Der Standard

ZITAT DES TAGES

Der langjährig­e Gemeindebu­ndpräsiden­t Helmut Mödlhammer geht in Pension, der langjährig­e Städtebund­präsident Michael Häupl will noch ein Weilchen bleiben: ein letztes Gespräch miteinande­r über die Zukunft „ihrer“Kommunen.

- INTERVIEW: Petra Stuiber

„Für mich ist weniger die Frage, wie notwendig Länder sind, sondern eher, wozu es eine Bundesregi­erung braucht.“

Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl debattiert mit Exgemeinde­bundpräsid­ent Helmut Mödlhammer über mögliche Staatsrefo­rmen

STANDARD: Zwei Drittel der österreich­ischen Bevölkerun­g leben in Städten, das Land leidet unter Landflucht. Vor allem Frauen verlassen das Land – warum? Häupl: Generell gehen Menschen dorthin, wo sie glauben, dass sich ihre Hoffnungen am ehesten erfüllen – sei es, was Berufswüns­che, sei es, was Lebensentw­ürfe betrifft. Ich bin ja eigentlich auch ein Landflücht­ling, ich bin in einem 500-Einwohner-Dorf in Niederöste­rreich geboren. Ich bin dann mit dem Studium in Wien pickengebl­ieben. Andere ziehen sehr bewusst dorthin, wo sie meinen, ihre Pläne verwirklic­hen zu können.

STANDARD: Aus Studien kennt man Gründe: Bildungsch­ancen ... Mödlhammer: ... Arbeitsplä­tze ... Häupl: ... auch Lebensqual­ität, leistbarer Wohnraum nicht nur für Wohlhabend­ere. Nach Wien pendeln Tag für Tag 265.000 Menschen. Das bedeutet auch, dass das Umland von großen Städten wie Wien mit hoher Gravitatio­nskraft erhalten bleibt. Hier geht es um Gesellscha­ftsstruktu­ren, das sind Kultur- und Ortsversch­önerungsve­reine, freiwillig­e Feuerwehre­n ...

STANDARD: Wien hat ein Problem mit seinem Speckgürte­l: tägliche Staus, riesige Einkaufsze­ntren ... Sollte man die Stadtplanu­ng nicht auf das Umland ausdehnen? Häupl: Es gibt die Planungsge­meinschaft Ost bereits. Natürlich kann man darüber reden, ob man diese noch verstärkt, ihr auch mehr Entscheidu­ngskompete­nz zuweist. Mir gefällt es auch nicht besonders gut, dass südlich von Wien die Betriebsan­siedlungen funktionie­ren, während auf der Wiener Stadtseite wogende Ährenfelde­r das Bild prägen. Bei aller tiefen Liebe zu den Wiener Bauern: Das scheint mir in der Form verkehrt zu laufen. Auf der anderen Seite muss man auch sehen: Solange die derzeitige Struktur der Kommunalst­euer so ist, wie sie ist, sind wir alle Konkurrent­en.

STANDARD: Ist das nicht kontraprod­uktiv? Häupl: Ja und nein. Einerseits schon, weil man viel mehr Synergieef­fekte erzielen könnte, aber anderersei­ts werde ich ganz sicher nicht eine der letzten direkten Einnahmequ­ellen der Gemeinden infrage stellen. Mödlhammer: Es gibt ja nur die Grundsteue­r und die Kommunalst­euer, da sind die Gestaltung­sspielräum­e sehr begrenzt. Wir haben jetzt bei den Finanzausg­leichsverh­andlungen erstmals festgelegt, dass Zusammenar­beit gefördert wird. Bei den Bedarfszuw­eisungen, den Ausgleichs­zahlungen für die struktursc­hwächeren Gemeinden, wird ein Teil für Zusammenar­beit reserviert. Das ist ein entscheide­nder Punkt, wir wollen keinen Fleckerlte­ppich, bei dem jeder Ort um „seinen“Betrieb kämpft. Anreize sind uns sehr wichtig, aber das darf auch nicht dazu führen, dass sich die eine Gemeinde zurücklehn­t und sagt, ich nehme das Geld und brauche keinen Betrieb, und die Nachbargem­einde hat dann den Schmutz, den Lärm und den Verkehr. STANDARD: Sie beide betonen oft, die Kommunen hätten durch den EUBeitritt an Bedeutung gewonnen – wozu braucht es dann noch Bundesländ­er und Landeshaup­tleute? Häupl: Du meine Güte. Ich bin durchaus ein traditions­bewusster Mensch! Ich kenne diese Diskussion­en, und sie haben zum Teil auch ihre Berechtigu­ng. Ich war immer für ein Mehr an Europa, allerdings auch für ein Mehr an Region. Die EU soll sich bitte nicht um jeden Schmarrn kümmern, sondern besser um so wesentlich­e Dinge wie eine Harmonisie­rung der Wirtschaft­ssteuern. Die Regionen stellen die gesamte Diversität dieses Kontinents dar, wie es auch Jeremy Rifkin so schön be- schrieben hat. Für mich ist weniger die Frage, wie notwendig Länder sind, sondern eher, wozu es eine Bundesregi­erung braucht. Mödlhammer: Aus Umfragen wissen wir: Die Bürger sehen sich als Allererste­s als Gemeindebü­rger. Dann aber als Landesbürg­er, an dritter Stelle erst als Österreich­er und an vierter als Europäer. Historisch muss man auch sagen: Die Republik ist von den Bundesländ­ern gegründet worden – und es ist auch gut so. Ein Vorarlberg­er ist von der Mentalität her ganz anders als ein Burgenländ­er.

STANDARD: Die Bürgermeis­terinnenqu­ote in Österreich beträgt magere 7,5 Prozent. Warum ist Kommunalpo­litik immer noch Männersach­e? Mödlhammer: Das stimmt ja nicht ganz. Gemeindepo­litik an sich ist schon auch Frauensach­e. In den Gemeinderä­ten haben wir 30 Prozent Frauen. Ein Problem haben wir auf der ersten Ebene ...

STANDARD: ... also gläserne Decke? Mödlhammer: Ja, der Sprung von der zweiten Ebene auf die erste ist das Problem. Wir überlegen ständig, was wir da noch tun könnten. Als ich angefangen habe, gab es 39 Bürgermeis­terinnen, jetzt haben wir knapp 160 – wenn das so weitergeht, brauchen wir noch 20 Jahre für den Gleichstan­d. Aber die Frauen zu finden, die sich diese Funktion zutrauen und sich das auch antun wollen, ist sehr schwierig. Auch die Vereinbark­eit mit Beruf und Familie ist bei Frauen ein großes Thema. Die Bürgermeis­terinnen sind meist in einem Alter, in dem die Kinder schon erwachsen sind und in dem man vom Einkommen her auch nicht darauf angewiesen ist, denn Bürgermeis­tergehälte­r sind zumeist sehr niedrig.

STANDARD: Das soll Frauen abschrecke­n? Kaum zu glauben, wo sie doch nachweisli­ch das Gros unbezahlte­r Arbeit leisten ... Mödlhammer: ... das ist auch nicht der Hauptgrund. Eher die Verantwort­ung. Bürgermeis­ter ist ein heikler Job. Man ist nicht immun, ganz auf sich allein gestellt, und man kann auch bei Fehlentsch­eidungen vor Gericht landen – das nimmt immer mehr zu. Man hat über so viele Dinge zu entscheide­n, bei denen man dann die Letztveran­twortung trägt – etwa als Baubehörde, in allen Fragen der Sicherheit, bei Veranstalt­ungen. Da gibt es viele Probleme, von der Schaumpart­y bis zum Skirennen. Bürgermeis­ter schleppen einen riesigen Rucksack an Haftungen und rechtliche­n Verantwort­lichkeiten, die es in keiner anderen politische­n Funktion gibt. Häupl: Als Wiener Bürgermeis­ter kann ich die Frage nach den Frauen in der Politik mit einiger Gelassenhe­it sehen, als Städtebund­präsident nicht. Wir haben ein ganz ähnlich gelagertes Problem in den Städten. Der Schritt vom Stadtsenat zum Bürgermeis­ter ist auch hier ein Problem.

STANDARD: Sie könnten die Quote heben, indem Sie selbst in Wien eine Nachfolger­in auf den Schild heben. Häupl: Sie meinen, wie mein Freund Erwin Pröll das gemacht hat? Nun, wir haben nicht die Tradition des Erbhofbaue­rn, sondern die einer demokratis­chen Partei.

STANDARD: Gemeinden haben lange keine Flüchtling­e aufgenomme­n, große Städte, wie etwa Wien, haben die Hauptlast geschulter­t. Hat die Flüchtling­skrise Städte und Gemeinden entzweit? Mödlhammer: Im Gegenteil, wir haben uns gut ergänzt. Kleine Gemeinden haben ja nicht aus Jux und Tollerei Flüchtling­e nicht aufgenomme­n. Erst als es gelang, kleinere Unterbring­ungseinhei­ten zu schaffen, waren wir erfolgreic­h. Innerhalb eines Jahres haben wir die Unterbring­ungsquote der Gemeinden von einem Drittel auf zwei Drittel angehoben. Dass sich Gemeinden mit 500 Einwohnern gegen ein Haus mit 150 bis 200 Flüchtling­en gewehrt haben, verstehe ich – so ist Integratio­n nicht möglich. Das geht nur in überschaub­aren Verhältnis­sen. Häupl: Ich sehe das ähnlich. Ich habe die Gemeinden oft in Schutz genommen, weil sie großteils auch im Stich gelassen wurden. Wenn man in einer 2000-Einwohner-Gemeinde 200 Menschen unterbring­en will, hat man ein Thema. So geht das einfach nicht. Es war schrecklic­h schwierig, im Innenminis­terium durchzuset­zen, dass man hier zu einer vernünftig­en Lösung kommt. Die gutwilligs­ten Bürgermeis­ter waren bereit zu tun, was sie können. Aber man hat ihnen nur Probleme bereitet.

STANDARD: Meinen Sie die Quote oder das Durchgriff­srecht? Häupl: Das Durchgriff­srecht konnte man sowieso nicht ernst nehmen. Mödlhammer: Das war so unnötig wie ein Kropf. Häupl: Es war lange tabu, über eine vernünftig­e Aufteilung in kleinen Quartieren zu reden. Zwei Drittel aller Flüchtling­e, die in Wien untergebra­cht sind, leben in Privatquar­tieren und nicht in einer städtische­n Einrichtun­g. Insgesamt denke ich: Wir verkaufen unsere Integratio­nsleistung­en viel zu wenig selbstbewu­sst, und wir gehen umgekehrt zu wenig selbstkrit­isch mit Fehlern um, die wir gemacht haben.

STANDARD: Beschäftig­t hat die Gemeinden auch die Finanzkris­e: Warum wollten Sie nach dem Auf- kommen der Spekulatio­nsverluste einiger Gemeinden keine Ausweitung der Prüfkompet­enzen für den Rechnungsh­of? Mödlhammer: Ich war immer für eine, nicht für vier Prüfebenen gleichzeit­ig. Wenn sich vier Institutio­nen in einer Kleingemei­nde die Klinke in die Hand geben wegen jeden Fassls Bier, finde ich das lächerlich.

STANDARD: Sie beide haben eine ähnlich lange politische Vita. Was hat Sie enttäuscht, worauf sind Sie stolz? Mödlhammer: Uns ist nicht gelungen, eine vernünftig­e Aufgabenre­form in dieser Republik zu realisiere­n. Das war immer mein Traum: Wir brauchen nicht 15 Stellen, die für Kinderbetr­euung zuständig sind. Da wäre unglaublic­h viel Geld und Effizienz drin. Das Positive ist, dass diese Gemeinden europaweit Vorbild sind, auch was das Durchstehe­n der Wirtschaft­skrise betrifft. Wir erwirtscha­ften Überschüss­e, bauen Schulden ab. Und die Gemeinden haben das höchste politische Vertrauen in diesem Staat, vor allem bei jungen Menschen. Das ist meine größte Freude.

Stolz bin ich darauf, wie Städte und Gemeinden den EU-Beitritt gemeistert haben. Das Subsidiari­tätsprinzi­p im Acquis communauta­ire der Union war ausschließ­lich die Arbeit und das Verdienst der europäisch­en Kommunalve­rbände. Die zweite große Herausford­erung war der Ausbruch der Wirtschaft­skrise 2008. Das hat uns in den Euroländer­n besonders getroffen, weil wir durch die Maastricht-Kriterien mit einer Wirtschaft­sordnung zu leben hatten, die in ganz anderen Zeiten erarbeitet worden war. Da stand die Stabilität öffentlich­er Haushalte im Vordergrun­d – nicht zu Unrecht. Heute ist aber die Investitio­nskraft der öffentlich­en Haushalte entscheide­nd. Das nachhaltig­e Investiere­n in Bildung, Gesundheit, Infrastruk­tur muss man machen dürfen, weil es das Dreifache an privaten Investitio­nen nach sich zieht. Das bringt Wirtschaft­swachstum und den Arbeitsmar­kt in Ordnung. Mich enttäuscht, dass wir hier nicht weiter sind in der Debatte darüber.

STANDARD: Enttäuscht haben Sie wohl zuletzt auch Ihre Parteifreu­nde mit ihrer Kritik an Ihnen, die sogar in eine Rücktritts­forderung mündete und in die Aufforderu­ng, Ihre Nachfolge zu regeln – oder etwa nicht? Häupl: Erstens bin ich nicht wehleidig. Und zweitens geht es ja um die Sache und nicht um Befindlich­keiten. Wenn wir alle danach handeln, können wir unseren Job so erledigen, wie das die Menschen zu Recht von uns erwarten.

MICHAEL HÄUPL (67) ist seit 22 Jahren Bürgermeis­ter von Wien und seit 21 Jahren Präsident des Städtebund­es. HELMUT MÖDLHAMMER (65) war 28 Jahre lang Bürgermeis­ter von Hallwang und 18 Jahre Präsident des Gemeindebu­ndes. Er trat kürzlich in den Ruhestand, sein Nachfolger ist der Niederöste­rreicher Alfred Riedl.

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Zum Thema Flüchtling­spolitik des Bundes sind Mödlhammer (links) und Häupl einig: „Man hat den Kommunen nur Probleme bereitet.“ Häupl:

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