt gespalten. Die iranische Schauspiel­erin Taraneh Alidoosti über den Oscar-prämierten Film.

- INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh

Wien – Auf einer Bühne in Teheran verkörpern Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti) Mann und Frau in Arthur Millers Tod eines Handlungsr­eisenden. Seine liberale Gesinnung schützt das Pärchen nicht vor den Erschütter­ungen, die ihm im Privaten bevorstehe­n: Rana wird in ihrer Wohnung überfallen, Emad fasst die Sache persönlich auf und steigert sich nach und nach in eine Racheidee hinein.

Der Iraner Asghar Farhadi hat mit The Salesman einen Thriller gedreht, in dem sich eine seiner genau erarbeitet­en Beziehungs­studien versteckt, die hier noch um die Theaterebe­ne erweitert wird. Nach Nader und Simin – eine Trennung hat er dafür Ende Februar bereits seinen zweiten Oscar gewonnen. Zur Gala nach Hollywood sind Alidoosti und Farhadi nicht angereist, nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als wären sie von Trumps Einreiseba­nn gegen Iraner betroffen.

STANDARD: Wie würden Sie die Auswirkung­en der Gewalttat in der Beziehung des Paares beschreibe­n? Alidoosti: Für mich wird die Frau zwei Mal zum Opfer. Einerseits durch den tatsächlic­hen Angreifer, dann aber noch einmal durch die Gewalt, die sich den Weg ins Herz von Emad bahnt. Seine Antwort viktimisie­rt Rana ein zweites Mal, weil er die Sache in seine Hände nimmt, zu seiner eigenen Geschichte macht. Sie kann sich ihrem Trauma nicht mehr stellen.

STANDARD: Er scheint weniger um seine Frau als die öffentlich­e Meinung besorgt zu sein. Alidoosti: Und um seine eigene. Er quält sich mit der Frage, was wirklich passiert ist, weil er ja nicht dabei war. Zuerst ist er zärtlich und besorgt, schließlic­h lieben sich die beiden ja. Doch dann verwandelt sich das in etwas Gewaltvoll­es, das mit dem Opfer selbst nicht mehr viel zu tun hat.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass dieses Verhalten seine Ursache in einer chauvinist­ischen Gesellscha­ft hat, die von Männern gelenkt wird? Alidoosti: Dazu muss man sagen, dass die meisten Gesellscha­ften männerdomi­niert sind.

STANDARD: Es gibt unterschie­dliche Ausformung­en, oder? Alidoosti: Gewiss – und ja, das ist wohl Teil dieser Erzählung. Ich würde es aber nicht unbedingt chauvinist­isch nennen. Ich sehe darin einfach eine Wahrheit. Selbst als wir den Film drehten, mussten wir aufpassen, nicht in diese Falle zu tappen – es sollte nicht die Geschichte eines Mannes sein, dessen Ehre verletzt wird; auf diese orientalis­che Art. Wenn es um Genderfrag­en ging, wollten wir für alle Gesellscha­ften verständli­ch bleiben.

STANDARD: Interessan­t ist, dass die Geschichte im Künstlermi­lieu spielt. Man sollte glauben, die beiden hätten eine offenere Art, mit dem Konflikt umzugehen. Alidoosti: Das ist einer der Gründe, warum der Film in diesem Intellektu­ellenmilie­u spielt. Man kann die ethischen Standards vergleiche­n, überprüfen, wie die beiden reagieren, wenn ihnen wirklich etwas zustößt. Deshalb entfernt sich die Frau von ihrem Mann. Sie hat von ihm eine andere Reaktion erwartet.

STANDARD: Wie kam es zur Wahl von „Tod eines Handlungsr­eisenden“– wird das Stück im Iran überhaupt aufgeführt? Alidoosti: Natürlich, schon viele Male. Im Film geht es natürlich um die Spiegelfun­ktionen zwischen dem Stück und dem Leben der Figuren. Es gibt kleine Motive, die auf beiden Ebenen auftauchen, wie die Duschszene, auf die der Übergriff folgt. Der wichtigste Aspekt ist jedoch, dass die beiden zwei Figuren porträtier­en, denen sie später im Film gleichsam wieder real gegenübers­tehen.

STANDARD: Es ist nicht das erste Mal, dass sie mit Farhadi zusammenar­beiten – was macht seine Art, Regie zu führen, so besonders, dass Sie immer wieder zurückkehr­en? Alidoosti: Er ist es, der immer wieder zu mir zurückkehr­t! Es ist unser vierter Film zusammen. Wir waren jung und unbekannt, als wir The Beautiful City drehten.

STANDARD: Wie hat sich die Situation im Iran seit 2004 verändert? Alidoosti: Als wir The Beautiful City machten, gab es Szenen, in denen meine Figur geraucht hat – ein paar Jahre später war das wieder tabu. Ein paar Jahre danach war es wieder erlaubt. Wir haben um solche Nuancen gekämpft. Ich habe gemeinsam mit Farhadi stets die Begrenzung­en ausverhand­elt – bei Liebesszen­en oder anderen sensiblen Themen. Manchmal setzten wir uns durch. Ich habe das Gefühl, wir bewegen uns gerade auf ein paar gute Jahre zu – nach acht Jahren Stillstand.

STANDARD: Sie spielen auch in „Modest Reception“und „Atomic Heart“, ungewöhnli­ch offenen Filmen. Letzterer wurde im Iran verboten. Alidoosti: Das Problem von Atomic Heart war die drastische Art, in der der Film die Jugend im Iran porträtier­te. Er ist sehr nahe an der Realität, er ist sozusagen zu ehrlich ... (lacht) Junge Leute, die sich ständig einrauchen, die betrunken sind – man kann zu einem gewissen Grad verstehen, dass es für die Regierung nicht leicht ist, so etwas zu akzeptiere­n. Freilich ist der Lebensstil in den schickeren Vierteln von Teheran so. Letztlich ist es wohl der ironische Stil des Films, der zum Problem wurde.

STANDARD: Das sind zwei Beispiele jüngerer Regisseure aus dem Iran. Ist diese Generation in der Auseinande­rsetzung mit heiklen Themen weniger skrupulös? Alidoosti: Absolut. Schon allein durch das Internet hat diese Generation eine andere Sensibilit­ät. Sie hat keine Angst davor, dass ihre Filme keine Erlaubnis bekommen, gezeigt zu werden. Die Leute wissen, dass sie anderswo ihre Zuschauer finden. Ich sehe da wirklich eine Veränderun­g. Auch die Gesellscha­ft wird punkiger, roher, direkter – es gibt weniger Platz für Postkarten­kunst.

STANDARD: Wie sieht es mit Ihrer eigenen Verwurzelu­ng in der Szene aus – können Sie sich auch vorstellen, internatio­nal zu arbeiten? Alidoosti: Ich würde es überlegen, solange es nicht mit den Regeln bricht, die mich im Land halten.

STANDARD: Und das bedeutet? Alidoosti: Ich würde nicht auf den Hidschab in Filmen verzichten. Denn es ist wichtig für mich, weiterhin im Iran arbeiten zu können. Die Welt braucht nicht noch mehr gute Schauspiel­erinnen – in Hollywood, in Europa bin ich ersetzbar. In Teheran ist das anders, wenige Leute können hier verändernd wirken – und die müssen ihren Job machen.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass der westliche Blick auf den Iran mit der Zeit geht? Alidoosti: Es hat stets zwei Wege gegeben, wie man Menschen aus dem Iran im Westen beurteilt hat. Entweder durch die verkürzte Wahrnehmun­g der Medien – mit den bekannten Effekten. Oder man bestand darauf, wie unschuldig die- se Leute im Iran sind, wie reich ihre Kultur – im nächsten Schritt waren sie dann wie man selbst. Beide Erzählunge­n sind Missverstä­ndnisse. Niemand ist wie jemand anderer. Und man muss nicht „wie jemand aus dem Westen“sein, um unschuldig oder im Recht zu sein. Mittlerwei­le scheint man auch im Iran zu realisiere­n, dass man dem Westen kein idealisier­tes Bild präsentier­en muss. Wir haben unsere eigene Kultur und eine eigene Ausdruckss­kala, und irgendwann wird das funktionie­ren.

TARANEH ALIDOOSTI (33) ist die derzeit gefragtest­e Schauspiel­erin im Iran, die auch immer wieder durch ihre Offenheit in politische­n Belangen von sich reden macht. Jetzt im Kino

 ??  ??
 ??  ?? Der iranische Star Taraneh Alidoosti spielt in „The Salesman“eine Schauspiel­erin, die sich von ihrem Partner entfremdet.
Der iranische Star Taraneh Alidoosti spielt in „The Salesman“eine Schauspiel­erin, die sich von ihrem Partner entfremdet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria