Rennpferd aus dem Thyssen-Stall
Verkauf eines DegasGemäldes schürt Spaniens Verlustängste.
Statistiken seien wie eine Laterne im Hafen, sie dienen dem betrunkenen Seemann mehr zum Halt als zur Erleuchtung. Diese Ansicht des deutschen Bankiers Hermann Josef Abs sollte sich jeder vergegenwärtigen, der sich für Studien aus dem Umfeld des internationalen Kunstmarktes zu interessieren gedenkt.
So verführerisch die übersichtlich in Tabellen und Diagrammen verpackten Zahlen auch wirken, sie dürfen nicht mit Tatsachen verwechselt werden. Denn der Kunstmarkt ist weit weniger transparent, als solche Studien glauben machen. Wer nicht muss, der gewährt auch keinen Blick in die Bilanzen.
Sieht man von den Giganten der Auktionsbranche ab, die ihre Jahresergebnisse zu vermarkten wissen, gibt sich der Rest des Handels überaus zugeknöpft. Kunstmarktökonomen müssen ihre Daten folglich teils aus anderen Quellen generieren, etwa über offizielle nationale Statistiken oder über Umfragen.
Eine große Überraschung bescherte jetzt der vergangene Woche in Maastricht (The European Fine Art Fair) veröffentlichte „Tefaf Art Market Report 2017“. Konkret weist dieser für 2016 ein weltweites Verkaufsvolumen von 45 Milliarden Dollar aus – gegenüber knapp 64 Milliarden Dollar, die der Tefaf-Report vom Vorjahr für 2015 nannte. Das würde einem Rückgang der Verkäufe um 30 Prozent entsprechen.
Marktvolumen schrumpfte
Theoretisch, denn praktisch steckt hinter dieser Differenz eine neue Autorin samt einer neuen Bewertungsmethode. Die von 2002 bis 2016 zuständige Autorin Clare McAndrew wanderte zur Art Basel ab. In ihre Fußstapfen trat nun Rachel Pownall, Inhaberin des Kunstmarkt-Lehrstuhls an der School for Business Economics der Universität Maastricht.
Dreh- und Angelpunkt der Differenz sind Ergebnisse aus Umfragen unter Kunsthändlern. Die aktuelle Einschätzung der Befragten – 7000 mit einer Rücklaufquote von fünf Prozent (350 Teilnehmer) – weist dem eigenen Business und Private Sales eine gewichtigere Rolle zu als bisher. 2016 habe dieses Marktsegment 28 Milliarden Dollar erwirtschaftet, woraus ein Marktanteil von 62 Prozent resultiert (2015: 53 Prozent) und jener der Auktionsbranche nur bei 38 Prozent (47 Prozent) läge.
Die größte Veränderung 2016 stelle „der dramatische Fall im Ge- samtwert der weltweiten Auktionsverkäufe“dar, der um 18,8 Prozent auf 16,9 Milliarden Dollar sank. Das Zahlenmaterial zur Auktionsbranche lieferte Artnet. Der Haken: Solche Kunstpreisdatenbanken erfragen Daten nicht bei Auktionshäusern, sondern beziehen sie über Veröffentlichungen auf den jeweiligen Websites. Was dort nicht aufscheint, wird demnach auch nicht erfasst.
Beispielhaft dafür steht die jüngst von Artprice veröffentlichte 2016-Bilanz, die jedoch nur die Kategorie bildende Kunst berücksichtigt, die weltweit 12,6 Milliarden Dollar eingespielt haben soll. Auf China entfielen demnach 4,79 Milliarden Dollar, gefolgt von den USA (3,53 Milliarden), Großbritannien (2,14 Milliarden), Frankreich (650 Millionen) und Deutschland (252 Millionen). Österreich versteckt sich hier in der Rubrik „Andere“, die zusammen 1,13 Milliarden Dollar beitrugen.
Im Ranking der Top-20-Auktionshäuser wird das Dorotheum auf Platz 14 gelistet: mit 4807 verkauften Objekten bildender Kunst und einem Jahresumsatz von 72,48 Millionen Dollar bzw. umgerechnet 68,17 Millionen Euro. Stimmen diese Zahlen? Nein, versichert das Dorotheum. Und man wisse auch gar nicht, wie diese Angaben ermittelt wurden.
Fragwürdige Kennzahlen
Über öffentlich verfügbares Zahlenmaterial informiert Artprice auf Standard- Anfrage und teilt weiters mit, dass „solche Kennzahlen sowohl von der Transparenz des jeweiligen Auktionshauses als auch der Sorgfalt in ihrer Bekanntgabe abhängen“.
Man sei peinlich genau darauf bedacht, „sämtliche Daten zu erfassen“, könne jedoch die falschen Zahlen nicht korrigieren, da man die richtigen nicht kenne. Und hier beißt sich die Katze in den redensartlichen Schwanz, da das Doro- theum nur punktuell Einzelergebnisse, aber generell keine Umsatzzahlen veröffentlicht.
Die vier großen Auktionswochen, in denen auch Antiquitäten, Möbel und Schmuck versteigert wurden, warfen 2016 69,13 Millionen Euro ab. Zusammen mit den Ergebnissen aus all den anderen übers Jahr verteilten Auktionen, etwa auch in Linz und Salzburg, dürfte sich der Gesamtumsatz aus diesem Geschäftszweig zumindest auf 120, wenn nicht 140 Millionen Euro (inklusive Nachverkäufe) belaufen.
Österreich führend
Abseits des Dorotheums erwirtschaftete allein „im Kinsky“28 Millionen Euro, hinzu kommen etwa zwölf Millionen von kleineren Auktionshäusern. Das ergibt österreichweit einen Gesamtumsatz von zumindest 160, wenn nicht 180 Millionen Euro. Und damit ist auch der im aktuellen Tefaf-Bericht für Österreich ausgewiesene Auktionsumsatz 2016 als unrichtig entlarvt, der sich laut Pownall bzw. Artnet auf 140 Millionen Dollar bzw. 131,67 Millionen Euro belaufen haben soll.
Zusammen mit den über die Bundesanstalt Statistik Österreich und über die Händlerumfrage ermittelten Daten wird der im vergangenen Jahr auf dem heimischen Markt erzielte Umsatz auf etwas mehr als 1,5 Milliarden Dollar geschätzt.
Gesichert ist übrigens, dass Österreich im weltweiten Vergleich die höchste Beschäftigungszahl im Verhältnis zur Anzahl der Unternehmen aufweist: mit 9160 Arbeitsplätzen in 1766 Betrieben, die zugehörigen Dienstleister (u. a. Transport, Rahmung, Restaurierung) noch gar nicht einkalkuliert. Rein rechnerisch beschäftigt jeder Betrieb in der Alpenrepublik durchschnittlich 5,18 Mitarbeiter, verglichen mit 3,62 in Großbritannien, 2,19 in Deutschland oder 1,47 in den USA.
Die Kollektion von Carmen „Tita“Cervera ThyssenBornemisza ist mit rund 1200 Werken eine der größten Privatsammlungen. Den Wert beziffert die Witwe Baron Hans-Heinrich Thyssen-Bornemiszas (1921– 2002) mit einer Milliarde Euro. Ein Teil der Sammlung geht auf Kunstankäufe der 1920er- und 1930er-Jahre zurück, darunter Alte Meister wie Jan van Eyck und Caravaggio. Später erweiterte der Baron um Namhaftes bis in die Moderne. Nach der Eröffnung des Thyssen-Museums in Madrid verkaufte er das Gros (775 Werke) 1993 um 350 Millionen Dollar an Spaniens Staat. 200 Meisterwerke erhielt die Witwe aus seinem Nachlass. Die wichtigsten Arbeiten aus Staats- und Privatbesitz sollten in Madrid vereint gezeigt werden. Weitere sind im Museo Nacional de Arte de Cataluña in Barcelona, in Sant Feliu de Guíxols bei Girona und seit 16. März am Wohnsitz der Baroness in Andorra in einer Dependance ausgestellt. In Málaga fand Titas Faible für spanische Kunst ab dem 17. Jahrhundert eine Bleibe.
Verhandlungen mit dem Staat
Der Kollektion kommt nun ein bedeutendes Werk abhanden, da Tita den Verkauf von Edgar Degas’ Landschaft mit Rennpferden (1894) ankündigte. Preislich spiele dieses Pastell in der Liga von John Constables Gemälde The Lock (Die Schleuse), das im Juli 2012 bei Christie’s umgerechnet 27,88 Mio. Euro einspielte. Der avisierte Degas-Verkauf schürt Abwanderungsängste um hochkarätige Kunst in Spanien, primär um Paul Gauguins Mata Mua (In Olden Times), den die Witwe derzeit nicht zu verkaufen gedenkt. Andere erachten ihren Schritt wegen des Timings als Druckmittel. Parallel laufen Verhandlungen mit dem Kulturministerium über den Fortbestand der Sammlung in Madrid. 2002 stellte Tita mehr als 650 Werke – primär Impressionisten – im Gegenzug für den staatlich finanzierten Ausbau des Museums für elf Jahre gratis bereit. Die Auflage: Jeglicher Verkauf eines Werkes durfte zehn Prozent des Gesamtwertes ihrer Kollektion nicht überschreiten. Ab 2013 folgten Vertragsverlängerungen im Semestertakt, bis Jänner 2017. Das Ultimatum endet im April. Die Sammlerin strebt eine bis zu 20-jährige Dauerleihgabe gegen Entgelt an, „ähnlich dem, das der Baron vor dem Verkauf erhielt“. Konkret fünf Millionen Dollar pro Jahr. Dazu wünscht sie eine Steuerbefreiung, die ihr 1999 vom damaligen Kulturminister und aktuellen Premier Mariano Rajoy per Handschlag zugesichert worden war. Auf der neuen Leihgabeliste fehlt übrigens nicht nur der Degas, sondern auch der Gauguin nebst Werken von Matisse und Monet.