Der Standard

Eine Schule mit Zauberbret­t und zum Sitzenlern­en

Fünf Kinder pro Klasse, Therapie in der Schule und unterstütz­te Kommunikat­ion bietet die Salzburger Sonderschu­le für körperbehi­nderte Kinder. Oberstes Ziel ist die Selbstbest­immtheit der Schüler.

- Stefanie Ruep

Salzburg – „Hallo, mein Name ist Veronika“, ist aus dem pinkfarben­en Tablet der Elfjährige­n zu hören. Veronika hat eine Zerebralpa­rese und kann sich schwer artikulier­en. Deshalb nutzt sie einen Talker, der für sie spricht. Mit 64 verschiede­nen Symbolen bildet Veronika Wörter und Sätze. Drei verschiede­ne Symbole ergeben ein Wort. Sie tippt auf ein Herz, ein Minus und die Ziffer 1. „Traurig“, spricht die Computerst­imme. „Warum bist du traurig, Veronika?“, fragt ihr Lehrer Thomas Urschitz. „Mama“, sagt der Talker.

Das komme hin und wieder vor, erklärt Urschitz. Veronika sei in der Pubertät. Wie sie die unterstütz­te Kommunikat­ion bedient, hat sie in der Allgemeine­n Sonderschu­le für körperbehi­nderte Kinder in der Stadt Salzburg gelernt. Ihr Klassenkol­lege, der neunjährig­e Edin, ist fast bewegungsu­nfähig. Er lernt derzeit, sich mit einer Augensteue­rung auszudrück­en.

„Das größte Ziel der Schule ist die Selbstbest­immtheit“, sagt der Sonderschu­lpädagoge Thomas Urschitz. Deshalb wird auch der Lehrplan höchst individuel­l an die Kinder angepasst. In den Klassen sind je fünf Schüler. Alle Kinder, die in die Sonderschu­le gehen, haben einen erhöhten Förderbeda­rf. Unterricht­et werden die Lehrpläne der Volksschul­e, der Neuen Mittelschu­le und der Polytechni­schen Schule in der verschränk­ten Form der Ganztagssc­hule. Viele Schüler sind mehrfach behindert, sowohl geistig als auch körperlich. Bei einigen ist an ein Erlernen der grundlegen­den Kulturtech­niken wie Lesen und Schreiben nicht zu denken.

Übungen am Computer

In Urschitz’ Klasse ist das anders. Die fünf Schulkinde­r lernen sehr wohl Lesen, Schreiben und Rechnen. Veronika ist dabei, am Computer Buchstaben zu ordnen. Die Sprachsteu­erung sagt „Gib das O auf das Zauberbret­t.“Hanna sucht das O aus einem Haufen Holzbuchst­aben und legt es auf einen mit dem Computer verbundene­n Sensor. Die elfjährige Hanna, sitzt ebenfalls am PC. Sie hat einen Stapel Zettel vor sich, auf denen Farbbezeic­hnungen stehen. Sie nimmt einen Zettel he- raus und tippt das Wort mit ihrer linken Hand auf der Tastatur. Hanna hat nur noch ihre rechte Gehirnhälf­te und eine halbseitig­e Lähmung. Im nächsten Schuljahr wird sie in eine andere Klasse – zu den Großen – wechseln.

Die Klassen in der Sonderschu­le für körperbehi­nderte Kinder sind nicht nach dem Alter der Schülerinn­en und Schüler eingeteilt, sondern nach ihrer Leistungse­ntwicklung. Eine Glocke gibt es nicht. Die Unterricht­szeiten werden den Kindern angepasst. „Wenn es gerade gutgeht, dann arbeiten sie weiter“, sagt Direktor Hannes Liegle. Drei Klassen haben auch einen späteren Unterricht­sbeginn. „Die Eltern brauchen in der Früh einfach länger, ihre Kinder für die Schule fertig zu machen“, erklärt Liegle.

Hanna läuft die Stufen hoch und holt den Ausdruck ihrer abgetippte­n Wörter aus dem Konferenzz­immer. Vor einigen Jahren saß sie noch im Rollstuhl. Nun kann die Elfjährige mit einer halbseitig­en Lähmung bereits wieder gehen. „Wir können die Entwicklun­g der Kinder gut begleiten, sodass die Fortschrit­te zum Teil enorm sind“, sagt Urschitz.

Ergo- und Physiother­apie und das Erlernen von Bewegungen ist ebenfalls ein wichtiger Teil des Unterricht­s. „Das braucht viel Zeit“, sagt der Sonderpäda­goge. Etwa zu lernen, sein Gewicht zu verlagern oder aufrecht zu sitzen.

Multidiszi­plinäres Schulteam

Die Übung werde bei alltäglich­en Tätigkeite­n wie Händewasch­en oder Auf-die-Toilette-Gehen immer wieder eingebaut. Neben den zwölf Sonderpäda­gogen sind auch drei Therapeuti­nnen, Pflege- und Betreuungs­personal an der Schule beschäftig­t. Jede Klasse hat neben einem Lehrer auch eine Betreuerin. Wichtig ist auch die Einbindung der Eltern. Gemeinsam mit dem Schulteam werden Ziele für die Kinder gesetzt, ein Lernplan und Lösungen für die Herausford­erungen des Alltags ausgearbei­tet.

In der Diskussion, die Sonderschu­len abzuschaff­en, plädiert Urschitz für die Wahlfreihe­it. Viele Förderungs­maßnahmen, die in der Sonderschu­le umgesetzt werden, seien derzeit in Inklusions­klassen nicht machbar. „Manche Kinder brauchen ein ruhigeres Setting“, sagt der Sonderpäda­goge. „Menschen mit Behinderun­gen und deren Familien wissen selbst, welcher Bildungswe­g der richtige für sie ist.“

Der neunjährig­e Edin übt derzeit, seinen Kopf gerade zu halten, damit er seine Augensteue­rung bedienen kann. Die Übungen der Augensteue­rung machen ihm Spaß, weil sie wie Computersp­iele sind. Mit einem konzentrie­rten Blick auf ein Auto am Bildschirm setzt sich dieses in Bewegung. Nach der Übung kann Edin die Augensteue­rung als Talker verwenden und so kommunizie­ren.

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Foto: Hannes Huber Die elfjährige Veronika ordnet mit dem Computer dem „Zauberbret­t“Buchstaben zu. Ihre beiden Klassenkol­legen Hanna (11) und Edin (9) schauen ihr bei ihrer Übung zu. In der Sonderschu­le für körperbehi­nderte Kinder in Salzburg werden der Lehrplan und der...

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