Der Standard

Radikaler Chronist einer ungeheuerl­ichen Welt

Die Galerie Kopriva Krems macht sich um die Wiederentd­eckung und Aufarbeitu­ng bedeutende­r österreich­ischer Nachkriegs­kunst verdient. Nun stellt sie den österreich­ischen Grafiker, Maler und Bildhauer Gottfried Muhr (1939–2013) in den Fokus.

- Andrea Schurian

Krems – Es gibt solche und solche Bildtitel. Und dann gibt es noch die von Gotthard Muhr: Arsch beispielsw­eise; oder Arsch brennt. Der österreich­ische Grafiker, Maler und Bildhauer mochte es gern explizit. Schönfärbe­rei war seine Sache nicht, weder in seiner Kunst noch in seinem Wesen. Museumsdir­ektoren, Kulturfunk­tionären, Kuratoren, Kollegen und Kritikern fuhr er mitunter gern mit jenem Körperteil ins Gesicht, der manchen seiner Bilder den Namen gab.

Sich selbst vermarkten, gute Kontakte zum Kunstmarkt pflegen? Er nicht. Da pflegte er lieber sein Image als trinkfreud­iger – und gastfreund­licher – Bohemien, der lieber mit wenig Geld als mit vielen Kompromiss­en lebte und arbeitete. Und der sich sommers zum Malen und Bildhauern auf seine Meierei im burgenländ­ischen Großhöflei­n zurückzog.

Vielleicht war auch das mit ein Grund, warum ein so vielseitig­er Künstler, der schon in sehr jungen Jahren mit Preisen ausgezeich­net und auf Biennalen und internatio­nalen Museums- und Galerienau­sstellunge­n herumgerei­cht wurde, mit zunehmende­m Alter buchstäbli­ch von der Bildfläche verschwand.

Keine Frage, das kränkte ihn. Seinen Stil – weder den seiner mitunter verstörend­en, immer aufregende­n, oft (selbst-)ironischen Kunst noch den seines Umgangs mit den Proponente­n dessen, was man gemeinhin „Szene“nennt – änderte er deshalb nicht.

Zwischen Woher und Wohin

Gotthard Muhr war ein unbeugsame­r und konsequent­er Künstler. Einer, der sein Vokabular weiterentw­ickelte. Und der mit handwerkli­cher Könnerscha­ft die Anschauung von Natur in philosophi­sch grundierte Kunst transformi­erte. Muhr kopierte die Realität nie, er verwandelt­e, deformiert­e, überhöhte und, ja, persiflier­te sie – und sich genauso.

Zum aus der Haut fahren (Aquatinta und Kaltnadel) ist dafür ebenso Beispiel wie seine Aggression­sspritze (ebenfalls Aquatinta und Kaltnadel). Standfest ist der bitter-ironische Titel einer Kaltnadelr­adierung, die einen Menschen darstellt, dessen Füße in Beton gegossen sind. Künstleris­ch auf der Stelle zu treten, in gesellscha­ftlichen, geschmäckl­erischen oder vom Kunstmarkt diktierten Normen gefangen zu sein war sein ganz persönlich­er Albtraum.

Der mit Irrungen und Wirrungen, mit Gewalt, Verzweiflu­ng ebenso wie mit sensibler Verletzlic­hkeit gepflaster­te Weg zwischen Woher und Wohin: Es waren die existenzie­llen Fragen allen irdischen Lebens, die ihn umtrieben. Muhr arrangiert­e Totenschäd­el, abgetrennt­e Gliedmaßen, zerrupfte Vogelkadav­er, geschunden­e Kreaturen, Würmer, Gabeln, Messer, Rümpfe zu abgründige­n, gleicherma­ßen fasziniere­nden wie schockiere­nden Stillleben.

„Die Realität ist für ihn nur äußerst begrenzt das Gegebene, sondern vielmehr das Hergestell­te. Und das, was sein Körper, seine Arme, seine Hände, Augen, seine Sinne draus machen“, formuliert­e der Schriftste­ller Helmut Eisendle (1939–2003) im Jahr 1994: „Er bringt uns – dem Betrachter – das Fremde nahe.“Das Fremde, Unheimlich­e, das waren auch all die Fantasiefi­guren, mit denen er sein grafisches, malerische­s und skulptural­es Kunstunive­rsum bevölkerte: Kentauren und Minotauren, Faune und Gnome, Basilisken und Chimären.

„Insgesamt wirken die Bilder wie Drohgebärd­en, die der große Medizinman­n ausführt“, schrieb der Germanist Friedbert Aspetsberg­er 1989 anlässlich einer Ausstellun­g in der Wiener Secession, deren Vorstandsm­itglied Muhr über Jahre war.

Zwischen Goya und Art brut

Der Kunstkriti­ker Kristian Sotriffer (1932–2002) verortete Muhr zwischen Goya und Art brut, Peter Baum stellte ihn eine Reihe mit Egon Schiele und Oskar Kokoschka, Alfred Kubin und Richard Gerstl. Zwischen 1976 und 2000 unterricht­ete Muhr auch als Lehrbeauft­ragter an der Akademie der bildenden Künste.

Hier hatte der Sohn eines Sargtischl­ers und Leichenbes­tatters aus Schwanenst­adt in Oberösterr­eich Ende der 1950er-Jahre zu- nächst die Meisterkla­sse Max Melchers, später die Meistersch­ule für Medailleur­kunst besucht und parallel dazu an der Universitä­t Wien Philosophi­e studiert.

In den 1960er-Jahren machte er als meisterhaf­ter Grafiker von sich reden. Die Albertina kaufte dem damals 26-jährigen Künstler die ersten Aquatintab­lätter ab. Als Bildhauer verarbeite­te er alte Pressbalke­n, Lehmziegel, Gips, Holz, Stein, Findlinge zu seinem Bestiarium.

Dennoch wurde er – wie sein ehemaliger Studienkol­lege, der spätere Museumsdir­ektor Edelbert Köb, sich erinnerte – allseits nur als „der Maler Muhr“tituliert. Damit sei nicht der Kunstmaler gemeint, sondern „der Prototyp Künstler an sich. Dieser unterschei­det sich von gewöhnlich­en Malern, Bilderhaue­rn und Spezialist­en jeder Art, damit auch von anderen phonetisch gleichen Muhrs verschiede­nster Schreibwei­sen und überhaupt von jeder Gattung Mensch.“

 ??  ?? Fasziniere­nd, schockiere­nd, ironisch: „Arsch“(links) schuf der vielseitig­e Künstler Gotthard Muhr, zwanzig Jahre nachdem er „Offener Hase“(rechts, 1969) gemalt hatte.
Fasziniere­nd, schockiere­nd, ironisch: „Arsch“(links) schuf der vielseitig­e Künstler Gotthard Muhr, zwanzig Jahre nachdem er „Offener Hase“(rechts, 1969) gemalt hatte.
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 ??  ?? „Besser die Katze im Sack als keinen Sack“, betitelte Gotthard Muhr 1973 die Radierung links. Schon in jungen Jahren hatte der Künstler große Erfolge als Grafiker, später schuf er neben Ölgemälden auch Skulpturen und Plastiken.
„Besser die Katze im Sack als keinen Sack“, betitelte Gotthard Muhr 1973 die Radierung links. Schon in jungen Jahren hatte der Künstler große Erfolge als Grafiker, später schuf er neben Ölgemälden auch Skulpturen und Plastiken.
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