Der Sound spiritueller Diskurse
Imago Dei lädt in den Klangraum Krems der Minoritenkirche, wo es Musik verschiedener Gegenden, Epochen und Religionen im Lichte des Spirituellen präsentiert. Jo Aichinger über sein Festivalkonzept.
STANDARD: Was ist das Grundkonzept des Festivals Imago Dei? Aichinger: Ausgehend von der spirituellen Atmosphäre des gotischen Kirchenraums und der kontemplativen Stimmung der Osterzeit stehen die Programmpunkte auch immer für offene Diskurse im internationalen Austausch. Angeregt durch Impulse aus unterschiedlichen Kulturen und die Sehnsucht nach neuer Sinngebung, haben KomponistInnen und MusikerInnen gerade in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neue Ausdrucksbereiche erschlossen, die an der Schnittstelle von Musik und Religion, Ethik sowie Metaphysik stehen.
Das Programm steht für Spiritualität und Transzendenz in Kunst und Philosophie – ungeachtet jeglicher Konfession – in den unterschiedlichsten künstlerischen Ausformungen der klassischen und zeitgenössischen Musik.
STANDARD: Das diesjährige Motto ist quasi kommunistisch, warum? Aichinger: „Hört die Signale“ist aus der Internationale geliehen. Der Titel steht als Symbol für Revolution im Allgemeinen, für die Verbindung von Revolution und Kunst sowie für die Zeit des Umbruchs, der Veränderung und des Aufbruchs. Aus dem Blickwinkel der Umstände unserer Zeit heraus ist es auch ein Weckruf zur Wahrnehmung, es ertönen Signale zu Kontemplation, Transzendenz und Spiritualität im Spiegel der Kultur- und Kunstgeschichte.
STANDARD: Es geht also um Zeichen der Zeit. Welche sehen Sie heute in der Kulturwelt?
Aichinger: Wir befinden uns weltweit in einer Zeit des Umbruchs, sind kollektiv mit kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen konfrontiert. Obwohl wir alle von diesem Wandel betroffen sind, stehen wir weitgehend ziemlich ratlos da. Umwälzungen und gesellschaftliche Veränderung gab es immer – es geht darum, die Zeichen richtig zu deuten und aus ihnen zu lernen. Die Kulturszene reagiert unterschiedlichst und stellt Fragen, wie wir damit umgehen:
Schaffen wir es gemeinsam, mit Respekt und Verstehen des Anderen oder Fremden, uns gegen populistische Verhetzungen, Misstrauen und Gleichgültigkeit im Kampf um Macht und Besitz zu stellen? „Hört die Signale“ist ein Aufruf zur Revolution der „Innerlichkeit“, ein Weckruf zum Glauben an die innere Empfindung und Selbstbestimmung des Menschen im Sinne der Theorie der „Sozialen Plastik“von Joseph Beuys. Sie besagt, dass jeder Mensch durch kreatives Handeln zum Wohl der Gemeinschaft beitragen könne.
STANDARD: Wo ist die „Signalkunde“heuer besonders markant? Aichinger: Markant ist die DroneMusik des Fluxus-Künstlers La Monte Young. Sein Theatre of Eternal Music Brass Ensemble spielt ein Werk aus der Serie Four Dreams of China, das lediglich aus vier Tönen besteht. Es geht um seine Vorstellung von Zeitlosigkeit, gewoben aus den ewigen immer gleichen Fäden aus Stille und Klang. Revolutionär und signalträchtig sind die Master Musicians of Jajouka mit ihren Tranceklängen islamischer Sufis, im Kult um den antiken Pan-Mythos – BeatPoet William S. Burroughs nannte sie eine 4000 Jahre alte Rock-’n’Roll-Band. Die Verbindung von Ost und West über die Jahrtausende hinweg signalisiert die Kultur Thrakiens, auf deren Spuren das türkisch-griechisch-französische Ensemble des Cellisten Jean-Guihen Queyras die Musik des östlichen Mittelmeerraums erkundet.
Startsignal des Festivals ist die Klanginstallation des Dänen Jacob Kirkegaard im Kapitelsaal. Black Metal Square # 1-3 läuft für die Dauer des Osterfestivals: schwingende schwarze Metallplatten in Anspielung auf das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, einer Ikone der Kunstgeschichte.
STANDARD: Dem Element des Spirituellen begegnet man wo speziell? Aichinger: Besondere Spiritualität ist vielleicht im Gurdjieff Ensemble am Karfreitag zu erfahren, das die Philosophie des Anthroposophen Georges I. Gurdjieff vertritt. Als „Vierten Weg“bezeichnet er ein System zur inneren Evolution, die harmonische Entwicklung des Menschen in seinem täglichen Leben. Die Frage nach dem spirituellen Aspekt in der Musik ist ein globales Phänomen, an dem Komponisten und Interpreten unterschiedlicher Herkunft und Epochen vielfältig teilhaben.
Sie orientieren sich an den christlich-jüdischen Religionen, an der Vielfalt asiatischer Traditionen, buddhistischem oder konfuzianischem Denken oder muslimisch-mystischen Traditionen, Beispiele gibt es in den harmonischen Obertonakkorden La Monte Youngs oder in der SufiTrance der Master Musicians of Jajouka, bei Schostakowitsch und Ustwolskaja, in der liturgischen Vertiefung bei Johann Sebastian Bach oder in Martin Luther’schen Kirchenliedern. Also: Unterschiedliche Facetten der Spiritualität sind in allen Beiträgen von Imago Dei zu finden.
STANDARD: Gibt es noch interessante Programmpunkte, die man besu- chen sollte, falls man auf den Rat des Festivalmachers hören wollte? Aichinger: Andrej Kurkows Lesung ist ein enthüllender Blick durch die satirische Brille auf die russisch-sowjetische Mentalität. Das anschließende Gespräch mit Wolfgang Kos kreist auch um Hippie-Bewegung und Beat-Generation. Dann: das Cello-Konzert mit Altstaedt/Lonquich, u. a. die Cellosonaten von Schostakowitsch und Weinberg – es sind Aufrufe zur Revolution der Innerlichkeit und Auflehnung. Narrante des Naqsh-Duos und Stefan Fraunbergers Ornamentrauschen im Doppelkonzert wiederum ist eine kritische Antwort auf moderne Fundamentalismen: Dazu ein Zitat von Fraunberger: „ Ornamentrauschen versteht sich als abstrakte Musik, menschliche Installation wie auch als soziale Skulptur, die sich aus dem Wasser kultureller Grenzflüsse nährt.“
STANDARD: Die Werke von Galina Ustwolskaja sind auch ein Beitrag zur Spiritualität. Aichinger: Ja. Annelie Gahls Ensemble und Alexander Nitzberg stellen russische Literatur des 20. Jahrhunderts in Beziehung zur singulären Musik von Johann Sebastian Bach und den Lamenti der russischen Komponistin Galina Ustwolskajas, die ihre Musik nicht religiös, aber definitiv spirituell versteht, „weil ich alles von mir gegeben habe – und da sie am besten in einem Kirchenraum erklingt“, so die Komponistin.
Auch Akio Suzukis rituelle Performance ist natürlich in diesem Zusammenhang des Spirituellen zu nennen.