Der Standard

Ein bisschen Bobo in der Kleinstadt

Aus der desolaten Hohenemser Marktstraß­e wurde „d’Gass“. Investoren und junge Unternehme­n machen aus der zentralen Straße der Kleinstadt ein lebendiges Viertel mit ökologisch­er Ausrichtun­g. Die Stadt fördert.

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Jutta Berger

Hohenems – Standortpo­litik ist keine neue Erfindung. Schon die alten Hohenemser, namentlich Graf Kaspar von Hohenems, wussten, wie man Geschäfte macht. 1605 erließ er einen Freibrief, um das Dorf rund um seinen Palast zu beleben. Wer dort ein Haus aus Mauer- oder Riegelwerk baute, bekam den Bauplatz geschenkt, der Grundstein zur Marktstraß­e war gelegt. Zwölf Jahre später kam der Schutzbrie­f zur Ansiedlung von Juden dazu, der Graf brauchte Händler und Steuerzahl­er. Des Grafen Kalkül ging auf, es entstand ein quirliger Marktfleck­en um Christenga­sse (heute Marktstraß­e) und Judengasse (jetzt Schweizers­traße).

Zunehmende­r Durchzugsv­erkehr und der neue Trend Einkaufsze­ntrum machten der Marktstraß­e ab den 1960er-Jahren den Garaus. Geschäfte schlossen, in die Häuser wurde nicht mehr investiert, sie blieben aber wegen der bergseitig­en Gärten beliebte Mietobjekt­e für migrantisc­he Familien.

Noch vor vier Jahren bot das Zentrum der 16.000-MenschenSt­adt ein tristes Bild. Bis auf wenige Ausnahmen war das für Vorarlberg einzigarti­ge historisch­e Ensemble Marktstraß­e eine Ansammlung abgewohnte­r, teils leer stehender Häuser. Engagierte Bürgerinne­n und Bürger initiierte­n 2012 einen Visionspro­zess für die Innenstadt. Eines der Ziele: eine Stadt für Menschen, nicht für Autos.

Markus Schadenbau­er-Lacha, Projektent­wickler und selbst Anrainer im Jüdischen Viertel, beschloss der Straße neues Leben einzuhauch­en. Was sein Schwiegerv­ater Gerhard Lacha 1997 mit der Sanierung des jüdischen Viertels begonnen hatte, setzte er in der Markstraße fort. Die Idee: „Wir schaffen Ateliers, anspruchsv­olle Ladenlokal­e und Wohnungen.“Der wesentlich­e Unterschie­d zur Innenstadt­belebung andernorts: „Wir fördern kreative Jungunter- nehmen, wollen keine Ketten, sondern vom Eigentümer geführte kleine Läden.“Das Projekt „d’Gass“wurde auf fünf Jahre, 2013 bis 2018, angelegt. Die Zwischenbi­lanz: Sieben denkmalges­chützte Häuser wurden saniert, zur Nachverdic­htung vier Neubauten errichtet. 34 Wohnungen, sieben Büros, eine Kleinkinde­rbetreuung und sechs Ladenlokal­e, insgesamt 3800 Quadratmet­er Nutzfläche entstanden. Lacha und Partner investiert­en 10,7 Millionen Euro. Weitere 34 Wohnungen, sieben Büros und vier Ladenlokal­e sind bis 2018 geplant.

Keine anonymen Investoren

Das Geld für die Projekte komme nicht von anonymen Investoren, sagt Schadenbau­er-Lacha, sondern von Anlegern (Mindestinv­estment: 90.000 Euro), die zum Teil selbst in der Marktstraß­e wohnen und arbeiten, oder aus einer regionalen Stiftung.

Saniert wird mit Bedacht und hochwertig­en Materialie­n wie Biberschwa­nzziegeln, Kalkputz, Holzfenste­rn. Styropor und Plastik sind verpönt. Schadenbau­erLacha versteht die Gass als Ökoquartie­r und ist auch selbst per Dienstfahr­rad unterwegs.

Angesiedel­t haben sich junge Unternehme­rinnen (Frauen sind in der Mehrzahl) und Unternehme­r, die den Nachhaltig­keitsgedan­ken des Projektent­wicklers teilen.

Förderung zum Start

Die Unternehme­nsgründung wird von der Stadt durch Mietzuschü­sse gefördert. Gründer(innen) erhalten maximal ein Viertel der Nettomiete, limitiert bis 2020. Bedingung der Stadt: Der Vermieter muss seinen Teil durch Mietredukt­ion beitragen. Ein Umstand, der Anna Waibel, Schmuckdes­ignerin, die Entscheidu­ng, von Graz zurück in die Heimatstad­t zu ziehen, leicht machte: „Jeder weiß, dass die Mietausgab­en am Anfang eine ganz wesentlich­e Belastung sind, die Förderung erleichter­t den Start sehr.“

Waibel, die zuvor in der Grazer „kunst.wirt.schaft“, einem Künstlerin­nenkollekt­iv, gearbeitet hat, hat seit 14 Monaten ihr Verkaufsat­elier in der Marktstraß­e. Sie schätzt den Mix aus Alt und Neu in der Nachbarsch­aft und beobachtet mit jeder Neueröffnu­ng mehr Frequenz in der Gass. „Wenn dann die Straße zur Begegnungs­zone geworden ist, wird das sicher noch besser“, freut sich Waibel auf die kommende Veränderun­g.

Wie bereits das jüdische Viertel wird auch die Marktstraß­e verkehrsbe­ruhigt. Um die Parkplätze fürchtet Schadenbau­er-Lacha nicht, man brauche in der Gass eher Fahrrad- als Pkw-Abstellplä­tze.

Das Flair der heutigen Marktstraß­e macht der besondere Mix aus jungen Läden – von Bekleidung über Spielwaren bis Schmuck –, liebevoll sanierten Bauten, wenigen alteingese­ssenen Geschäften und Privatinit­iativen aus. So richtete Schubertia­deGründer Gerd Nachbauer ein kleines Schuhmache­rmuseum im Haus seiner Vorfahren ein.

Häuser, die saniert werden sollen, stellt der Projektent­wickler Künstlern zur Gestaltung zur Verfügung. So machten bereits Tone Fink und Günter Bucher Fassaden zu ihren Leinwänden. Während des Kulturfest­ivals Emsiana (heuer von 12. bis 17. Mai) werden zudem leer stehende Häuser zu Ateliers und Veranstalt­ungsorten. Nutznießer von immer noch vorhandene­n Brachen ist auch das Visionscaf­é, eine Bürgerinit­iative, die jeden Samstag zu Plausch, Diskussion oder auch zur Fahrradrep­aratur in wechselnde Räumlichke­iten lädt. Was noch fehlt, ist sozialer Wohnbau, der auch im wieder erwachten Zentrum leistbares Wohnen ermöglicht.

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Die Hohenemser Marktstraß­e erwacht. Häuser werden aufwendig renoviert, junge Unternehme­n bekommen Starthilfe, statt Durchzugsv­erkehr gibt es bald eine Begegnungs­zone.

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