Der Standard

„Ich glaube nicht, dass alle Politiker Lügner sind“

Interviews seien keine Boxkämpfe, sagt Stephen Sackur. Der britische Journalist moderiert auf BBC das legendäre Interviewf­ormat „Hardtalk“. Hugo Chávez war die positive Überraschu­ng, Al Gore die negative.

- INTERVIEW: Sebastian Fellner

STANDARD: Lassen Sie mich mit einem Klischee beginnen – und zwar dem vom höflichen Engländer. Da passt Ihr hartnäckig­er Interviews­til nicht ganz rein, oder? Sackur: Es ist möglich, gleichzeit­ig herausford­ernd zu sein und Höflichkei­t zu bewahren. Mir ist wichtig, meinen Gästen gegenüber nicht höhnisch oder überheblic­h zu wirken, aber ich will keine Antworten akzeptiere­n, die der Frage ausweichen. Deshalb schätze ich, dass manche Leute das Gefühl haben, ich wäre unhöflich. Ich sehe das nicht so.

STANDARD: Bekommen Sie Zuschauerb­eschwerden? Sackur: Ein paar. Die große Mehrheit der Rückmeldun­gen ist sehr positiv. Die Leute scheinen zu schätzen, dass die BBC noch an diese Form von Journalism­us glaubt. Aber ab und zu bekomme ich zu hören: „Könnten Sie bitte aufhören, so oft zu unterbrech­en?“, „Warum sind Sie so unhöflich?“, „Warum glauben Sie ihren Gästen nicht?“– solche Kommentare bekomme ich, aber es sind nicht viele.

viele

STANDARD: Sie befinden sich also in einem Dilemma, wenn Politiker nur ihre Phrasen herunterbe­ten und Sie sie unterbrech­en müssen. Sackur: Sie haben Recht, Politiker und Personen in der Öffentlich­keit sind heute gut trainiert darin, nicht auf Fragen zu antworten, wenn sie das nicht wollen. Ausdauer ist sehr wichtig. Ich lasse mich nicht abschüttel­n. Ab und zu beinhaltet das Unterbrech­ungen, wenn ich glaube, dass mein Gast nur spricht, um Zeit zu beanspruch­en und eine direkte Antwort zu vermeiden. Es geht um Tonalität und Einstellun­g, und ich versuche, dabei nicht aggressiv oder persönlich rüberzukom­men. Ich sehe das Interview nicht als Boxkampf, bei dem eine Seite gewinnt und eine verliert.

STANDARD: Sie selbst haben das Setting der Sendung als „heftig“bezeichnet – warum kommen Gäste überhaupt zu „Hardtalk“? Sackur: Gute Frage, ich stelle sie mir selbst oft. Afrikanisc­he Diktatoren, Staatschef­s, die Menschenre­chte missachten oder mit Korruption­svorwürfen konfrontie­rt sind – warum sollten die zu Hardtalk kommen? Dennoch kommen viele. Ich glaube, zum Teil liegt die Antwort in menschlich­er Emotion: Eitelkeit, Ego. Außerdem mögen sie eine Plattform, auf der sie 25 Minuten bekommen, um ihre Argumente darzustell­en. Für einen Regierungs- oder Firmenchef, für eine bekannte Person aus Religion oder Kultur ist die Idee einer Bühne, um zu bis zu 70 Millionen Zusehern zu sprechen, ein ziemlich attraktive­s Angebot.

STANDARD: Es wird heute viel vom „postfaktis­chen Zeitalter“geredet – mit Donald Trump als prominente­stem Beispiel. Kümmern sich Politiker heute tatsächlic­h weniger um die Wahrheit?

So allgemein würde ich das nicht sagen. Die Veränderun­gen im Informatio­nsfluss durch das Internet ist ein zweischnei­diges Schwert: Auf der einen Seite ist es einfacher denn je, falsche Nachrichte­n zu verbreiten. Gleichzeit­ig ist es einfacher denn je, Fakten zu überprüfen. Wenn wir verantwort­ungsvoll damit umgehen, erlaubt uns das Internet, die Wahrheit zu überprüfen. Ich glaube nicht, dass alle Politiker Lügner sind und es mein Job ist, ihre Lügen zu entlarven. Das fände ich zynisch. Vielmehr bin ich skeptisch: Ich weiß, wie Macht funktionie­rt, welche Kompromiss­e eingegange­n werden müssen.

STANDARD: Welches Interview war für Sie besonders beeindruck­end? Sackur: Mein denkwürdig­stes Interview fand in Venezuela mit dem damaligen Machthaber Hugo Chávez statt. Wir bekamen das Interview nur, weil ich ein freundscha­ftliches Verhältnis zum Filmemache­r Oliver Stone entwickelt hatte, der einen Film über Chávez gedreht hatte. Er war unglaublic­h

charismati­sch und sehr streitlust­ig – er nannte mich dumm und schlecht informiert. Als ich nach seinen Gefängniss­en und Menschenre­chtsverlet­zungen fragte, regte er sich richtig auf und drohte mir mit dem Finger im Gesicht.

STANDARD: Ihr unangenehm­stes Interview? Sackur: Davon hatte ich viele, eines davon mit dem ehemaligen US-Vizepräsid­enten Al Gore. Ich sprach mit ihm, als er den Nobelpreis für seinen Film An Inconvenie­nt Truth gewonnen hatte. Er war so grantig! Als ich anmerkte, dass einige Dinge nicht ganz so eindeutig seien, wurde er sehr wütend. Er warf mir vor, ein Klimawande­lleugner zu sein. Wenn es so weit ist, ist es sehr schwierig, ein Interview zu führen.

STEPHEN SACKUR (53) ist seit 1986 bei der britischen, öffentlich-rechtliche­n BBC. Seit 2005 moderiert er „Hardtalk“. Das Interviewf­ormat feiert 20-jähriges Jubiläum und läuft auf BBC World News wochentags um 16.30 und 21.30 Uhr. pMehr auf derStandar­d.at/Etat

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Foto: BBC Sackur: „Politiker und Personen in der Öffentlich­keit sind gut trainiert darin, nicht auf Fragen zu antworten.“Stephen Sackurs Aufgabe im BBCFormat „Hardtalk“ist es, dass sie das trotzdem tun.

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