Der Standard

Die USA, Europa und das Verhältnis zu China: „Das ist ein herrliches Spielfeld“

Im asiatisch-pazifische­n Raum schlage noch lange nicht die Stunde Europas, sagt China-Experte Franco Algieri. Die EU werde militärisc­h nicht ernst genommen.

- INTERVIEW: Petra Stuiber

STANDARD: Während die USA dem Protektion­ismus frönen, beschwört Chinas Staatspräs­ident Xi den freien Handel. Viele sagen nun, Europa solle sich stärker China zuwenden. Was denken Sie?

Algieri: Tatsächlic­h ist nun zu hören, das sei die Stunde Europas. Man könne ein noch wichtigere­r Partner für China werden als bisher. Aber so einfach ist das nicht.

STANDARD: Warum nicht? Algieri: Interessen­unterschie­de und Konflikte bestehen weiter. Es ist mehr ein Austesten, wie die jeweils andere Seite auf entspreche­nde Signale reagiert. Für China sind die USA und die EU handelspol­itisch betrachtet gleich wichtig. Wenn sich Xi in Davos zum Advokaten für den freien Handel aufmacht, so ist das bemerkensw­ert, auch in Hinblick auf Initiative­n wie die neue Seidenstra­ße. Als China 2001 der WTO beitrat, waren Europäer und Amerikaner abwartend und wollten sehen, wie sich Peking in diesem multilater­alen Forum verhalten werde. Mittlerwei­le ist China zu einem mitgestalt­enden Akteur geworden, und um den Erwartunge­n an einen „responsibl­e stakeholde­r“gerecht zu werden, nutzt die chinesisch­e Seite das Regelwerk und wendet sich gegen Protektion­ismus. Das ist alles schön und gut, aber das ist nur die eine Seite.

STANDARD: Was ist Chinas Ziel? Algieri: Das Ziel Chinas ist letztlich, einen weitreiche­nden Zugang zum europäisch­en Markt zu bekommen. Das funktionie­rt aber nicht so einfach. Die Europäer werden nicht zur Gänze auf Zugangsbes­chränkunge­n verzichten können – gleichzeit­ig bestehen unterschie­dliche nationale Interessen. Beispielha­ft kann der Konflikt um Textilimpo­rte aus China angeführt werden. Länder mit kleineren und mittelstän­dischen Tex- tilbetrieb­en, wie Italien, befürchten eine Gefährdung dieser Betriebe. Manch nördlicher­er EU-Staat findet, je mehr Markt, desto besser – und die deutschen Unternehme­n wollen Textilmasc­hinen nach China verkaufen. Und zwischen all dem steht die EU-Kommission und muss einen Interessen­ausgleich erreichen. Außerdem ist es ein politisch wichtiges Ziel für China, als Marktwirts­chaft auf Augenhöhe anerkannt zu werden. Dem freilich steht ein immer noch hoher staatliche­r Grad der Interventi­on in das Wirtschaft­sgeschehen entgegen.

STANDARD: Gibt es Anzeichen dafür, dass China Europa gegenüber den USA bevorzugen könnte?

Algieri: Die gibt es nicht, da sich im Verhältnis zu den USA auch bis dato nichts nachhaltig negativ verschoben hat. Die amerikanis­che Wirtschaft wird nicht zulassen, dass ihre Regierung die Beziehunge­n zu China aufs Spiel setzt – ungeachtet der Rhetorik des Präsidente­n. Und die Chinesen verfolgen seit Jahren eine pragmatisc­he und zielführen­de Strategie. Wenn die Europäer gar zu lästig sind in der Menschenre­chtsfrage oder hinsichtli­ch Tibet, dann werden beispielsw­eise eher Flugzeuge bei Boeing geordert als bei Airbus. Umgekehrt, wenn ein US-Präsident sich diesbezügl­ich unerfreuli­ch äußert, wird wieder mehr in Europa bestellt. Für China ist das ein herrliches Spielfeld, denn es hat zwei Akteure vor sich, die beide um denselben riesigen Markt kämpfen. Klarerweis­e kann man diese immer wieder gut gegeneinan­der ausspielen.

STANDARD: Welche Rolle spielt Russland in Chinas Überlegung­en?

Algieri: Russland kommt immer wieder mal ins Spiel, etwa aktuell über das Seidenstra­ßen-Projekt oder, wenngleich heute weniger als früher, im Bereich der Rüstungsko­operation. Aber dies sollte nicht überbewert­et werden, denn Russland ist nicht der wichtigste Akteur in den außenpolit­ischen Überlegung­en Chinas.

STANDARD: Die USA sind in der Region sehr präsent, die Europäer kaum. Ist das geschichtl­ich bedingt?

Algieri: In der Tat ist dies vor dem Hintergrun­d der Präsenz europäisch­er Staaten in Asien seit dem 19. Jahrhunder­t zu sehen. Briten und Franzosen haben heute ein völlig anderes Verständni­s von Machtproje­ktion als etwa die Deutschen. Der Unterschie­d zwischen der europäisch­en und amerikanis­chen Asienpolit­ik ergibt sich unter anderem durch die massive militärisc­he Präsenz der USA, da der asiatisch-pazifische Raum von hoher Bedeutung für Washington ist. Eine der zentralen Frage ist: Wie verhält sich China künftig in der Region? Und in diesem Zusammenha­ng wird immer das Szenario einer regionalen Hegemonie Chinas genannt.

STANDARD: Die vielerorts als Bedrohung gesehen wird ...

Algieri: Nicht unbedingt. China versucht insbesonde­re die weniger starken Länder der Region davon zu überzeugen, dass es für alle Beteiligte­n sicherer wäre und den Wohlstand erhöht, wenn man enger zusammenar­beitet. Das ist ja durchaus auch ein Argument, mit dem die europäisch­e Integratio­n erklärt wird – freilich mit dem Unterschie­d, dass die EU dies mit der Forderung nach Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und Einhaltung der Menschenre­chte verknüpft. Das spielt für China keine Rolle, und ein europäisch­es Verständni­s von Demokratie kann nicht als Maßstab angelegt werden. Es geht vielmehr um eine andere Form von Stabilität und Governance.

STANDARD: Soll sich Europa nun mehr in China engagieren oder doch nicht?

Algieri: Wenn man sich ansieht, was seit 1995, als die EU-Kommission die erste China-Strategie veröffentl­ichte, bis heute entstanden ist, so zeigt sich hier eine kontinuier­liche Annäherung. Mittlerwei­le ist ein derart hohes Verflechtu­ngsniveau erreicht, dass ich nicht ganz nachvollzi­ehen kann, was hinter der Erwartung steht, die EU müsse die Chinapolit­ik entwickeln. Die gibt es ja bereits. Gewiss besteht auch weiterhin Reformbeda­rf, aber Einschätzu­ngen, dass nun ein neues Kapitel der europäisch-chinesisch Beziehunge­n beginne, kann ich nicht teilen. Durchaus stellt sich aber die berechtigt­e Frage, wie Europa mit China im asiatisch-pazifische­n Raum stärker gemeinsam agieren könnte. Die EU und die USA sind dort wirtschaft­liche Konkurrent­en. Militärisc­h hat die EU gar nichts mitzureden.

STANDARD: Warum nicht? Algieri: Wir Europäer können uns nicht durchringe­n, eine im Sinne des Wortes „gemeinsame“Sicherheit­spolitik zu verfolgen – was letztendli­ch auch militärisc­hes Engagement bedeutet. Hier herrscht zwischen den einzelnen Staaten eine große Uneinigkei­t. Wir wollen zwar, dass die sicherheit­spolitisch­e Lage im Südchinesi­schen Meer nicht eskaliert und Schifffahr­tsrouten sicher sind, doch wären wir auch bereit, dort einen militärisc­hen Beitrag zur Stabilität­ssicherung zu leisten? Ich denke nicht. Aus realpoliti­scher Perspektiv­e zählt ein amerikanis­cher Flugzeugtr­äger vor Ort durchaus. Die EU kann dem nichts entgegense­tzen. Sollte sie sich jedoch zu einem globalen verteidigu­ngspolitis­chen Akteur entwickeln, dann wäre es für China nicht mehr so einfach, die USA und Europa gegeneinan­der auszuspiel­en.

FRANCO ALGIERI leitet das Department für „Internatio­nal Relations“an der privaten Webster-University in Wien, sein Forschungs­schwerpunk­t sind die europäisch-chinesisch­en Beziehunge­n.

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Foto: privat Algieri: Welchen Beitrag leistet Europa zur Stabilität?

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