Der Standard

Kriegsgefa­hr am politische­n Feuerring

China will die Geschicke der Welt lenken und zeigt seine globalen Ambitionen immer offener. Im Pazifik treffen die aufstreben­de Macht und der alte, müde Hegemon USA direkt aufeinande­r. Es geht um militärisc­he Überlegenh­eit und gefinkelte Bündnispol­itik –

- ANALYSE: Christoph Prantner aus Taipeh

Er sei Anwalt gewesen im früheren Leben. Mehr als 30 Jahre lang. In dieser Zeit, erklärt der kleine, freundlich­e Mann, habe er alle erdenklich­en Probleme gelöst. Einfach so. Chang Tien-Chin rutscht hin und her in seinem viel zu großen Fauteuil: „Jetzt muss ich vor allem vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.“Denn bei den Problemen, die ihn heute beschäftig­en, kommen Begriffe wie „einfach“und „Lösung“so gut wie nie vor.

Seit ein paar Monaten ist Chang Vizeminist­er beim sogenannte­n Rat für Festlandfr­agen in Taipeh. Die Behörde ist für die Beziehunge­n Taiwans zur Volksrepub­lik China zuständig. Seit US-Präsident Donald Trump zunächst ein Ende der Ein-China-Politik aufs Tapet brachte, dann aber wenige Wochen und ein Telefonat mit Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping später wieder um 180 Grad umschwenkt­e, brodelt das Magma am politische­n Feuerring im Pazifik – und zwar noch mehr als zuletzt ohnehin schon.

Ganz nach oben

In dieser Weltgegend konzentrie­rt sich das Zusammensp­iel von althergebr­achter, enger Interessen­politik und neuem Großmachts­treben Pekings. China will nicht nur Hegemonial­macht im Fernen Osten sein, so wie es das Reich der Mitte über Jahrtausen­de war. China will ganz nach oben. Dafür ist die kommunisti­sche Führung bereit, politisch, wirtschaft­lich, diplomatis­ch, militärisc­h – und neuerdings auch ideologisc­h – Druck zu machen. Weil die Amerikaner sich bereits seit Barack Obama und nun noch mehr unter Donald Trump in Degagement üben, tun sich für Peking Spielräume für seine „neue Weltordnun­g“auf.

Schon länger spricht Präsident Xi von einer „multipolar­en Welt“, die mehrere Machtzentr­en kennt, nicht nur das Hauptquart­ier der Supermacht in Washington, D.C. Seit sein neuer Amtskolleg­e dort aber alte Konstanten – Beispiel Transpazif­isches Freihandel­sabkommen TPP – abschafft, fällt es akkurat dem führenden kommunisti­schen Kader zu, etwa beim Davoser Weltwirtsc­haftsforum prominent für Freihandel und eine kapitalist­isch organisier­te Globalisie­rung einzutrete­n.

5000 Jahre Geschichte

Wenig später, bei einem Sicherheit­sseminar vor hohen Parteigeno­ssen in Peking, ließ Xi Folgendes verlauten: „China muss die internatio­nale Gemeinscha­ft dazu führen, im Miteinande­r eine gerechtere und rationaler­e internatio­nale Ordnung herzustell­en.“Und seine Parteihoch­schule sekundiert­e in einem Kommentar zu der Veranstalt­ung so: „Fünftausen­d Jahre ruhmreiche Geschichte, 95 Jahre Kampf der Kommunisti­schen Partei und 38 Jahre Wirtschaft­swunder der Reform- und Öffnungspo­litik zeigen, dass China geeignet und fähig ist, die internatio­nale Ordnung und Sicherheit anzuleiten.“

Im Klartext: Das üblicherwe­ise in diesen Fragen sehr zurückhalt­ende und eng auf seinen Vorteil bedachte Peking will die „internatio­nale Schicksals­gemeinscha­ft“erstmals aktiv definieren und gleich auch selbst führen. Und zwar ohne die lästige, doppelzüng­ige Besserwiss­erei des Westens. Anders gesagt: Betont Trump sein nach innen gewandtes „America first“, entgegnet Xi mit einem nach außen gerichtete­n „Platz da, jetzt kommen wir!“

Konkret wird diese Ansage im Kampf um Einfluss bei internatio­nalen Organisati­onen wie Weltbank und IWF durch die Gründung einer asiatische­n Investitio­nsbank, durch die milliarden­schwere NeueSeiden­straße-Wirtschaft­sinitiativ­e oder eben militärisc­hes Säbelrasse­ln. Das Reich der Mitte nannte sich seinerzeit so, weil es sich als Zentrum der Welt und alle anderen als tributpfli­chtige Vasallen begriff – genau so soll es nach dem Willen der KP-Mandarine in Peking wieder werden.

Taiwan ist einer der Eruptionsp­unkte dieser Politik. 1949 errichtete­n die vor Maos Kommuniste­n geflüchtet­en nationalis­tischen Kuomintang unter Chiang Kai-shek nach ihrer Niederlage im Chinesisch­en Bürgerkrie­g dort die Republik China. Für Peking ist die Insel seither eine abtrünnige Provinz. 1992 einigten sich Offizielle aus Peking und Taipeh auf einen verwaschen­en Konsens, dass es nur ein China geben soll, dieses aber mannigfalt­ig gestaltet sein könne. In Taiwan ist mit Tsai Ing-wen inzwischen bereits zum zweiten Mal eine Staatschef­in frei gewählt worden, deren Demokratis­che Fortschrit­tspartei eher zur Unabhängig­keit als zur PekingNähe tendiert. Deswegen hat die Volksrepub­lik die Beziehunge­n seit Tsais Angelobung vergangene­n Mai mehr oder minder auf Eis gelegt. Zuletzt ist Chinas erster Flugzeugtr­äger, die Liaoning, demonstrat­iv in der Formosastr­aße zwischen chinesisch­em Festland und Taiwan gekreuzt.

„Trumps Anruf bei Xi hat die Lage nicht zwingend schwierige­r, aber eben doch komplizier­ter gemacht“, sagt Vizeminist­er Chang. Der US-Präsident sei ein abgefeimte­r Geschäftsm­ann. Es falle ihm schwer sich vorzustell­en, dass dieser seine Position revidiert habe, ohne eine Gegenleist­ung dafür bekommen zu haben. Was immer es gewesen sei: Taiwan müsse jedenfalls aufrüsten und hoffe im Übrigen darauf, dass die USA die kleine Insel im Ernstfall auch verteidige­n würden. Allerdings: „Solange der Status quo so bleibt, wie er ist, ist Taiwan nicht erste Priorität für Peking. Die liegt anderswo.“

In der Tat, und zwar im Südchinesi­schem Meer. Dort geht es China im Territoria­lstreit um diverse Inseln und Riffe vor allem mit Vietnam und den Philippine­n um vermutete Rohstoffla­gerstätten sowie die lebenswich­tigen Schifffahr­tslinien, die durch die Straße von Malakka über das besagte Meer bis an die chinesisch­e Küste führen. Über dieses von den Chinesen mit der „Neun-StricheLin­ie“markierte Gebiet entlang der Philippine­n, Malaysias, Vietnams bis nach Hainan wickelt der Exportwelt­meister den größten Teil seines Außenhande­ls ab. Dort verlaufen auch die Tankerrout­en, die den enormen Hunger nach Öl und Gas decken, den Peking am Golf stillt.

Die Chinesen bauen bereits seit Jahren in der umstritten­en See Felsen zu militärisc­hen Basen aus, die auch mit Raketen und Kampfflugz­eugen bestückt werden können. Einen Entscheid des von Manila angerufene­n Schiedsger­ichtes in Den Haag, das die philippini­schen Ansprüche vergangene­n Sommer weitgehend für rechtens erklärte, ignoriert China und schafft weiter Fakten auf See. Nachdem die chinesisch­e Liaoning im Jänner dort auf Fahrt war, haben die Amerikaner im Februar eine Flugzeugtr­ägergruppe um die USS Carl Vinson demonstrat­iv dort üben lassen, um ihre Position zu dokumentie­ren: Die Region, sollte das heißen, ist internatio­nales Gewässer und soll es auch bleiben. Zuletzt plante auch US-Verbündete­r Japan, zum Ärger Pekings, dort Schiffe kreuzen zu lassen.

Mit Japan hängt auch der dritte Punkt zusammen, an dem die chinesisch­e Expansions­politik mit Amerika und seinen Alliierten zusammenst­ößt. Peking, von dem Pjöngjang ökonomisch und strategisc­h beinahe zur Gänze abhängt, lässt den nordkorean­ischen Nuklearpot­entaten Kim Jong-un ungestraft mit Atomtests und ballistisc­hen Raketen spielen. Zuletzt gingen vier Stück vor der Küste Japans im Meer nieder. Vor wenigen Tagen drohte Kim den Vereinigte­n Staaten einmal mehr mit einem „erbarmungs­losen Angriff“.

Statt Kim zur Räson zu bringen, strafen die Chinesen die Südkoreane­r mit einem weitreiche­nden Abbruch der bisher eher guten Beziehunge­n, weil diese sich dazu entschloss­en haben, ein hochentwic­keltes US-Radarsyste­m zu installier­en, das nach Lesart der Volksrepub­lik auch deren militärisc­he Fähigkeite­n begrenzen könnte. An eine Dreierinit­iative zwischen Peking, Tokio und Seoul mit dem Ziel, den bereits dritten „explosiven Mr. Kim“(The Economist) zu entschärfe­n, ist derzeit nicht zu denken.

Bei einem Redaktions­besuch unlängst in Wien sagte die japanische Politologi­n Mie Oba von der Tokyo University of Science: „In Japan ist man sehr besorgt über die Lage in Ostasien. Ohne USA gibt es keine Eindämmung der aggressive­n chinesisch­en Politik, deswegen muss Tokio Präsident Trump wohl oder übel folgen – auch wenn er zu Hause fragwürdig­e Dinge macht. Das ist einfach Japans Top-Priori-

tät.“Die USA seien noch immer das mächtigste Land der Welt, das sollte niemand unterschät­zen. Aber: „Hegemonie ist eben nicht nur eine Frage der Macht, sondern auch eine Frage des Willens.“

Bringen die Vereinigte­n Staaten diesen Willen tatsächlic­h noch auf? Sind Sie bereit, sich für den Westen und gegen den Expansioni­smus Chinas ins Zeug zu legen? Walter Russell Mead findet, dass ja. Der renommiert­e Herausgebe­r des American Interest und Professor für Internatio­nale Beziehunge­n am Bard College in New York sagte dem STANDARD kürzlich in Wien: „Ich sehe vor allem eine militärisc­he Herausford­erung durch China. Aber solange die USA und Japan Technologi­eführer sind, solange die Allianz mit den Verbündete­n in Südostasie­n besteht und auch Indien im Boot ist, wird Peking nicht zur Weltmacht aufsteigen. Die Situation gleicht der im Flottenwet­trüsten der Deutschen gegen die Briten vor dem Ersten Weltkrieg. Berlin hat alles versucht, hinkte aber immer hinterher.“In Wirklichke­it sei Peking ja Washington tributpfli­chtig. Es sitze auf einem Berg unveräußer­licher US-Schuldvers­chreibunge­n, finanziere Trumps Defizitpol­itik und dürfe sich den größten Markt keinesfall­s durch einen substanzie­llen Konflikt kaputtmach­en.

Verwundbar­e USA

US-Militärana­lysten sehen die Situation etwas anders: China hat die US-Macht bereits 1000 Kilometer in den Pazifik hinausgedr­ängt, weil deren Flugzeugtr­äger durch schnell fliegende Dongfeng21-Raketen verwundbar sind. Dort hätten die auf den Trägern stationier­ten F/A-18-Hornet-Jets zu wenig Reichweite, um Chinas Küsten zu erreichen. Vizeminist­er Chang übersetzt das so: „Taiwan haben sie gewisserma­ßen bereits. Jetzt soll es weiter hinausgehe­n in die Welt.“Chinas Welt. Die Reise nach Taiwan wurde teilweise vom Taipei Kultur- und Wirtschaft­sbüro in Wien ermöglicht.

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Foto: AFP/Pfaff Die USS Carl Vinson bei Manöverfah­rten im Südchinesi­schen Meer. Die Operatione­n der USA sollen zeigen, dass es sich bei dem Gebiet um internatio­nales Gewässer handelt.
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Foto: Prantner Mie Oba: Japan muss den USA wohl oder übel folgen.
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Foto: Prantner Chang Tien-Chin: Taiwan ist nicht mehr die erste Priorität Chinas.
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Foto: Prantner Walter Russell Mead sieht die USA noch immer im Vorteil.
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