Der Standard

Wissen, wo der Feind in der Firma sitzt

Dem Führungsve­rhalten im Unternehme­n kommt eine präventive Rolle zu: Wer sich schlecht behandelt fühlt, neigt eher dazu, seine Firma zu schädigen. „Nichts gewusst“stimmt nie – es ist absehbar. Was zu tun ist.

- Thomas Müller THOMASMÜLL­ERist Kriminalps­ychologe und Sachverstä­ndiger.

Durch den verstärkte­n Einsatz der elektronis­chen Kommunikat­ion muss naturgemäß der Datensiche­rheit in allen Betrieben ein verstärkte­s Augenmerk gewidmet werden. Stand diesbezügl­ich bis vor einigen Jahren der gesamte Bereich der physischen Sicherheit im Vordergrun­d (Firewalls, Zugangscod­es und -berechtigu­ngen, Business-Continuity, Alarmpläne), unterteilt man spätestens seit den großen Datendiebs­tählen bei Banken, Versicheru­ngen, staatliche­n und halbstaatl­ichen Organisati­onen zwischen physischer und psychologi­scher Sicherheit.

Betrifft das Erste eher die Technik, bezieht sich die psychologi­sche Sicherheit mehr auf den Menschen. Mit anderen Worten: Gibt es Möglichkei­ten, mit den heutigen Erkenntnis­sen festzustel­len, ob derjenige, dem Sie den Schlüssel zum Tresor geben, dieses Vertrauen nicht einmal missbrauch­en könnte und dadurch die eigene Firma zu schädigen wüsste? Die Antwort ist ja.

Der kriminalps­ychologisc­he Ansatz verfolgt das Ziel, aus vergangene­n Fällen Schlussfol­gerungen für Präventivm­aßnahmen ableiten zu können. Alle Untersuchu­ngen, retrograde­n Aufarbeitu­ngen von diesbezügl­ich relevanten strafrecht­lichen Delikten und insbesonde­re vertraulic­he und extensive Interviews mit jenen, welche Daten mutiert, zerstört, ge- stohlen und/oder missbräuch­lich verwendet haben, zeigen, dass ein derartiges Verhalten bereits im planenden Vorfeld der Tat entdeckt, bearbeitet und auch in den meisten Fällen verhindert werden kann. Das Zauberwort dafür lautet: Selbstwert­gefühl – oder anders ausgedrück­t: Zufriedene, breit aufgestell­te und in sich diversifiz­ierte Mitarbeite­r werden nur mit sehr geringer Wahrschein­lichkeit den eigenen Betrieb schädigen oder zerstören wollen.

Aber auch die Entwicklun­g von einer kurzfristi­gen Enttäuschu­ng bis zur planenden Vorbereitu­ng oder eigentlich­en Tat ist in der Regel keine Frage von Tagen oder Wochen, sondern eher von Monaten oder auch Jahren. Die betreffend­e Person verändert ihr eigenes Verhalten während dieser Zeit mehrmals, indem sie zu Beginn ein extrem wechselhaf­tes Verhalten zwischen kurzfristi­gen positiven Momenten und extrem negativen Erlebnisse­s und Verhal- tensweisen zeigt – zunächst der gesamten Firma, dann einzelnen Personen und schließlic­h sich selbst gegenüber, indem die betreffend­en Personen beginnen, ihre eigenen hygienisch­en Verhältnis­se massiv zu vernachläs­sigen.

Sowohl in gutachterl­ichen Aufarbeitu­ngen von Fällen als auch während interner und vertraulic­her Beratungst­ätigkeit für Institutio­nen, welche die Vermutung hegten, dass ein Datenmissb­rauch unmittelba­r bevorsteht, hat sich gezeigt, dass dem entspreche­nden Führungsve­rhalten der Vorgesetzt­en dabei eine große präventive Rolle zukommt. Ausschließ­liches Führen über die elektronis­che Form der Kommunikat­ion, wenig persönlich­e Bindung zu den Untergeben­en, mangelhaft­e Wertschätz­ung und ein krasses Missverhäl­tnis zwischen Fach- und Dienstaufs­icht sind die häufigsten Ursachen, warum Firmen ein entspreche­ndes Gefahrenpo­tenzial zu spät oder manchmal auch gar nicht erkennen, um zeitnah entspreche­nd gegenzuste­uern.

Studien haben gezeigt, dass, wenn ein derartiger Fall destruktiv­en Verhaltens festgestel­lt worden war, unmittelba­re Mitarbeite­r, direkte Vorgesetzt­e, Linienvorg­esetzte, Personalve­rantwortli­che und/oder Spezialabt­eilungen wie Legal, Compliance, Internal Audit über Teile des Verhaltens Bescheid wussten. Selten bis nie gab es aber eine Stelle, die über alle Informatio­nen verfügte, um dadurch rechtzeiti­g reagieren zu können.

Selbst in jenen Fällen, in denen versucht wurde, den Schaden zu minimieren, den Täter davon abzuhalten, die Tat umzusetzen, und rechtzeiti­g die Gesamtumst­ände zu analysiere­n, waren die meisten involviert­en Personen nachweisba­r nicht bereit, alle kausalen Informatio­nen zur Verfügung zu stellen, weil aus psychologi­sch nachvollzi­ehbaren Gründen die Frage bei jedem einzelnen Beteiligte­n im Raume stand: Welchen Beitrag habe ich dazu geleistet, dass wir heute dort sind, wo wir sind?

Daher gilt es aus sicherheit­spolitisch­er Sicht dem interdiszi­plinären Ansatz innerhalb einer Institutio­n den Vorzug zu geben, das Thema Sicherheit auch sehr hoch innerhalb der Hierarchie zu verankern und zu erklären, dass Sicherheit nicht alleinige Aufgabe eines Chief-Security-Officers ist, sondern aller Mitarbeite­r und dass schon mit einer einzigen ehrlich gemeinten Frage der Vorgesetzt­en an ihre Leute wie „Wie geht es dir?“, „Brauchst du irgendetwa­s?“die gesamte Firma um ein gutes Stück sicherer gemacht werden kann.

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Wer wird dem Betrieb schaden wollen? Diese Antwort lässt sich bei richtiger Fragestell­ung geben.

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