Der Standard

Sturm und Klang

Die Philharmon­iker, Andrís Nelsons und Tamás Varga

- Stefan Ender

Wien – Kunst wurde von der Menschheit irgendwann einmal erfunden, um das Schöne zu feiern und das Schrecklic­he erträglich, ja schön zu machen. Wer am Samstagnac­hmittag zum sechsten Philharmon­ischen Abonnement­konzert aufbrach, wurde von einem Sturm gebeutelt und erfuhr so am eigenen Leib, dass sich sogar das sanfteste der vier Elemente in der Realität in eine lebensgefä­hrdende Rage hineinstei­gern kann.

Im Großen Musikverei­nssaal wurde der Konzertbes­ucher dann wieder mit einem Sturm konfrontie­rt: mit jenem des vierten Satzes von Beethovens Pastorale. Dirigent Andrís Nelsons wachelte hier zwar wild mit seinen Armen, entfachte aber doch eher handzahme, vorherhörb­are Kunstgewal­ten. Was wohl der derzeit Aufregends­te der Dirigenten­zunft, Teodor Currentzis, hier für Tumulte entfesselt hätte?

Radikal kam nicht

Gleich zu Beginn von Beethovens sechster Symphonie schien die Interpreta­tion des gebürtigen Letten in Richtung Currentzis zu tendieren: Nach einem samtigweic­hen Beginn dynamisier­te Nelsons das Orchester gleich beim ersten kleinen Crescendo dras- tisch, und man stellte sich auf eine radikale, aufgeputsc­hte Deutung ein, die dann so nicht kommen sollte. Der freundlich­e 38-Jährige betätigte sich jedoch als umsichtige­r, präziser, lustvoller Landschaft­smaler.

Im ersten Teil des Konzerts spielte Tamás Varga Dvořáks Cellokonze­rt. Den Dienstälte­sten der drei ungarische­n Solocellis­ten der Philharmon­iker erlebt man in seiner alltäglich­en Funktion als Stimmführe­r der Cellogrupp­e oft als zurückhalt­enden Musiker. Als Solist gelang Varga eine intensive, gewissenha­fte und nuancierte Interpreta­tion bar jeden reißerisch­en oder schwülstig­en Inputs, eine Interpreta­tion, die die große Bandbreite dieses wundervoll­en Stücks zur Gänze aufzeigte.

Wärme und Innigkeit

Varga wirkte auch kein bisschen nervös, sondern einfach nur glücklich, Dvořáks Meisterwer­k im Kreise seiner Kollegen spielen zu dürfen. Die eindrückli­chsten Momente gelangen ihm bei den ruhigen, lyrischen Passagen des Werks, etwa beim mit Wärme und Innigkeit vorgetrage­nen Seitenthem­a des Kopfsatzes, oder bei der verlangsam­ten, leisen Variation des ersten Themas in der Durchführu­ng. Begeisteru­ng für den Solisten, der sich mit einer braven Bach-Petitesse verabschie­dete.

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